Wie Geschäftsprozesse mit Process Mining eine neue Qualität erreichen

Im digitalen Zeitalter entscheiden (in-)effiziente Prozesse über Erfolg und Misserfolg von Unternehmen. Doch wie wird Erfolg fördernde Effizienz zur alltäglichen Realität? Durch Prozesstransparenz und Prozessautomatisierung beispielsweise. Worum es dabei geht, erfahren Sie hier.

Ob bei Bestellvorgängen, in Liefer- und Serviceketten, bei der Produktfertigung, in Bezahlsystemen oder beim Cash-Management: Die Bedeutung effizienter Unternehmensprozesse können wir in einer digitalen, dynamischen Wirtschaftswelt nicht mehr hoch genug einschätzen. Der Effizienzdruck steigt und steigt – derzeit zum Beispiel auch infolge der Coronavirus-Pandemie und ihren wirtschaftlichen Folgen.

Dabei waren Unternehmen schon vor der Pandemie oft gezwungen, schnell und zielgenau auf neue Herausforderungen zu reagieren. Denken wir nur an die Komplexitäten, die der alles umfassende technologische Fortschritt mit sich bringt. Oder an die Globalisierung. Um sich an Makro-Entwicklungen erfolgreich anzupassen, müssen Unternehmen ihre internen und externen Geschäftsprozesse mittlerweile permanent adaptieren.

Allein schon deshalb sollte die bestmögliche Prozesseffizienz ganz oben auf den strategischen Unternehmensagenden stehen. Ein Teil des Weges – hin zur bestmöglichen Effizienz – besteht aus Prozessautomatisierung. Wie hat der Schriftsteller Franz Kafka vor über 100 Jahren gesagt: „Wege entstehen dadurch, dass man sie geht.“ Die Wege, die Sie in dieser Publikation kennenlernen, sind hochmoderne Technologien wie Process Mining, Robotic Process Automation (RPA) und WorkflowTools. Sie nehmen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Unternehmen und anderen Organisationen manuelle Tätigkeiten ab, reduzieren Fehlerquoten deutlich, beschleunigen innerbetriebliche Abläufe immens – und verschaffen den Beschäftigten wichtige Freiräume für andere Tätigkeiten. Allerdings: Neue Technologien sind keine Selbstläufer. Damit Unternehmen mit ihnen ans Ziel kommen, müssen sie komplexe Herausforderungen meistern.

Verborgene Defizite, teure Fehler, menschlicher Frust

Eine wesentliche Herausforderung ist, dass an Geschäftsprozessen in aller Regel viele unterschiedliche IT-Systeme, IT-Schnittstellen und Beschäftigte beteiligt sind. Deshalb sind solche Prozesse meist zunächst einmal intransparent. Und, ja, teils auch ineffizient. Zum Beispiel, weil es scheinbar unendlich viele Prozesszwischenschritte gibt und verschiedene Teams etliche davon kostenaufwendig mehrfach durchlaufen. Besonders häufig passiert das in Abteilungen wie dem Einkauf und dem Vertrieb, wo zwischen Kunden und Lieferanten immer wieder gleichartige Prozesse ablaufen. Aber auch im Lieferkettenmanagement, in der Produktion und im Rechnungswesen ist das Automatisierungs- und damit das Effizienzpotenzial hoch.

Nach wie vor führen in den meisten Unternehmen noch sehr viele Teams automatisierbare Routinetätigkeiten manuell aus. Denken wir nur an stundenlange Per-Hand-Übertragungen von Daten in Excel-Tabellen. Sie dauern „ewig“, führen zu Fehlern, also auch zu teuren Folgeaufwänden. Ganz zu schweigen vom Frust ambitionierter Teammitglieder, die unterfordert sind und sich deshalb höherwertige, komplexe, vielleicht sogar kreative Tätigkeiten wünschen.

Auf die Kehrseite prozessualer Mängel konzentrieren

Allerdings bleiben sehr viele Ineffizienzen selbst Unternehmensentscheidern völlig verborgen. Warum? Allein schon aufgrund hoher Komplexitäten und unzureichender abteilungsübergreifender Kommunikation! Die verbreitetsten Probleme bei Geschäftsprozessen sind Ineffizienz, Intransparenz und Fehleranfälligkeit. Andererseits bergen sie viel Effizienzpotenzial. Dieses Potenzial zu heben, gelingt mit Automatisierungstechnologien wie Process Mining und RPA, die teilweise sogar schon mit künstlicher Intelligenz und Machine Learning funktionieren.

