Wir befinden uns am Anfang einer neuen industriellen Revolution. Sie wird von einer linearen zu einer zirkulären Wirtschaftsweise führen. Unternehmen, die Maschinen und Anlagen schaffen, können dabei eine herausragende Rolle spielen: wenn sie ihre Fertigungsstraßen klimaneutral entwickeln – und vor allem, wenn sie daran arbeiten, dass die Produkte, die aus diesen Anlagen kommen, kreislauffähig sind.
Sie waren meist elfenbeinfarben und purpurrot – und sind inzwischen weitgehend verschwunden. Die Deutsche Bundesbahn führte in der zweiten Hälfte der Sechziger Jahre die Elektrolokomotiven der Baureihe 103 ein. Mit etwas mehr als 10.000 PS sind es die leistungsstärksten Fahrzeuge, die bis heute auf deutschen Schienen unterwegs waren. Sie fuhren bis zu 200 km/h schnell und ermöglichten einen Inter-City-Verkehr im wahrsten Sinne des Wortes.
Bis in die Neunziger Jahre hinein galten die 103er als Flaggschiff der hiesigen Personenbeförderung. Dann wurden sie nach und nach durch eine andere Baureihe ersetzt und schließlich komplett aus dem Verkehr gezogen. Von den einst 145 gefertigten E-Lokomotiven sind nur einige wenige in Museen und Privatbahnen erhalten geblieben.
Die Baureihe 103 ist damit ein sehr gutes Beispiel für durchdachten Maschinenbau: ein Meisterwerk der Ingenieurskunst – was sich auch und insbesondere am Ende zeigte, weil die Erfindung kaum Spuren hinterließ.
Maschinen und Produktionsanlagen sind wie Elektrolokomotiven. Sie entstehen in einer relativ kleinen Stückzahl, selbst bei Export rund um den Planeten weiß man, wie viele es gibt, welche Materialien darin verbaut sind und was man am Ende ihrer Lebenszeit daraus gewinnen kann. Und so wie die E-Loks in Teilen Dieselfahrzeuge überflüssig machten und für den Umweltschutz wirkten, so können Fertigungsstrecken heute klimaschonend und klimaneutral kreiert werden. Das gilt für ihren Bau, den Umgang mit Rohstoffen und den Betrieb mit erneuerbaren Energien.
Eins muss man bei aller Bewunderung allerdings berücksichtigen. Bei Lokomotiven ist dies verhältnismäßig leicht. Man weiß, wie viele es gibt, weiß, wo sie sich befinden, und hat jederzeit Zugriff auf sie. Das lässt sich über viele Erfindungen sagen, die in einer drei-, vier- oder fünfstelligen Stückzahl entstehen. Was aber ist mit Produkten, die zu Milliarden auf den Markt kommen, die in alle Winkel der Welt verteilt werden und auf die man deshalb am Ende nicht Zugriff wie bei ausgemusterten Lokomotiven hat? Die Antwort auf diese Frage ist nicht leicht, in ihr steckt aber eine riesige Chance für den Maschinenbau.
Diese Leistung ist ein bedeutender Schritt, der Anerkennung verdient: Es ist wichtig, dass Produktionsanlagen heute zirkulär gedacht werden und emissionsarm laufen. Noch wichtiger ist es nun aber daran zu denken, was in diesen Anlagen entsteht, woraus die Produkte gemacht sind und wo Stoffe enden beziehungsweise nicht enden sollten. Was bei Lokomotiven gelingt, schafft man leider noch nicht bei Kühlschränken, Autos oder Smartphones. Für sie gilt vielmehr: Je billiger etwas in der Herstellung ist, desto mehr landet davon in der Umwelt – weil es eben nicht teuer ist, Neues zu produzieren. Zumindest nicht, solange Rohstoffe unbegrenzt zur Verfügung zu stehen scheinen.
Man muss sich den entscheidenden Unterschied zwischen B2B- und B2C-Geschäften bewusst machen. Im B2B-Bereich sind die Stückzahlen in der Regel viel geringer, man weiß, wo Produkte sind und kann sie zurückholen. Diesen Vorzug hat der Konsumentenbereich bisher nicht.
