Wie humanoide Roboter und das Industrial Metaverse die Industrie transformieren
Jens Fath
Matthias Medler

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Fachkräftemangel, volatile Märkte, steigende Anforderungen an Nachhaltigkeit – die Industrie steht an einem Wendepunkt. Kognitive und humanoide Roboter in Kombination mit dem Industrial Metaverse versprechen nicht nur Effizienz, sondern eine neue Form der Mensch-Maschine-Kollaboration. Ein Gespräch über Technologie, Transformation und den Weg in eine resiliente Produktionszukunft.

Die Industrie steht unter Druck – wirtschaftlich, technologisch und personell. Warum rücken humanoide Roboter gerade jetzt in den Fokus?

Fath: Humanoide Roboter eröffnen in Zukunft neue Perspektiven, weil sie über die klassische Automatisierung hinausgehen. Sie können monotone, körperlich belastende oder sicherheitskritische Aufgaben übernehmen – das entlastet Mitarbeitende und sichert die Produktions-
fähigkeit. Warum gerade jetzt? Vor allem die USA und China treiben die Serienreife und die Massenproduktion von humanoiden Robotern mit einer extremen Geschwindigkeit nach vorne. Auch wir in Europa müssen jetzt aktiv handeln, um nicht erneut eine wichtige technische Innovation zu verpassen. Zuschauen und abwarten ist keine Option!

Was unterscheidet humanoide Roboter von klassischen Cobots oder klassischer Automation?

Medler: Diese Systeme lassen sich flexibel in vorhandene Produktionssysteme integrieren und können Arbeitsaufgaben von Menschen übernehmen, die früher nur mit aufwändiger und unflexibler Automatisierungstechnik zu realisieren waren – sie denken mit, lernen dazu und arbeiten sicher mit dem Menschen zusammen. Der Unterschied liegt in der Fähigkeit zur echten Interaktion. Humanoide Roboter verstehen Sprache, Gestik und ihre Umgebung. Sie verarbeiten sensorische Informationen visuell, akustisch und taktil, analysieren Situationen in Echtzeit und passen ihr Verhalten selbstständig an. Mit maschinellem Lernen und adaptiven Algorithmen werden sie kontinuierlich besser.

Die Rolle humanoider Roboter im Industrial Metaverse

Humanoide Roboter sind nicht nur Werkzeuge, sondern intelligente Knotenpunkte in einem vernetzten Ökosystem:

› Digitale Zwillinge: Über entsprechende Plattformen sind alle Roboter mit virtuellen Abbildern verknüpft. Änderungen in der physischen Welt spiegeln sich in Echtzeit digital wider – und umgekehrt.
› Simulationsumgebung: Neue Prozesse, Arbeitsplätze oder Interaktionen können realitätsnah simuliert und getestet werden – ohne Risiko für die reale Produktion.
› Remote Monitoring: Die Roboter lassen sich aus der Ferne überwachen, analysieren und anpassen – über Dashboards, Tablets oder AR-Brillen.
› Trainingsplattform: Mitarbeitende können mit virtuellen Robotern interagieren, Abläufe üben und neue Skills erwerben – im Metaverse und ohne Eingriff in den laufenden Betrieb.

Und wie gelingt der Einstieg in diese Technik – gerade auch im Hinblick auf mittelständische Unternehmen?

Fath: Entscheidend ist, dass die Technologie intuitiv bedienbar ist und sich leicht in bestehende IT-Landschaften integrieren lässt. Wenn Roboter über offene Schnittstellen mit ERP-, MES- oder SCADA-Systemen kommunizieren und sich ohne Programmierkenntnisse konfigurieren lassen, wird humanoide Robotik auch für kleinere Unternehmen wirtschaftlich attraktiv.

Gibt es schon Beispiele aus der Praxis?

Medler: Nach unserer Einschätzung ist die Serienreife noch nicht erreicht, aber die Anzahl der Pilotprojekte und Einsatzfälle nimmt gerade im Bereich der Automobilindustrie und Logistik rapide zu. Die in diesen Bereichen gemachten Erfahrungen sichern die schnelle Weiterentwicklung ab und ermöglichen, dass ein standardisierter großflächiger Einsatz zu attraktiven Preisen auch für mittelständische Unternehmen bald möglich ist. Auch in Deutschland gibt es Produkte wie beispielsweise die humanoiden Roboter von NEURA Robotics, die in naher Zukunft serienreif sein werden.

EDAG wird häufig als Schlüsselpartner genannt, wenn es um das Industrial Metaverse geht. Was machen Sie hier konkret?

Medler: Wir verbinden jahrzehntelange Erfahrung in der Entwicklung und Industrialisierung von Produktionssystemen mit modernster Digitaltechnologie. Für uns ist das Industrial Metaverse die Heimat aller digitalen Zwillinge: vom Produkt über die Produktionsentwicklung bis zur realen Produktion. Das ermöglicht eine effiziente Entwicklung und eine wirtschaftliche Herstellung der Produkte unserer Kunden.
Es geht nicht nur um Visionen, sondern um industriell skalierbare Lösungen. Wir unterstützen Unternehmen bei der Use-Case-Identifikation, bei der IT/OT-Integration und beim Rollout in reale Werke. Damit wird das Industrial Metaverse zur produktiven Realität. So entstehen Business Cases, die sich nachhaltig rechnen.

Welche Voraussetzungen müssen Unternehmen schaffen, um mit dieser Technologie erfolgreich zu sein?

Fath: Der Weg in die Zukunft erfordert Offenheit für neue Technologien und die Bereitschaft, mit Pilotprojekten innovative Lösungen für das eigene Unternehmen zu erproben. Gerade mit dem Industrial Metaverse ist eine virtuelle Simulation und Absicherung der Use Cases vor der finalen Realisierung möglich. Die Fokussierung auf einen nachhaltigen Business Case und eine voll integrierte Enterprise Architektur ist hierbei ein wesentlicher Erfolgsfaktor.

In welchen Schritten erfolgt die vollständige Integration humanoider Robotik in die reale Produktion?

Medler: Neue Produkte und Produktionsprozesse werden mit den bekannten Expertensystemen digital geplant, simuliert und abgesichert. Die Verknüpfung aller Daten erfolgt im Industrial Metaverse. Auf dieser Datenbasis können wirtschaftliche Einsatzfelder von humanoiden Robotern sicher definiert werden. In der zweiten Phase kommen virtuelle Inbetriebnahme, immersive Simulationen und adaptive Assistenzsysteme zum Einsatz, die neue Prozesse digital testen und optimieren, bevor sie in der realen Produktion umgesetzt werden.

Langfristig entsteht eine vollintegrierte kollaborative Plattform, in der humanoide Roboter gemeinsam mit anderen intelligenten Systemen in Echtzeit koordiniert zusammenarbeiten. Die KI-gestützte Produktionssteuerung optimiert dabei Planung sowie Ausführung und passt sich selbstlernend an Veränderungen an.

Dieser mehrstufige Prozess steigert Effizienz, Resilienz – und sichert Unternehmen langfristig ihre Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit.

Fazit

Fath: Die Verbindung von humanoider Robotik und dem Industrial Metaverse steht nicht einfach für Automatisierung um ihrer selbst willen, sondern für eine grundlegende neue Logik in der Industrie – geprägt von Lernfähigkeit, Vernetzung und einem klaren Fokus auf den Menschen. Unternehmen, die heute in diese Technologien investieren, sichern damit nicht nur ihre Wettbewerbsfähigkeit, sondern legen auch das Fundament für eine robuste technologische und organisatorische Zukunft.