Wie autonome KI-Agenten Finanzprozesse neu definieren
Uli Erxleben

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Die Automatisierung des Finanzwesens ist keine Zukunftsvision mehr – sie ist Realität. Doch die Transformation geht weit über klassische OCR- und RPA-gestützte Automatisierungen hinaus – und KI-Agenten stehen im Zentrum dieser Revolution. Sie analysieren, entscheiden und handeln autonom. Doch was bedeutet das konkret für Unternehmen, ihre Mitarbeiter und die gesamte Branche? Dieser Artikel gibt Antworten, zeigt Best Practices und beleuchtet, wie KI-Agenten Finanzprozesse revolutionieren.

Finanzprozesse am Limit: Warum manuelle Methoden scheitern

Die moderne Finanzwelt ist von einer nie da gewesenen Komplexität geprägt. Jahrzehntelang haben Unternehmen ihre Prozesse mit Tabellenkalkulationen, manueller Dokumentenprüfung und aufwendigen Abstimmungen gesteuert. Doch in einer Ära exponentiell wachsender Datenmengen, fragmentierter IT-Landschaften und immer strengerer Compliance-Vorgaben, stoßen diese traditionellen Methoden an ihre Grenzen – und drohen, ganze Unternehmen auszubremsen.

Die Realität? Finanzabteilungen kämpfen mit fehleranfälligen Prozessen, langsamen Durchlaufzeiten und steigender Arbeitslast. Die Konsequenz? Wichtige Entscheidungen basieren oft auf veralteten oder unvollständigen Daten, während sich Unternehmen in operativen Details verlieren. Gleichzeitig wachsen Datenmengen, regulatorische Anforderungen und der Druck, Analysen in Echtzeit bereitzustellen. Manuelle Methoden sind nicht nur ineffizient, sondern auch riskant – wer an ihnen festhält, gefährdet Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit.

Die Antwort? Intelligente Automatisierung durch KI-Agenten. Sie übernehmen nicht nur repetitive Aufgaben, sondern lernen kontinuierlich dazu, treffen datenbasierte Entscheidungen und optimieren Prozesse dynamisch.

Strategische Problemlösung: KI-Agenten als Innovationstreiber

Wie eingangs beschrieben, befindet sich die Finanzbranche in einem fundamentalen Wandel. In den letzten Jahren haben Unternehmen verstärkt Robotic Process Automation (RPA) und regelbasierte Systeme eingesetzt, um repetitive Aufgaben zu automatisieren. Doch diese Technologien stoßen an ihre Grenzen:

  • Mangelnde Flexibilität: Starre, regelbasierte Systeme können mit dynamischen, sich verändernden Geschäftsanforderungen kaum
    Schritt halten.
  • Begrenztes Dokumentenverständnis: Unternehmen kommunizieren mit Dokumenten wie Rechnungen, Bestellungen und Lieferscheinen. Diese Dokumente beschreiben in Sprache, um welche Geschäftsvorfälle es sich handelt. Regelbasierte Systeme sind nicht in der Lage, Sprache zu verstehen und fachliche Würdigungen vorzunehmen.
  • Hoher Wartungsaufwand: Jede Prozessänderung erfordert manuelle Anpassungen, wodurch Automatisierungslösungen oft teurer und aufwendiger werden als erwartet.
  • Fehlende Lernfähigkeit: Traditionelle Automatisierung führt aus, versteht aber nicht. Wenn neue Herausforderungen auftreten,
    muss der Mensch eingreifen.

Wir bei Hypatos haben einen Ansatz entwickelt, der weit über diese klassischen Automatisierungslösungen hinausgeht – von klassischer Automatisierung zur komplett neuen Paradigmenverschiebung. Dabei legen wir einen Fokus auf KI-Agenten – das sind Softwarelösungen, die auf Large Language Models (LLMs) basieren und die mit großen Datenmengen trainiert werden. Sie analysieren Dokumente in unterschiedlichen Formaten und Sprachen – Rechnungen, E-Mails oder Bestellungen – und integrieren sie direkt in Unternehmensabläufe. Diese KI-Agenten sind nicht nur programmierte Systeme, sondern intelligente Entitäten, die ein Verständnis für komplexe Zusammenhänge entwickeln und ihre Logik kontinuierlich anpassen. Das heißt sie können Sachverhalte verstehen, aus Feedback lernen und kontextbasiert entscheiden – und das in Echtzeit.

