Working Capital optimieren: Eine Aufgabe für die ganze Organisation

Plötzlich ist das Schreckgespenst zurück, die Inflation. Mehr als ein Jahrzehnt lang war Cash einfach da, niemand fragte nach dem Preis. Das hinterließ Spuren, denn viele hatten sich an die Droge des billigen Geldes gewöhnt und dabei wichtige Working-Capital-KPIs vernachlässigt. Aufgrund des massiven Sprungs bei den Zinsen ist nun eine ebensolche Verbesserung des Working Capital notwendig. Von vermeintlichen ‚Quick Wins‘ wie den Ramp Dollars bis hin zu detaillierten Produktionsprozessanalysen müssen alle Stellhebel angegangen und ehrgeizige Ziele gesetzt werden. Hierbei gilt es, nicht nur Schlüsselpersonen sondern die ganze Organisation mithilfe des Werttreiberbaums mitzunehmen – wie das Beispiel des Sicherheitstechnik-Herstellers BARTEC zeigt.

Im Laufe seiner Jahrzehnte langen Geschichte ist die BARTEC Gruppe zu einem Weltmarktführer im Explosionsschutz gewachsen. Dieses Wachstum war über Strecken durch Akquisitionen begleitet, die aus Branding-Gründen über Jahre nicht voll integriert wurden. Dies führte in Bereichen wie dem des gruppenweiten Working Capital Management teilweise zu Ineffizienzen. Aufgrund des starken profitablen Wachstums sowie des über viele Jahre billigen Geldes waren erhöhte Bestände auch kein Problem. Mit Corona und spätestens dem Ukrainekrieg kamen dann jedoch unter anderem Faktoren wie unterbrochene Wertschöpfungsketten und Zinsen ins Spiel, die das Working Capital Management in den Fokus stellten.

Integration und kultureller Wandel: Die Rolle des Shared Service Centres in Ljubljana

Es galt, die gesamte Gruppe stärker zu integrieren und auf ein Mindset einzuschwören, das, abgeleitet aus dem guten alten Werttreiberbaum, die Stellgrößen für den Return on Capital Employed (ROCE) in den Vordergrund stellt: neben dem Earnings before Interest and Taxes (EBIT) eben auch die Asset Base, die in einem von Ingenieuren und kundenspezifischer Entwicklung geprägten Unternehmen eben zu einem Großteil aus Working Capital besteht. Das Bewusstsein, dass durch die Integration der Lieferketten innerhalb der Gruppe nicht nur nicht mehr alle Arten von Vorräten an jedem Standort vorgehalten werden müssen, sondern dies letztendlich insbesondere zu einer Beschleunigung der Lieferfristen an den Kunden führt, war
für viele augenöffnend.
Die Abkehr von einer Welt der vielen kleinen Inseln, die immer nah am Kunden waren und versuchten, alle Probleme des Kunden sofort vor Ort zu lösen, hin zu einer Welt der Aufgabenteilung wie auch der Zentralisierung bestimmter Tätigkeiten, war ein weiterer einschneidender Schritt des kulturellen Wandels.
Unser Shared Service Centre in Ljubljana kämpfte über die ersten Jahre seines Bestehens mit einem Akzeptanzproblem. Dazu muss man wissen, dass das Verständnis von Shared Services bei BARTEC über die landläufige Definition hinausgeht. So sind Bereiche vom technischen Einkauf bis zu einem Team für technische Zeichnungen enthalten. Gerade diese Bereiche wurden in der heterogenen Konzernlandschaft zunächst weder verstanden noch gewünscht. Am Ende war es der „tone from the top“, der diese Akzeptanz schrittweise in die Organisation brachte – nicht zuletzt aber auch die vielen kleinen Erfolgserlebnisse. So konnten plötzlich regionale oder globale Rahmenverträge abgeschlossen werden, die die Preiskomponente der Vorratsbewertung oder Zahlungsziele mit Lieferanten beeinflussten. Beides zahlte auf das Net Working Capital und damit auf die Cash-Generierung ein.