Was genau dahintersteckt, wie Sie die neuen Möglichkeiten optimal nutzen und welche Voraussetzungen Sie in Ihrem Unternehmen dafür schaffen sollten – diese und andere Fragen beantworten auch die anderen Autoren dieser Publikation. An dieser Stelle möchten wir zunächst einmal grundlegend bleiben: Was sind Prozesse eigentlich?

Einen Prozess definieren wir als festgelegte Abfolge bestimmter Tätigkeiten mit einem Anfang und einem Ende. Sein Zweck ist, gleichartige oder verschiedene Tätigkeiten so zu organisieren, dass sie schnellstmöglich, kosteneffizient und fehlerfrei erledigt werden – ausgehend beispielsweise vom Bestelleingang des Kunden über die Produktbestellung in der Fertigung, die Produktion, vielleicht im Ausland, die Auslieferung an den Kunden bis hin zum umfassenden Service.

Häufige Anwendungsgebiete für Process Mining

In drei Schritten zu optimierten, flexiblen Prozessen

In der digitalen Wirtschaft müssen Prozesse aber noch etwas sein: flexibel! Denn Märkte sind heute extrem dynamisch. So ändern sich beispielsweise viel häufiger als früher Unternehmensstrukturen durch Zu- und Verkäufe, neue Produkte kommen immer schneller und mitunter in kleineren Tranchen auf den Markt, Kunden verändern ihre Erwartungen – und auch gesetzliche Vorschriften sind nicht mehr das, was sie mal waren: nämlich recht lange gültig. All das sind Faktoren, die Geschäftsprozesse mindestens beeinflussen und im schlimmsten Fall zügig ineffizient werden lassen, wenn Prozessverantwortliche sie nicht ständig im Blick behalten und rechtzeitig anpassen.

Prozessdefizite sind – technisch ausgedrückt – die Differenz zwischen einem Idealprozess und den tatsächlichen Prozessen, wie sie täglich hundert- oder gar tausendfach in Unternehmen ablaufen. Dabei könnte es auch anders gehen – etwa wie folgt in drei Schritten beschrieben.

Schritt 1: Prozess-Datenschätze „röntgen“

Wie oben erläutert bleiben den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Unternehmen die vollständigen Geschäftsprozesse meist verborgen. Deshalb braucht es zunächst, im ersten Schritt, eine detaillierte Analyse für maximale Prozesstransparenz.

Beim Process Mining zum Beispiel liest intelligente Software die Ereignisprotokolle von IT-Systemen aus. Diese Protokolle dokumentieren sogenannte digitale Spuren, die IT-Nutzer unendlich oft hinterlassen. Diese Spuren sind regelrechte Datenschätze, weil sie sich unter anderem auf wiederkehrende Muster und Trends hin untersuchen lassen; gewissermaßen mit einem „Röntgenblick“, der die Tiefen der IT-Systeme erfasst, bislang Verborgenes durchleuchtet und visualisiert – sogar in Echtzeit.

So werden beispielsweise mehrfach ausgeführte Prozessschritte oder unnötige „Umwege“ schnell transparent. Zudem ist in kurzer Zeit ermittelbar, welche bisher manuell ausgeführten Tätigkeiten sich automatisieren ließen. Womit wir bei RPA wären: Robotic Process Automation heißt, dass Software-Roboter bestimmte Tätigkeiten von Menschen übernehmen. RPA-geeignet sind insbesondere wiederkehrende, regelbasierte Aufgaben, die leicht standardisierbar sind.

Schritt 2: Optimierungen vorschlagen lassen

Im zweiten Schritt auf dem Weg zu effizienten Prozessen unterbreiten intelligente Technologien ihren Anwendern smarte Optimierungsvorschläge. Oder anders ausgedrückt: Nach dem Röntgenblick kommt nun der automatische „Therapievorschlag“. Auch dieser Schritt funktioniert hervorragend – für Finanzflüsse, Fertigungsabläufe, Produktivitätsverbesserungen und vieles mehr. Beispielsweise können Anwender analysieren, welche Lieferanten bestimmte Materialien am günstigsten, schnellsten, sichersten und pünktlichsten in ihr Unternehmen liefern. Oder sie erhalten Hinweise darauf, welche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von vorgesehenen Prozessen abweichen. Prozessverantwortliche, die davon wissen, können das zügig korrigieren. Damit sind wir beim dritten Schritt und auf der Zielgeraden.