Agentic AI: Der nächste Evolutionsschritt

Ein zentraler Trend in der KI-Entwicklung ist das Konzept der Agentic AI. Gartner1) prognostiziert, dass bis 2028 etwa 33 Prozent der Unternehmenssoftwareanwendungen diese Technologie nutzen werden. Dies ist ein signifikanter Anstieg gegenüber 2024, als der Anteil noch unter 1 Prozent lag. Diese Entwicklung ist einer der wichtigsten technologischen Fortschritte der nächsten Jahre. Doch worum handelt es sich dabei genau? Agentic AI beschreibt autonome, intelligente Systeme, die über einfache Automatisierungsaufgaben hinausgehen. Diese Systeme:

  • treffen eigenständig Entscheidungen basierend auf Echtzeit-Datenanalysen, Unternehmenskontext und fachlichen sowie regulatorischen Anforderungen.
  • interagieren adaptiv mit Menschen und Systemen und passen sich an veränderte Bedingungen an.
  • lernen aus Fehlern, sodass sie mit der Zeit effizienter werden, anstatt manuell angepasst werden zu müssen.

Für Finanzabteilungen bedeutet dies einen Quantensprung. Statt sich auf starre Prozesse zu verlassen, erhalten Unternehmen dynamische, sich selbst entwickelnde Systeme, die Risiken minimieren, Effizienz maximieren und manuelle Eingriffe drastisch reduzieren.

Die neue Rolle der Finanzabteilung: Vom Verwalter zum strategischen Architekten

Mit dem Vormarsch von KI-Agenten verändert sich auch die Rolle der Finanzteams. Statt sich mit zeitintensiven manuellen Prozessen zu beschäftigen, können sie sich auf strategische Analysen, Planung und Wertschöpfung konzentrieren.

Vorteile durch den Einsatz von KI, Quelle: Hypotos

Die KI-Agenten transformieren dabei zentrale Prozesse im Finanzwesen wie zum Beispiel:

  • Eingangsrechnungsverarbeitung: Automatische Erfassung, Kategorisierung und Verbuchung von Rechnungen inklusive Freigabeprozesse und Zahlungsabwicklung.
  • Verarbeitung von Bestellungen: End-to-End-Automatisierung des Order-to-Cash-Prozesses, von der Bestellannahme bis zur Zahlungszuordnung.
  • Prüfung von Steuerbescheiden: Intelligente Analyse und Validierung von Steuerbescheiden unter Berücksichtigung aktueller Steuergesetze und unternehmensinterner Richtlinien.
  • Intercompany-Reconciliation: Automatisierte Abstimmung und Konsolidierung von konzerninternen Transaktionen und Salden.
  • Reisekostenprüfung: Systematische Überprüfung von Reisekostenbelegen auf Vollständigkeit, Richtigkeit und Compliance mit Unternehmensrichtlinien.
  • Lieferscheinverarbeitung: Automatische Erfassung und Abgleich von Lieferscheinen mit Bestellungen und Rechnungen.
  • ESG-Datenbereitstellung: Automatisierte Sammlung, Aufbereitung und Reporting von Nachhaltigkeitsdaten für verschiedene Stakeholder und Berichtsstandards.

Technische Implementierung am Beispiel Accounts Payable

In der Kreditorenbuchhaltung (Accounts Payable) gehen täglich zahlreiche Belege ein. Herausforderungen sind manuelle Datenerfassung mit hoher Fehlerquote, aufwendige Abstimmungen zwischen Systemen und Abteilungen sowie komplexe regulatorische Anforderungen wie Umsatzsteuerregeln, E-Invoicing und ESG-Vorgaben.

Ein KI-gestützter Dokumentenverarbeitungsagent kann beispielsweise den Kreditorenprozess von der Rechnungserfassung bis zur Zahlung wie folgt optimieren:

  1. Automatische Erfassung & Validierung: KI liest Rechnungsdaten aus und prüft sie auf Vollständigkeit und Fehler.
  2. Kontierung & Bestellabgleich: Automatische Zuordnung von Sachkonten, Kostenstellen und Abgleich mit Bestellungen und Wareneingängen.
  3. Steuerkennzeichen & Compliance: Ermittlung korrekter Steuerkennzeichen unter Berücksichtigung gesetzlicher Vorgaben.
  4. Automatische Klärung & Korrektur: Eigenständige Anfragen an Lieferanten oder Fachabteilungen bei Unstimmigkeiten.
  5. Buchung & Zahlungsvorbereitung: Finale Buchung und Überführung in den Zahlungslauf nach erfolgreicher Prüfung.