Ein anschauliches Beispiel dafür sind Maschinen, die Getränkekartons herstellen. Selbst wenn die Anlage klimaneutral läuft, ist ihre Gesamtwirkung gering. Das liegt daran, dass sie Milliarden und Abermilliarden Verpackungen produziert. Die Unternehmen liefern sie in jeden Supermarkt und jeden Kiosk, Kundinnen und Kunden nehmen sie mit nach Hause, verbrauchen, was darin steckt, und werfen sie anschließend weg. Wenn es gut läuft, landen die Getränkekartons in der gelben Tonne, so dass sie dank des Dualen Systems und im Rahmen der Möglichkeiten maximal verwertet werden. Ein Großteil solcher Verpackungen aber wird verbrannt, landet auf Deponien oder in der Umwelt – im doppelten Sinne weit weg von der Maschine, die sie einst hergestellt hat. Dies ist einer der zentralen Punkte, an denen die Transformation von einer linearen zu einer zirkulären Wirtschaftsweise gelingt oder scheitert.
Zwei große Chancen für den Maschinenbau: anders produzieren und künftig auch sorgsam wieder „de-produzieren“. Quelle: EY
Zugleich ist es die Stelle, an der deutlich wird, dass es um weit mehr als um CO2 geht. Oft ist mit Emissionen ausschließlich dieser Stoff gemeint. CO2 ist inzwischen so weit ins Bewusstsein der meisten Menschen vorgedrungen, dass selbst der hinter der Abkürzung stehende Fachbegriff Kohlenstoffdioxid weithin geläufig ist. Ein solcher Sprachgebrauch ist ein wichtiges Indiz dafür, wie weit Wirtschaft und Industrie den Umgang mit CO2 schon verändert haben.
Circular Economy bleibt nicht beim Kohlenstoff stehen, sondern beschäftigt sich mit allen Stoffkreisläufen und sucht für alle Materialien Lösungen. Sie kann dabei aber viel vom Kohlenstoff lernen. Zum Beispiel aus der damit verbundenen Regulatorik. Diese bildet wie die allermeisten Normen gleichermaßen einen Entwicklungsstand ab, wie sie Anreize für weitere Fortschritte setzt. Das gilt zum Beispiel für das Emission Trading System der Europäischen Union, das 2027 durch eine Neuauflage ersetzt wird, für den CO2-Zoll (Carbon Border Adjustment Mechanism) oder den nationalen CO2-Emmissionshandel, den China inzwischen für rund 40 Prozent seiner Ausstöße entwickelt hat.
So sehr diese Maßnahmen im Detail diskussionswürdig und verbesserungsfähig sind, so sehr können die Schritte bei dieser einen Emissionsart Vorbild für alle anderen werden. Wenn es gelingt, allgemeine Regeln zum Ressourcenverbrauch aufzustellen oder weitere Spezialregeln für einzelne Stoffe, dann hat die Wirtschaft mindestens Leitplanken. Im Idealfall wird sie dafür belohnt, wenn sie Emissionen aller Art verringert.
Bei vielen Produkten ist bis jetzt noch Folgendes zu beobachten: Es spielt am Anfang ihres Lebens keine große Rolle, welche Rohstoffe eingesetzt werden. Am Ende werden die wertvollen
Elemente herausgenommen, der Rest landet auf der Deponie. So war es im übertragenen Sinne beim CO2 auch. Es entstand in allen Produktionsprozessen ohne Rücksicht auf die damit verbundenen Mengen und wurde dann in der Atmosphäre „deponiert“.
Das Bewusstsein dafür hat sich wie beschrieben mittlerweile massiv verändert. Ein wesentlicher Grund dafür waren die Gedanken, die mit Scope 1-, Scope 2- und Scope 3-Emissionen verbunden sind. Scope 1 beschreibt die naheliegenden und direkten Ausstöße, etwa diejenigen, die entstehen, wenn man Öl oder Gas verbrennt. Die zweite Stufe beschreibt indirekte Emissionen. Diese werden Teil der Bilanz eines Unternehmens, wenn es Strom oder Energie zukauft, also nicht selbst erzeugt. Scope 3 sind weitere mit dem Produkt eines Unternehmens verbundene Emissionen, die in der Wertschöpfungskette vorher oder nachher verursacht werden, also bei Zulieferern von Materialien und bei Abnehmern der Produkte. Scope 1 und 2 sind leicht mess- und kontrollierbar, bei Scope 3 ist dies schwieriger. Dennoch unterstreicht diese Einteilung, dass CO2 für einen Stoffstrom steht, der schon verstanden wird.
