Nachhaltige Lieferketten sind in der heutigen Geschäftswelt nicht nur ein Trend, sondern eine Notwendigkeit. Angesichts wachsender Umweltanforderungen und des steigenden Drucks von Verbrauchern und Regulierungsbehörden müssen Unternehmen ihre Prozesse überdenken, um ökologischen und sozialen Standards gerecht zu werden. In diesem Interview sprechen wir über die Herausforderungen und Chancen, die nachhaltige Lieferketten bieten, und wie Unternehmen durch verantwortungsbewusste Beschaffung, Emissionsreduktionen und innovative Technologien langfristig wettbewerbsfähig bleiben können.
Neuhold: Um eine nachhaltige und klimafreundliche Lieferkette zu gestalten, ist es unerlässlich, CO₂-Emissionen präzise zu messen und zu analysieren. Frau Dr. Peters, wie und anhand welcher Faktoren messen Sie bei Höegh Autoliners Ihre CO2-Emissionen, Ihre CO2-Bilanz und Ihren CO2-Impact, um die Lieferketten nachhaltig und dekarbonisierend zu gestalten?
Dr. Peters: Der weitaus größte Teil unserer CO2-Emissionen stammt aus unserem eigenen Betrieb. Um unsere Emissionen zu messen, verwenden wir tägliche Kraftstoffverbrauchsberichte und Emissionsfaktoren von DEFRA und der 4. IMO THG-Studie für jeden verwendeten Kraftstofftyp. Die Kraftstoffverbrennung in unserem Schiffsbetrieb und die mit dem Kraftstoff verbundenen Upstream-Emissionen machen etwa 90 Prozent unserer gesamten Emissionen aus. Durch die Senkung unseres Kraftstoffverbrauchs und die Umstellung auf kohlenstofffreie Kraftstoffe wie grünes Ammoniak können wir unsere eigenen Auswirkungen auf das Klima und damit die Scope-3 Emissionen unserer Kunden erheblich reduzieren.
Neuhold: Würden Sie bitte die Emissionsmethodik etwas genauer erläutern?
Dr. Peters: Bei Höegh Autoliners orientieren wir uns an den Standards des GHG Protocol, welches eine klare Struktur für die Erfassung und Berechnung von Treibhausgasemissionen bietet. Wir unterteilen hier in Scope 1, 2 und 3.
Im Scope 1 erfassen wir die direkten Emissionen, die durch die Verbrennung von Treibstoffen auf unseren Schiffen entstehen. Dazu senden alle Schiffe täglich relevante Daten wie den Treibstoffverbrauch an unsere Zentrale. Diese Daten werden in einer Datenbank gespeichert und mit Hilfe von Oracle BI ausgewertet. Dabei messen wir den Treibstoffverbrauch aller Haupt- und Hilfsmaschinen sowie der Kessel an Bord, um ein genaues Bild der Emissionen zu erhalten.
Für Scope 2 erfassen wir die indirekten Emissionen, die durch den Energieverbrauch in unseren Büros entstehen. Zur Berechnung verwenden wir sowohl den standortbezogenen als auch den marktbezogenen Ansatz. Das heißt, wir berücksichtigen den durchschnittlichen Strommix unserer Büros und prüfen, ob es in den jeweiligen Märkten Möglichkeiten gibt, grüne Zertifikate zu erwerben.
Im Bereich Scope 3 erfassen wir aktuell die Emissionen, die durch den Kraftstoffverbrauch und die Dienstreisen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entstehen. Diesen Bereich entwickeln wir kontinuierlich weiter, um die Berichterstattung zu verbessern.
Insgesamt zielt unsere Methodik darauf ab, umfassende und transparente Daten zu liefern, die es uns ermöglichen, unseren ökologischen Fußabdruck genau zu messen und effektive Maßnahmen zur Emissionsreduzierung zu entwickeln.
