Worauf es bei Digitalisierungsprojekten im Einkauf ankommt

Digitalisierung wurde zu einem Modebegriff, bei fast allen Unternehmen und dort speziell im Management. Auch in der Technologie-Beratung haben sich das Wesen von Technologie-Projekten und deren Herausforderungen gewandelt. Wenn es um die Umsetzung von Digitalisierungsprojekten geht, stehen Einkaufsleiter vor der Frage, wie sie mit der Umsetzung bei der Digitalisierung von Geschäftsprozessen in der Beschaffung umgehen sollen.

Ein IT-Projekt bleibt ein IT-Projekt – auch im Zeitalter der Digitalisierung. Die Herausforderungen sind seit Jahren die gleichen, hinzu kommen aber die Möglichkeiten, die moderne Technologien wie Cloud, Agilität oder Industrie 4.0 bieten. Geht man mit einer traditionellen IT-Philosophie heran, sind heutige Projekte zwar nicht zum Scheitern verurteilt, doch man nutzt die Möglichkeiten der Digitalisierung nur unzureichend.

Der erste Paradigmenwechsel ist der Weg von on-premise Lösungen hin zur cloud-basierten Plattform, der nächste die Umsetzung echter end-to-end Prozesse und als logischer Schritt das Überwinden von Unternehmensgrenzen bei der Abbildung von Geschäftsprozessen. Nicht zu vernachlässigen ist dabei – dies ist Gegenstand etlicher Veröffentlichungen – die Herausforderung, den Menschen auf dieser Reise mitzunehmen, vom gelegentlichen User bis hin zum Topmanagement.

Meist empfiehlt sich eine evolutionäre Vorgehensweise

Der wichtigste Ausgangspunkt ist das Wissen des Einkaufsleiters, wohin die Reise gehen soll, vulgo der Scope. Digitalisierung bietet mehr als je zuvor die Möglichkeit, wirklich durchgehende Geschäftsprozesse umzusetzen. Der Modebegriff end-to-end Prozess widerspiegelt dies. Eine grundsätzliche Frage ist, ob man zu einem revolutionären Vorgehen neigt und die Abläufe in der Beschaffung auf einen Schlag umkrempelt und eine neue Welt baut – oder man sich für ein evolutionäres Vorgehen entscheidet. Mit der wichtigste Aspekt ist die Transformationsfähigkeit des eigenen Unternehmens: Nur in den wenigsten Fällen funktioniert ein Vorgehen, das sich am Business Process Reengineering orientiert. Erfolgversprechender ist ein evolutionäres Vorgehen, das sukzessive im Rahmen eines agilen Vorgehens entlang der Prozesskette Abläufe digitalisiert.

Ein guter Start sind die operative Beschaffung und die Nutzung elektronischer Rechnungsprozesse bei gleichzeitiger Anbindung von Lieferanten. Dies ermöglicht dem Einkauf, in einem zweiten Schritt strategische Funktionen wie Ausschreibungen, Vertragsmanagement, Lieferanten-Management und elektronische Analysen abzubilden. Ergebnis ist ein digitales Prozessmodell, das den Wertbeitrag des Einkaufs darstellt. Dieses Vorgehen steht und fällt mit einer innovativen Lösung, die sich permanent weiterentwickelt. Erfahrungsgemäß sind dort cloud-basierte Plattformen im Vorteil, da Innovationen schneller bereitstehen. Cloud-Lösungen sind leichter zu skalieren als klassische Software, daher eignet sich dieser Ansatz sowohl für den Mittelstand als auch für global agierende Konzerne. Ein unschlagbarer Vorteil!

Gleichwohl ist zu beachten, dass das Rad nicht neu erfunden wird: ERP-Systeme im Unternehmen werden auch im Zeitalter der Digitalisierung ihre Wichtigkeit behalten. Entscheidend ist es, digitale Lösungen im Einkauf so eng wie möglich in ERP-Plattformen zu integrieren. Diese Integration, einer der wichtigsten Punkte bei der Digitalisierung, macht beim eigenen ERP-System nicht Halt: Die Integration von Lieferantensystemen und insbesondere externe Dienstleister als Datenlieferanten müssen im Fokus des Managements sein. Im Rahmen solcher Initiativen muss dabei realistisch beurteilt werden, welche technischen Möglichkeiten und Einschränkungen es (noch) gibt. Nicht jeder Geschäftspartner ist bereits auf den Zug der Digitalisierung aufgesprungen, also müssen Lösungen auch Akteure integrieren, die noch in der alten Welt zu Hause sind. Ein oftmals vernachlässigter Aspekt und entscheidender Erfolgsfaktor!

Changemanagement rückt in den Mittelpunkt

Neben Digitalisierung wird der Begriff Agilität gerne angestrengt. Nimmt man den oben beschriebenen Ansatz als Grundlage, bietet sich hier jedoch in der Tat ein agiles Vorgehen an. Die Projektdauer ist in diesem Zusammenhang weniger durch die Größe oder Komplexität des Unternehmens vorgegeben: Einkaufsprojekte dauern bei einer guten Planung nicht länger als drei bis sechs Monate. Dies bedeutet, dass die Umsetzung weitaus schneller als bei klassischen IT-Projekten erfolgt. Kürzere Projektzyklen sind eine Herausforderung: Wo traditionelle IT-Projekte das Handling der Technologie im Mittelpunkt hatten, muss heute die Transformation in der Organisation und damit der Mensch viel mehr in den Fokus rücken. Der Bedarf an Zeit und Ressourcen verschiebt sich konsequenterweise stark von der IT – die heute sehr robust und zuverlässig funktioniert – hin zum Changemanagement, was der eigentliche Aufwandstreiber ist. Ist dem Management dies bewusst, kann mit der richtigen Lösung und dem richtigen Vorgehen weitaus mehr erreicht werden als in der Vergangenheit, und dies bedeutend schneller.

Zurück in der traditionellen Welt ist man spätestens mit Abschluss solcher Einkaufs-Projekte. Digitalisierung hat keinen Schlusspunkt mit Projektende, sondern muss auch die Betriebsphase berücksichtigen. Hier gilt das Gleiche: Der technische Betrieb von Einkaufslösungen wird durch die Cloud einfacher, der CPO muss jedoch berücksichtigen, dass alle Stakeholder innerhalb wie außerhalb des Unternehmens abgeholt sind und einen Ansprechpartner haben. Das Aufsetzen eines entsprechenden Betriebsmodells, aufgespaltet in technischen und fachlichen Bereich, ist insofern essenziell.

Bei der Weiterentwicklung des Einkaufs bieten die Möglichkeiten der Digitalisierung ungeahnte Möglichkeiten. Allen voran ist die Nutzung innovativer cloudbasierter Lösungen, die konsequente Nutzung eines evolutionären und agilen Vorgehens bei der Umsetzung sowie die Integration von externen Dienstleistern und Lieferanten wichtig. Dies konsequent umgesetzt kann sich der Einkauf als einer der wichtigsten Innovationstreiber im Unternehmen etablieren. Erfolgreiche Projekte der letzten Jahre zeigen dies.

Der Autor: Mario Wissel, Geschäftsführer bei Acantis, blickt auf fast 20 Jahre Erfahrung an der Schnittstelle zwischen Einkauf und IT zurück. Nach Stationen in der Logistik und Luftfahrtbranche war er als Partner in einer großen Unternehmensberatung für den Bereich  Procurement verantwortlich. Seit sechs Jahren ist er als Gründer und Geschäftsführer von Acantis gefragter Ansprechpartner bei Digitalisierungsprojekten in Beschaffung und Logistik.