Schritt 3: Vorschläge umsetzen und Potenzial heben

Im dritten Schritt der Prozessstrategie werden die auf den Analyseergebnissen basierenden Optimierungsvorschläge umgesetzt. Dabei ist es wichtig, ganzheitlich auf die untersuchten Prozesse zu blicken. Ebenso wichtig ist eine enge, konstruktive Zusammenarbeit zwischen den Anwendern und Implementierungsdienstleistern. Denn häufig liegen zum Beispiel benötigte Daten nicht in der erforderlichen Form vor, weshalb sie zunächst passgenau aufbereitet werden müssen. Auch Kompatibilitätsprobleme kommen vor – insbesondere dann, wenn Unternehmen auch selbst entwickelte Software einsetzen.

Übrigens: Für eine effiziente Implementierung von Automatisierungslösungen brauchen Dienstleister ein tiefes Branchenverständnis und praktische Erfahrung. Schließlich sollen sie individuelle Lösungen finden, die bestmöglich zu den individuellen Kundenanforderungen passen.

Strategische Fragen gewissenhaft beantworten

Die Unternehmen ihrerseits müssen wichtige strategische Fragen beantworten, um das Potenzial von Automatisierungslösungen wie Process Mining, RPA und Workflow-Tools voll auszuschöpfen. Verfügen sie über die nötigen technischen und organisatorischen Voraussetzungen? Sind die neuen Lösungen mit den bestehenden IT-Systemen und -Schnittstellen lückenlos kompatibel oder sind Anpassungen nötig? Wie unterscheiden sich die einzelnen Software-Anbieter? Nach welchen Kriterien sollte deren Auswahl erfolgen? Wann müssen sich die Investitionen amortisieren? Und last, but not least: Erfordern technische Prozessveränderungen weitere Anpassungen? Mitunter organisieren Unternehmen ganze Abteilungen neu.

Automatisierungslösungen sind in der digitalen Wirtschaft zentral

Unternehmen, die neue, digitale Geschäftsmodelle erfolgreich umsetzen wollen, brauchen effiziente interne Abläufe auf dem neuesten technologischen Stand. Sie sollten Standardprozesse auch deshalb automatisieren, weil der Fachkräftemangel zunehmen wird – in IT-Abteilungen, im Vertrieb, in der Kundenbetreuung, im Personalwesen und anderen Unternehmensbereichen. Technologien wie Process Mining, RPA und Workflow-Tools erfüllen eine Schlüsselrolle bei der digitalen Transformation. Dies gilt für alle Branchen und Unternehmensgrößen gleichermaßen.

Mit Automatisierungstools lassen sich klassische Geschäftsziele wie Umsatzsteige
rung und Kostensenkung erreichen. Auch eine höhere Kundenzufriedenheit ist damit möglich, wenn sie Kundenanfragen schneller, zuverlässiger und einheitlich bearbeiten. Auch regelbasierte Controlling-Aufgaben lassen sich extrem beschleunigen. Sogar bei der Umstellung alter ERP-Systeme, zum Beispiel auf SAP S/4HANA, sind digitale Automatisierungstechnologien immens nützlich.

Fazit: Es steckt enormes Potenzial in neuen Tech-Trends. Allerdings müssen wir sie klug zu nutzen wissen. Das dafür nötige Verständnis ist allein schon wegen der Vielzahl neuer Begriffe gar nicht so einfach. Nehmen wir nur „Process Mining“: Daran angelehnte Bezeichnungen sind beispielsweise Business Process Intelligence (BPI), Execution Management System (EMS) und End-to-End-Hyperautomation.

Mehr darüber, liebe Leserinnen und Leser, verraten Ihnen andere Prozessexperten auf
den folgenden Seiten. Die Autoren dieses Specials in der Aboausgabe des manager magazins wünschen Ihnen eine erkenntnisreiche, praxisrelevante und inspirierende Lektüre.

Der Autor: Christian Bartmann ist Partner bei PwC Deutschland und Head des PwC Center of Excellence für Process Intelligence. Er berät Unternehmen bei der effizienten und effektiven Nutzung von Process Mining und weiteren Automatisierungstechniken. Als Teil des Führungsteams der internationalen Expertengruppe bei PwC ist er für Fragen rund um die Transformation der Finanzfunktion und einer der weltweit führenden Experten bzgl. transaktionaler Exzellenz für Geschäftsprozesse.

