Die Digitalisierung verändert Finanz- und Geschäftsprozesse grundlegend. Automatisierung, Künstliche Intelligenz (KI) und Analytics steigern Effizienz, reduzieren manuelle Eingriffe und verbessern Entscheidungsprozesse. Doch welche Technologien bieten den größten Mehrwert? Wie lassen sich Prozesse zukunftssicher gestalten? Unternehmen stehen vor der Herausforderung, die richtige Strategie zu finden – mit Lösungen, die nahtlos integriert, skalierbar und wirtschaftlich sinnvoll sind sowie abteilungsübergreifend erstellt werden.
Ist mein Prozess nach Go-Live auf SAP S/4HANA zu Ende digitalisiert?
Der Go-Live ist erst der Anfang, denn jeder Prozess kann durch Automatisierung, Künstliche Intelligenz und bessere Analysetools optimiert werden. In diesem Zusammenhang wird häufig auch von Hyperautomatisierung gesprochen. Es geht im Grunde darum, die verfügbaren Technologien, wie Robotic Process Automation (RPA), Low-Code/No-Code-Plattformen (LCNC), maschinelles Lernen (ML) und Künstliche Intelligenz (KI) gezielt einzusetzen, um Prozesse effizienter zu gestalten. Aber wo stehen die Unternehmen bei der Integration und Anwendung von Hyperautomatisierungs-Lösungen? Im Kontext einer Finanz- oder Unternehmenstransformation verfolgen die meisten unserer Mandanten den Ansatz, Prozesse innerhalb von Applikationsstandards wie z. B. S/4HANA einzuführen, um zukünftige Software-Upgrades oder Prozessänderungen schneller umsetzen zu können. Kundenspezifische Entwicklungen werden nur in Einzelfällen zugelassen, da ihre Kumulation einen Komplexitätstreiber darstellt. Dies kann jedoch sowohl die Nutzererfahrung als auch die Funktionalität einschränken. Da eine schlechtere Nutzererfahrung schwer vermittelbar ist und eher zu Widerständen führt, bedarf es konkreter Alternativen. In vielen Fällen bieten spezifische Lösungen von Drittanbietern mehr Benutzerfreundlichkeit und eine höhere Prozesseffizienz. Zahlreiche innovationsfreudige Anbieter bringen aktuell technische Entwicklungen in den Bereichen Automatisierung, Künstliche Intelligenz und Analytics auf den Markt, die bereits über standardisierte Schnittstellen zum Kern-ERP verfügen.
Digitalisierungspotenziale in End-to-End-Prozessen
Potenziale für den Einsatz von Automatisierung, KI und Analytics lassen sich in der Regel bereits aus der Prozessdokumentation ableiten. Falls Ihr Prozess eine der folgenden Aktivitäten beinhaltet, lohnt sich eine nähere Untersuchung:
› Erstellung eines Dokuments/Belegs auf Basis von kopierten oder recherchierten Daten
› Abgleich von Informationen/Daten über mehrere Systeme
› Erstellung individualisierter Informationen auf Basis vorhergehender Prozessaktivitäten
› Analyse von Text-, Sprach-, oder Bildinformationen
› Erstellung von Vorhersagen oder Forecasts
Werden diese Potenziale bereits im Rahmen eines Transformationsprojekts bzw. des Ziel-Prozessdesigns identifiziert, können kostenintensive Eigenentwicklungen vermieden und signifikante Prozessverbesserungen realisiert werden.
Im Folgenden möchte ich Ihnen einen kurzen Überblick über Digitalisierungspotenziale der folgenden Prozesse geben:
› Source-to-Pay (S2P)
› Order-to-Cash (O2C)
› Record-to-Report (R2R)
› Risk-to-Liquidity (R2L)/Treasury
› Plan-to-Perform (Pl2P)/Controlling
Source-to-Pay (S2P)
Der Source-to-Pay-Prozess (S2P) umfasst die gesamte Kette von der operativen Beschaffung bis zur Zahlungsabwicklung. Er ist entscheidend für die Lieferfähigkeit und die finanzielle Gesundheit eines Unternehmens. Bislang wurde der S2P-Prozess häufig durch regelbasierte Automatisierung verbessert. Einige Unternehmen setzen bereits auf Procurement- oder sogenannte Total Spend Plattformen, um den Beschaffungsprozess auf ein neues Level zu heben und KI integriert nutzen zu können. Aber auch wenn keine Plattform-Lösung zum Einsatz kommt, bieten sich Optimierungsmöglichkeiten. Durch die E-Rechnung erfährt der Prozess bereits einen Digitalisierungsschub, aber es gibt noch deutlich mehr Potenziale, beispielsweise:
› KI-gestützte Vertragsanalyse zur Massenauswertung von Lieferantenverträgen zur gezielten Vorbereitung von Verhandlungen mit Lieferanten
› KI-gestützte Beschaffung, bei der Mitarbeitende über natürliche Sprache und Chatfunktion eine Bestellung von Verbrauchsmaterial direkt im ERP-System auslösen können
› Intelligent Spend Management zur unternehmensweiten Konsolidierung und Analyse von Beschaffungsdaten
Order-to-Cash (O2C)
Der Order-to-Cash-Prozess (O2C) beschreibt den gesamten Ablauf von der Auftragsannahme bis zur Kundenzahlung. Ein effizienter Prozess hat direkte Auswirkung auf die Kundenzufriedenheit und kann den Zahlungseinzug beschleunigen. Vor dem Hintergrund gestörter Lieferketten, steigender Preise und Zinsen ist dies wichtiger denn je. Hier einige Beispiele, wie der Prozess weiter optimiert werden kann:
› Kreditmanagement mit Echtzeit-Überwachung der finanziellen Gesundheit sowie automatischer Analyse und Aktualisierung des Credit Scoring
› KI-gestützte halbautonome Bearbeitung im Collection Management
› Echtzeitverarbeitung von Aufträgen, Rechnungen, Zahlungen und Reduktion der manuellen Eingriffe.