Der Nutzen ist klar: Dieser optimierte Workflow reduziert Fehler, minimiert manuelle Eingriffe und steigert die Effizienz erheblich. Durch die Automatisierung repetitiver Aufgaben werden schnellere Durchlaufzeiten, höhere Datenqualität und eine spürbare Entlastung der Fachabteilung erreicht. Mitarbeiter können sich auf wertschöpfende Tätigkeiten konzentrieren. Zugleich bleibt die letzte Entscheidung in sensiblen Fällen – etwa bei unklaren Kostenstellen – stets beim Menschen, unterstützt durch klare Handlungsempfehlungen der KI.

Eine globale Erfolgsgeschichte der KI-Automatisierung

2 Millionen Rechnungen pro Jahr, 80.000 Mitarbeiter, 30 Länder – eine logistische Herausforderung, die nach Innovation verlangte. Ein weltweit führendes Unternehmen der Baustoffindustrie stand vor der Aufgabe, ein enormes Rechnungsvolumen zu verarbeiten. Diese wurden über verschiedene Shared Service Center (SSC) für Märkte in Europa, Asien, Amerika und Afrika abgewickelt. Bestehende OCR-Lösungen waren ineffizient, fehleranfällig und verlangten manuelle Nachbearbeitung. Die Lösung? Eine KI-gesteuerte Accounts Payable Invoice Automation (APIA), nahtlos integriert in ERP- und Workflows weltweit.

  • Ein globaler Roll-out in 20 Ländern mit unterschiedlichsten regulatorischen und prozessualen Anforderungen – in nur sechs Monaten.
  • Über 90 Prozent Automatisierungsrate, drastisch reduzierte Fehler.
  • Schnellere Rechnungsdurchläufe und höhere Effizienz.

Das Unternehmen hat nicht nur seine Rechnungsverarbeitung revolutioniert, sondern auch einen neuen Standard für die Zukunft der Finanzautomatisierung gesetzt. KI hat hier nicht nur Prozesse optimiert, sondern  die gesamte Art und Weise transformiert, wie ein globales Unternehmen mit Milliardenwerten seine Finanzströme steuert.

Maximale Effizienz: Automatisierte Datenextraktion, Quelle: Hypatos

Ausblick: Die Zukunft der Finanzprozesse mit KI-Agenten

Die Automatisierung in den Finanzprozessen ist kein vorübergehender Trend, sondern eine grundlegende Notwendigkeit für Unternehmen, die wettbewerbsfähig bleiben wollen. Während herkömmliche manuelle und regelbasierte Systeme an ihre Grenzen stoßen, eröffnen KI-Agenten völlig neue Möglichkeiten.

Sie optimieren nicht nur die Rechnungsverarbeitung, sondern verbessern End-to-End Prozesse entlang der gesamten Wertschöpfungskette von P2P (Procure-to-Pay) bis O2C (Order-to-Cash). Gleichzeitig stärken sie die Compliance durch intelligente Validierung, automatisierte Betrugserkennung und eine transparente Dokumentation, die Risiken frühzeitig identifiziert.

Besonders wertvoll ist die nahtlose Integration in bestehende ERP-Systeme, die eine standortübergreifende Standardisierung ermöglicht. Dabei geht es nicht darum, Menschen zu ersetzen, sondern deren Expertise gezielt zu erweitern. Die wahre Stärke dieser Transformation liegt in qualitativ hochwertigen Daten, kontinuierlichem Lernen und absoluter Transparenz der Prozesse.

In den kommenden Jahren wird sich zeigen, wie KI-Technologien weiter reifen und welche neuen Möglichkeiten sie eröffnen. Doch eines steht fest: Wir stehen erst am Anfang einer Revolution, deren volles Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft ist. Unternehmen, die jetzt in KI-Technologien investieren, gestalten aktiv die Finanzwelt von morgen und sichern sich entscheidende Wettbewerbsvorteile.

Quellenangabe:

1) Gartner (2024): Intelligent Agents in AI Really Can Work Alone.
Here’s How.
Tom Coshow, 1. Oktober 2024. Verfügbar unter: https://www.gartner.com/en/articles/intelligent-agent-in-ai
(Letzter Zugriff: 10. März 2025).