Details hierzu finden Sie unter:
https://cdn.sanity.io/files/iufiix04/production/67a34246dad0cc3074ad6d4c2b1d05477bc137a.pdf (sanity.io)
Neuhold: Welche Investitionen sind Ihrer Meinung nach weiter notwendig und welche Anreize oder Richtlinien müssen noch geschaffen werden, um die Schifffahrt mit Hilfe der Ammoniaktechnologie und Ihren zusätzlichen Innovationen weiter zu dekarbonisieren?
Dr. Peters: Die größte Herausforderung für die weitere Dekarbonisierung der Schifffahrtsindustrie ist das erhebliche Preisgefälle zwischen herkömmlichen und kohlenstofffreien Kraftstoffen wie Ammoniak. Was wir brauchen, ist ein weltweites level-playing field und ein Mechanismus, der die Vorreiter unterstützt, anstatt zu benachteiligen. Die IMO-Regulierung spielt hier eine entscheidende Rolle, und das nächste Jahr wird für die dekarbonisierte Zukunft der Schifffahrt entscheidend sein. Mechanismen wie H2Global würden eine entscheidende Rolle bei der Beschleunigung der Kraftstoffproduktion und des Einsatzes von Kraftstoffen in der Schifffahrt spielen, indem sie die Preislücke schließen.
Neuhold: Um die CO₂-Emissionen bei der Herstellung von Medikamenten und Single Pill-Kombinationspräparaten effektiv zu erfassen und zu reduzieren, ist es entscheidend, klare Regeln und Prinzipien für die CO₂-Messung zu definieren. Herr Zimmermann, was sind die wichtigsten Regeln und Prinzipien für das Verfahren zur CO2-Messung bei Medikamenten/Single-Pill-Kombinationspräparaten, die als Standard eingeführt werden sollten?
Zimmermann: Um die CO₂-Emissionen von Medikamenten, insbesondere von Single-Pill-Kombinationspräparaten, effektiv zu messen, ist es wichtig, klare Regeln und Prinzipien zu befolgen. Der erste zentrale Ansatzpunkt sollte eine Lebenszyklusanalyse (LCA) sein. Diese Analyse deckt alle Phasen der Produktion ab – von der Rohstoffgewinnung über die Herstellung und Verpackung bis hin zur Entsorgung. Dabei müssen die Emissionen in allen Phasen erfasst werden, um ein vollständiges Bild der CO₂-Bilanz zu erhalten. Besonders entscheidend ist auch der Transport, der einen wesentlichen Teil der indirekten Emissionen (Scope 3) darstellt. Eine genaue Berücksichtigung des gesamten Lebenszyklus ist notwendig, um realistische und nachvollziehbare CO₂-Daten zu erhalten.
Zur Messung dieser Emissionen sollten Unternehmen die Emissionsquellen in Scope 1 (direkte Emissionen), Scope 2 (indirekte Emissionen durch Energieverbrauch) und Scope 3 (indirekte Emissionen aus der Lieferkette) unterteilen. Diese Systematik ermöglicht eine klare Zuordnung der Emissionen zu bestimmten Aktivitäten und hilft, die Emissionsquellen zu identifizieren, die den größten Beitrag leisten. Für die Berechnung ist die Verwendung standardisierter Konversionsfaktoren entscheidend, wie sie beispielsweise von DEFRA oder ISO vorgeschlagen werden. Diese sorgen für Konsistenz und Vergleichbarkeit der Daten.
Single-Pill-Kombinationspräparate bieten spezifische Vorteile, da durch die Kombination mehrerer Wirkstoffe in einer Tablette sowohl bei der Produktion als auch bei der Verpackung CO₂-Einsparungen erzielt werden können. Dies sollte ebenfalls in der Emissionsberechnung berücksichtigt werden. Der geringere Bedarf an Verpackung und Logistik wirkt sich positiv auf die CO₂-Bilanz aus, da weniger Materialien und Transporte notwendig sind.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die regelmäßige und transparente Berichterstattung der Emissionen. Unternehmen sollten ihre Daten offenlegen, um das Vertrauen von Stakeholdern zu gewinnen und sicherzustellen, dass gesetzliche Vorgaben eingehalten werden. Umweltzertifikate, wie der Einsatz von erneuerbaren Energien in der Produktion, können ebenfalls in die Berechnungen einfließen, um ein umfassendes Bild der Nachhaltigkeitsbemühungen zu liefern.