Record-to-Report (R2R)
Der R2R-Prozess ist die Grundlage für die Finanzberichterstattung und umfasst die Erfassung, Konsolidierung, Analyse und Berichterstattung von Finanzdaten. Er unterstützt die Entscheidungsfindung und schafft Transparenz über die finanzielle Stärke des Unternehmens. Die Effizienz des Prozesses hängt wesentlich von der Systemintegration und der Datenqualität der vorgelagerten Geschäftsprozesse ab. Ist diese schlecht, erhöht dies den Abstimmungs- und Fehlerbereinigungsaufwand enorm. Ein guter R2R-Prozess bildet schnell geänderte Anforderungen von Anteilseignern, Aufsichtsbehörden und Analysten ab.
KI-gestützte Finanzassistenten können heute schon:
› unterschiedliche Finanz- und Controlling-Dokumente sowie Richtlinien des Unternehmens analysieren und automatisch falsche Zuweisungen identifizieren
› alle Arten von Buchhaltungsfragen beantworten, beispielsweise Konten- und Kostenzuordnungen oder Klassifizierung verschiedener Sachverhalte
› Anomalien und Risiken erkennen, z.B. im Zusammenhang mit steuerlichen Themen
Risk-to-Liquidity (R2L)/Banking und Treasury
Der Risk-to-Liquidity-Prozess (R2L) beschreibt alle Aktivitäten zur Sicherstellung und laufenden Optimierung der Liquidität – von der Risikoerhebung über die strategische Ausrichtung, die Finanzierungsplanung bis hin zur Abwicklung von Finanztransaktionen und dem Liquiditätsreporting. Derzeit konzentrieren sich viele Unternehmen darauf, ihre Prozesse durchgängig zu integrieren, Prozessschritte zu automatisieren, die Genauigkeit zu erhöhen und Kapazitäten von Funktionen freizusetzen. Hier einige Beispiele, wie dies erreicht werden kann:
› Echtzeit-Reporting über Zahlungsströme zur Reduzierung des Fehlerrisikos, z.B. durch fehlgeleitete Zahlungen und Transparenz über bankspezifische Gebühren
› KI-gestützte Assistenten zur Erkennung von Betrugsversuchen oder Finanzrisiken ›
Optimierung der Cashposition unter Berücksichtigung verschiedener Szenarien und Marktbedingungen
Plan-to-Perform (Pl2P)/Controlling
Im Prozess Plan-to-Perform (Pl2P) geht es darum, Strategien und Pläne in operative Prozesse zu integrieren, um das Unternehmen wertorientiert steuern zu können. Die vergangenen Jahre waren geprägt von volatilen Marktbedingungen und sich verändernden Geschäftsmodellen. Controlling-Teams stehen vor der Herausforderung, permanent größere und komplexere Datenbestände in immer kürzerer Zeit zu analysieren und auszuwerten, um Unternehmen und Management mit entscheidungsrelevanten Informationen zu unterstützen. Folgende Technologien können dabei helfen:
› Analytics Tools zur Konsolidierung von Daten aus Finanz- und operativen Systemen
› Workflow-Management-System zur Verbesserung der Aufgaben-Orchestrierung in der Planungsphase
› Chat-Bots zur Daten- und Ergebnisanalyse mit Hilfe menschlicher Sprache
› Predictive Analytics zur Erkennung von Trends und Risiken
Prozessmanagement als Schlüssel zum Erfolg
Alle End-to-End-Prozesse erfordern eine gemeinsame Struktur und Terminologie. Daher ist eine durchgängige Prozesshierarchie von zentraler Bedeutung und ebenso wichtig wie ein Kontenplan für die Finanzbuchhaltung.
Eine durchgängige Prozesshierarchie bildet die Grundstruktur beispielsweise für eine agile Lösungsentwicklung in Projekten und die künftige Supportorganisation, z.B. eine Global Process-Owner Organisation (GPO). Sie hilft, Funktions- und Abteilungsgrenzen zu überwinden und den Prozess zu verbessern.
Moderne Technologien und Ansätze unterstützen eine GPO durch:
› KI-gestütztes Process Mining zur besseren Identifizierung von Schwachstellen in Geschäfts- und Supportprozessen
› Change-Analyzer zur proaktiven Identifizierung und zum zielgerichteten Testen der von einem Upgrade betroffenen Prozesse
› Cloud-basierte ALM-Toolchains für sichere und gezielte Live-Implementierungen von Releases und kleineren Entwicklungen
Fazit: Technologie als Wettbewerbsvorteil nutzen
Die Chancen, die sich aus Automatisierung, KI und Analytics ergeben, sind immens – die Herausforderung besteht jedoch darin, aus dem stetig wachsenden Angebot am Markt die richtige Kombination technologischer Lösungen zu finden, die das ERP-System als zentrales Element ergänzen. Die folgende Grafik zeigt, wie, ausgehend von der Prozesshierarchie und -dokumentation, Automatisierungspotenziale identifiziert werden können.

Identifizierung von Automatisierungspotenzialen, Quelle: EY
Der Schlüssel liegt in einer klugen Digitalisierungsstrategie, die individuelle Unternehmensanforderungen berücksichtigt. Welche Technologien den größten Mehrwert bieten, hängt von der spezifischen Ausgangssituation ab. Die Zukunft gehört Unternehmen, die digitale Potenziale gezielt ausschöpfen, um ihre Finanz- und Geschäftsprozesse effizienter, sicherer und zukunftsfähiger zu machen.