Aus dem Scope-Ansatz kann man darüber hinaus eine zentrale Schlussfolgerung ziehen: Verantwortung hört nicht am Werkstor auf. Und auch nicht bei klimaneutralen Produktionsstraßen. Unternehmen müssen vielmehr hinterfragen, welche Emissionen sie mitverursachen – und zwar bei allen Materialien. Deshalb arbeiten die Verfechterinnen und Verfechter einer echten Kreislaufwirtschaft auf Schritte wie die Scope-Einteilung beim CO2 hin: Diese können für die Praxis eine wichtige Leitfunktion haben. Und dort wiederum kann der Maschinenbau perfekt ansetzen. Er muss, wenn er Anlagen entwickelt, nicht nur die Produktion denken, sondern auch die De-Produktion. Das umfasst im Wesentlichen vier Fragestellungen:
- Welche Materialien kommen in einer Fertigungsstraße zum Einsatz? Idealerweise sind eine Anlage und das Produkt so designt, dass dafür keine neuen Rohstoffe abgebaut werden, sondern ressourcenschonende Ersatzmaterialien genutzt werden können, zum Beispiel Recyclate oder Biokunststoffe.
- Wie werden die Materialien erfasst, die in der Produktion verwendet werden? Maschinen sollten Software und Datenbanken in sich tragen, die speichern, was in welchen Mengen in den Prozess einfließt. Das erleichtert später erheblich die Arbeit mit dem verbrauchten Produkt. Das Wissen um die Stoffe ist die Grundlage, um sie später im Kreis zu führen oder Abnehmer dafür zu finden.
- Wie werden die einzelnen Materialien verbunden? Wie leicht oder schwierig der spätere Umgang mit einem Produkt ist, hängt auch davon ab, wie leicht oder schwierig die Stoffe wieder voneinander zu trennen sind. Denkt man die De-Produktion mit, verändert das Abläufe und Mischungen.
- Wie bleiben die Materialien im Kreis? In der idealen Fertigungsstraße entstehen Produkte, die man zurückholen kann, und werden Materialien am Ende ihres vorherigen Lebenszyklus am Anfang des nächsten Prozesses wieder eingesetzt.
Diese vier Aspekte machen noch einmal deutlich, dass der Maschinenbau vor der Herausforderung steht, alles neu denken zu müssen – und dass er aber auch zwei riesige Chancen hat: Die erste Chance liegt darin, Innovationen für die Produktion zu entwickeln, die zweite Chance darin, De-Produktion zu ermöglichen – also viel mehr zu tun, als wertvolle Stoffe zu entnehmen und den überwiegenden Anteil zu schreddern. Das Potential für eine Branche mit rund 80.000 Unternehmen und drei Millionen Beschäftigten in der Europäischen Union ist gewaltig.
Die Unternehmen müssen ganzheitlich im Sinne von Produktion und De-Produktion denken. Gelingt dies, dann wird der Maschinenbau für die Kreislaufwirtschaft das sein, was einst die Lokomotiven der Baureihe 103 für die Deutsche Bundesbahn waren: ein Zugpferd.
Die Autoren:
Dr. Carsten Gerhardt, Herausgeber dieses Specials, ist Partner Advanced Manufacturing und Leiter des Kompetenzzentrums Kreislaufwirtschaft in der Unternehmensberatung von EY.
Mitautoren:
Frank Müller ist Partner Supply Chain Operations und Leiter des Bereiches Manufacturing und Andreas Welz ist Direktor und Leiter des PLM Kompetenzzentrums in Deutschland. Beide arbeiten in der Unternehmensberatung von EY.