Neuhold: Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptoptimierungspotenziale in den Lieferketten und im Herstellungsprozess, die die CO2-Bilanz verbessern und den CO2-Impact verringern?
Zimmermann: Bei der Herstellung von Kombinationspräparaten liegt das größte Optimierungspotenzial zur Verbesserung der CO₂-Bilanz in der Reduktion von Verpackungsmaterial und Transportaufwand. Durch die Kombination mehrerer Wirkstoffe in einer Tablette können Verpackungseinheiten reduziert und damit Ressourcen eingespart werden. Zudem werden die Lieferketten effizienter, da weniger Produkte transportiert und gelagert werden müssen, was den CO2-Impact verringert. Weitere Optimierungen können durch den Einsatz erneuerbarer Energien in der Produktion, effizientere Produktionsprozesse und eine nachhaltige Rohstoffbeschaffung erreicht werden.
Neuhold: Wie positioniert sich Ihr Unternehmen aktuell im Bereich ESG und welche Ziele haben Sie in Bezug auf Nachhaltigkeit und Net Zero, insbesondere im Kontext des PwC ESG Frameworks (siehe Abbildung oben)?
Zimmermann: Um den Kontext, in dem wir uns bewegen, deutlicher zu skizzieren, möchte ich zunächst einen Blick auf die breite Perspektive der Pharmaindustrie werfen. Üblicherweise stehen hier Produktsicherheit, -wirksamkeit und -kosten im Vordergrund, während ökologische Aspekte im Bereich ESG (Environmental, Social, and Governance) bislang nicht im Fokus waren. Der strukturelle Aufbau der Branche – insbesondere die Distanz zum Endkunden, bei dem der behandelnde Arzt die Medikation verschreibt und die Krankenkasse die Kosten übernimmt – führt dazu, dass ökologische Überlegungen oft hinter ökonomischen Aspekten zurückstehen.
Unser Unternehmen hat jedoch bereits signifikante Fortschritte in Bezug auf ökologische und soziale Komponenten gemacht. Im PwC ESG Framework haben wir dank der spezifischen Natur unserer Kombinationspräparate auf Produktebene bereits einen guten Reifegrad erreicht. Dennoch befinden wir uns im Bereich des ESG-Reportings auf einer vergleichbaren Stufe zu vielen anderen Unternehmen in der Pharmaindustrie.
Aktuell würden wir uns im PwC ESG Framework zwischen den Kategorisierungen „ESG Anhänger“ und „ESG Konkurrent“ einordnen. Unsere klare Zielsetzung ist es jedoch, uns zu einem „ESG Champion“ zu entwickeln, und wir sind überzeugt, dass wir bereits die notwendigen Grundlagen dafür geschaffen haben.
Ein positiver Trend, den wir beobachten, ist der zunehmende gesellschaftliche Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit. Immer mehr Menschen, einschließlich medizinischer Fachkräfte, legen verstärkt Wert auf nachhaltige Praktiken. Wir sind daher zuversichtlich, dass auch Ärzte zukünftig nachhaltige Produkte stärker berücksichtigen werden.
Dieser gesellschaftliche Wandel bestärkt uns in unserer Ambition, die Nachhaltigkeitsaspekte in unserer Unternehmensstrategie weiter zu vertiefen und somit einen Beitrag zu einer nachhaltigeren Zukunft zu leisten.
Neuhold: Entlang der Lieferkette fallen zahlreiche Daten an, die integriert, analysiert und visualisiert werden müssen, um eine umfassende Transparenz in der Lieferkette zu gewährleisten. Herr D‘Souza, welche Vorteile bietet das Sammeln strukturierter und qualitativ hochwertiger Nachhaltigkeitsdaten und welche Daten genau sind aktuell und in Zukunft besonders notwendig?