Ehrgeizige Ziele setzen und feiern

Um eine Organisation wirklich auf das nächste Level zu heben, sind sehr ehrgeizige Ziele unerlässlich. Wir trieben dieses Prinzip auf die Spitze und setzten einen Zwei-Jahres-Plan auf, der darauf abzielte, die Net-Working-Capital-KPIs signifikant zu reduzieren und gleichzeitig starkes Geschäftswachstum zu ermöglichen. Ein wichtiger Erfolgsfaktor war dabei die logische Trennung der Reduktion vom Wachstum. In Form einer V-Kurve definierten wir zunächst unter der Annahme eines konstanten Geschäftsvolumens das Zielumlaufvermögen, um erst dann das durch das wachsende Geschäft absolut ansteigende Working Capital einzuplanen. Durch diese logische Trennung gab es keine Ausflüchte, warum das Vorratsvermögen in einer Produktions- oder Vertriebseinheit dennoch steigen musste. Jede der Einheiten musste zudem den gleichen relativen Beitrag zur Verbesserung leisten. Damit wurden auch vermeintliche Klassenprimi mit ins Boot geholt.

Tief bohren, von ganz oben…

Das Setzen von Zielen allein reicht nicht aus. Der Weg und die Verantwortlichkeiten waren bei dem Vorhaben ebenso klar zu definieren wie auch mitunter sehr detaillierte KPIs, die auf das große Ziel einzahlten. Diese konnten Lagerdurchlaufzeiten einzelner Produkte einer Vertriebseinheit oder die Ramp Dollars einer Produktionsstätte messen. Alles musste auf dasselbe Ziel einzahlen und logisch daraus ableitbar sein, im Sinne eines immer weiter verzweigten Werttreiberbaums.
Eine Organisation muss lernen, mit dem Konzept des Werttreiberbaums umzugehen und es zu nutzen. Sie muss verstehen, dass sich die Cash-Generierung eines Unternehmens nicht nur aus dem Umsatz, sondern auch aus einem aktiven Working Capital Management speist und dass jeder Einzelne einen Beitrag leisten kann. Dazu braucht sie Hilfe, die von ganz oben kommen muss. Das C-Level darf sich dabei nicht zu schade sein, genau diese Details mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu entwickeln und wiederum Erfolge zu feiern.

… und dabei den Blick auf das Ganze nicht verlieren

Bei aller Optimierung in bestehenden Strukturen sind es jedoch eben diese Strukturen selbst, die regelmäßig hinterfragt werden müssen. Make-or-buy ist nicht nur in der Produktion, sondern auch im Vertrieb und allen anderen Geschäftsprozessen stets zu hinterfragen. Durch ein Vertriebspartnernetz zum Beispiel können unter anderem Vorräte ausgelagert und Kundenrisiken übertragen werden (Nenner im ROCE). Am Ende entscheidet aber die gesamtheitliche quantifizierte Bewertung aller Vorteile gegenüber der damit abgegebenen Marge (Zähler im ROCE).
Gleiches gilt für das globale Lagerkonzept. Der Trade-off zwischen einer zentralen und dadurch potentiell geringeren Lagerreichweite (Nenner) und ggf. längeren Lieferzeiten und damit abnehmender Kundenattraktivität (Zähler) ist genau zu bewerten. Regionale Unterschiede machen den Lösungsraum dabei komplexer: Die kompakte Geografie und wirtschaftliche Einheit Europas sind nicht vergleichbar mit der Weitläufigkeit Asiens. Ganz abgesehen von unterschiedlichen Kundenanforderungen.
Am Ende zählt bei den globalen Konzepten, genauso wie bei den lokalen Optimierungen, die Nachhaltigkeit der Maßnahmen. Diese wird am besten erreicht, wenn jeder einzelne Mitarbeiter Verständnis und Buy-in aufbaut – für den ganzen Werttreiberbaum wie eben auch für seinen eigenen ganz konkreten Beitrag.

Der Autor:
Dr. Thomas Rudolf Fritzmann ist Chief Financial Officer der BARTEC Gruppe, dem Weltmarktführer für explosionsgeschützte Elektrik und Elektronik. Thomas Fritzmann hat langjährige internationale Industrieerfahrung, darunter nahezu 10 Jahre in Emerging Markets, und begleitet BARTEC seit Anfang 2022.