 

 

 

Automatisierung als Schlüssel zum Glück

Process Mining, Robotic Process Automation (RPA) und andere Automatisierungslösungen implementieren: Wie Unternehmen dabei vorgehen sollten, erläutert Christian Bartmann, Partner bei PwC Deutschland in diesem Interview.

Herr Bartmann, zunächst: Worauf müssen Unternehmen achten, bevor sie Automatisierungstechnologien einführen?

Christian Bartmann: Wenn sie sich zum Beispiel nach einem Pilotprojekt entscheiden, Process Mining, RPA oder andere Technologien unternehmensweit einzusetzen, sollten sie ein geeignetes Betriebsmodell entwickeln, also Strategien für Implementierung und Umsetzung der Automatisierung festlegen. Für solche Betriebsmodelle gibt es unterschiedliche Ansätze.

Zum Beispiel?

Die meisten Unternehmen legen eine zentrale Einheit fest, die die Automatisierung erprobt – und danach auf andere Abteilungen überträgt. Häufig beginnen sie mit dem Finanzbereich und automatisieren dort Einkaufs- oder Vertriebsprozesse. Prozessänderungen und Effizienzgewinne werden dann oft recht schnell deutlich, sodass weitere Abteilungen die neuen Technologien nutzen wollen.

Genauso wie die vorige Abteilung?

Die Hauptziele sind dieselben: Fehlerminimierung und Effizienzsteigerung. Wo genau der Hebel dafür ist, differiert. Fokussiert der Einkauf vielleicht auf eine schnellere Bestellabwicklung, kann es der Innenrevision mehr darum gehen, dass alle Prozesse möglichst fehlerfrei ablaufen.

Wie geht es nach dem ersten Rollout weiter?

Meist wächst die anfangs eher kleine „Experimentiertruppe“ recht schnell, weil mehr Projekte für andere Abteilungen dazukommen. Ihre Hauptaufgabe bleibt die bestmögliche Umsetzungsqualität. Nutzen immer mehr Unternehmenseinheiten neue Automatisierungslösungen, wechseln Unternehmen oft vom zentralen in einen hybriden Modus.

Wie funktioniert ein hybrider Modus?

Die zentrale Einheit gibt die Rahmenbedingungen vor, doch in der Umsetzung sind die anderen Einheiten relativ frei. So können sie Lösungen besser an ihre Bedürfnisse anpassen, als wenn alles zentral gesteuert würde.

Gibt es auch Unternehmen, die von vornherein dezentral agieren?

Eher wenige. Ein dezentrales Vorgehen mit weitgehend eigenständigen Automatisierungsteams kann sinnvoll sein, wenn Unternehmen ohnehin stark dezentral organisiert sind und etwa unterschiedliche Einheiten unabhängig voneinander agieren.

Automatisierungstechnologien wie „Software-Roboter“ bearbeiten vieles eigenständig, wenn ihre Programmierer sie lassen. Wie wichtig ist da Kontrolle?

Wir nennen das „Governance“. Und die ist sehr wichtig. In der Praxis herrscht mitunter ein „Wildwuchs“ an Automatisierungslösungen. Unternehmen wissen oft gar nicht, wie viele Roboter eigentlich genau im Einsatz sind. Es braucht verlässliche Kontrollmechanismen übrigens auch für die Qualität der Finanzbuchhaltung, auch automatisierte Prozesse müssen nachvollziehbar und prüfbar bleiben.

Wie klappt das verlässlich?

Unternehmen sollten bei Automatisierungen alle Beteiligten von vornherein einbeziehen: die Beschäftigten, den Betriebsrat, Datenschutzbeauftragte et cetera. Nicht zuletzt, weil viele von ihnen befürchten, dass Technologien wie RPA und Process Mining intransparent arbeiten oder Beschäftigten den Job wegnehmen.

Was ist da dran?

Automatisierungstechnologien entlasten Menschen in aller Regel von monotonen, wenig motivierenden Aufgaben. Wenn die Beschäftigten erleben, dass Automatisierung ihnen in der Folge höherwertige Aufgaben verschafft, ist das ein Schlüssel zum Glück für alle Beteiligten.