D‘Souza: Es hilft den Unternehmen, den gesamten Lebenszyklus eines Produkts von der Rohstoffgewinnung bis zur Entsorgung besser zu verstehen. Diese Transparenz ist besonders wichtig, da die größten Umweltauswirkungen oft nicht aus den direkten Aktivitäten eines Unternehmens stammen, sondern aus der Lieferkette, den sogenannten Scope 3-Emissionen. Durch die genaue Erfassung dieser Daten können nicht nur Risiken und Ineffizienzen aufgedeckt, sondern auch Kosten gesenkt und widerstandsfähigere Lieferketten aufgebaut werden.
Derzeit sind Daten zu CO₂-Emissionen und Energieverbrauch besonders wichtig. Auch Informationen über die Herkunft und die Umweltauswirkungen von Materialien sollten von den Unternehmen stärker beachtet werden. In Zukunft werden noch detailliertere und umfassendere Daten benötigt, um fundierte Vergleiche zwischen verschiedenen Designs und Lieferanten anstellen zu können. So können wir noch nachhaltigere Entscheidungen treffen.
Das Sammeln strukturierter und qualitativ hochwertiger Nachhaltigkeitsdaten bietet für Unternehmen zahlreiche Vorteile. Es verbessert nicht nur die Transparenz und Glaubwürdigkeit, sondern ermöglicht auch fundierte Entscheidungen zur Ressourceneffizienz und Emissionsreduzierung. Darüber hinaus hilft es, ökologische und regulatorische Risiken frühzeitig zu erkennen und bietet gleichzeitig einen Wettbewerbsvorteil, da nachhaltiges Handeln zunehmend von Verbrauchern und Geschäftspartnern gefordert wird. Unternehmen, die ihre Nachhaltigkeitsziele klar messen und dokumentieren können, sind besser aufgestellt, um gesetzliche Vorschriften einzuhalten und Innovationen zu fördern.
Zukünftig werden neben den klassischen Daten zu CO₂-Emissionen und Energieverbrauch auch Informationen zur Biodiversität, Kreislaufwirtschaft und sozialer Nachhaltigkeit immer wichtiger. Diese Daten sind entscheidend, um langfristig Umweltziele zu erreichen und gleichzeitig wirtschaftliche Chancen zu nutzen. Letztlich ermöglichen diese Daten Unternehmen, nicht nur umweltfreundlicher zu agieren, sondern auch ihre Wettbewerbsposition zu stärken und innovativere, nachhaltigere Geschäftsmodelle zu entwickeln.
Neuhold: Welchen Einfluss haben belastbare und transparent dargestellte Umweltdaten für Unternehmen und welche Rolle spielt hierbei die Graph Technologie?
D‘Souza: Belastbare und transparent dargestellte Umweltdaten erfordern eine präzise Analyse und Darstellung komplexer Beziehungen und Muster. KI und Visualisierungstechnologie ermöglichen es, diese Beziehungen schnell zu erkennen und zu analysieren, was mit herkömmlichen Datenbankansätzen oft nicht möglich ist. Dadurch wird die Datenanalyse effizienter und Unternehmen können fundierte Entscheidungen treffen, um ihre Umweltleistung zu verbessern und Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.
Neuhold: Vielen Dank für das Gespräch.
Fazit
Um langfristig signifikante CO₂-Einsparungen zu erzielen, sollten sich Unternehmen also ambitionierte Ziele setzen und aktiv an der Reduktion ihrer Emissionen mitwirken. Der Umstieg auf kohlenstofffreie Energieträger und die Implementierung effizienterer Logistikprozesse sind wichtige Schritte in eine nachhaltige Zukunft. Mit diesen Maßnahmen positionieren sich Unternehmen nicht nur als umweltbewusstes Unternehmen, sondern können auch ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern und einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten.