Einsparungen von 30 Prozent beim Working Capital sind keine Seltenheit und bieten einen signifikanten Beitrag zur Innenfinanzierung. Damit es kein Strohfeuer bleibt, beginnt nachhaltiges Working Capital Management mit einem Initialprojekt, das nach Abschluss in die Linie übergeht. Sowohl im Projekt als auch in der Linie werden jahresweise Zielvorgaben top- down ermittelt und dann bottom-up mit Maßnahmen unterfüttert. Alle Maßnahmen durchlaufen ein einheitliches Phasenmodell und werden dadurch trotz unterschiedlicher inhaltlicher Ausprägung vergleichbar. Durch flankierende Erfolgskontrolle wird das Team kontinuierlich unterstützt und zur Not auch an seine Aufgaben erinnert.
Ein Working-Capital-Projekt braucht, wie jedes unternehmensübergreifende Projekt, einen Sponsor auf Board-Level, kompetente, entscheidungsfähige Team-Mitglieder, das Controlling und nicht zuletzt ein koordinierendes Project Management Office (PMO). Das PMO als operativer Arm des Sponsors dient als Moderator des Prozesses, methodische Anlaufstelle und fachlicher Ansprechpartner auf Augenhöhe.
Top-down Zielvorgaben
Zu Beginn werden top-down die Zielvorgaben ermittelt. Die Formulierung der Ziele ähnelt dem Umgang mit einem Gummiband: zu angespannt zerreißt es, zu lasch zieht es nicht in die gewünschte Richtung. An die richtige Anspannung muss man sich gemeinsam mit dem Team herantasten, damit es sich damit identifiziert und nicht schon zu Beginn resigniert. Bewährte Vorgehensweisen zur Ermittlung realistischer Zielvorgaben sind: Benchmarking zwischen den Standorten, Zeitreihenanalysen, exemplarische Bottom-up-Untersuchungen und stufenweise Anspannung.
Die Ziele werden nicht zu detailliert vorgegeben, sondern nur über zwei bis drei handhabbare Ebenen unter dem Gesamtziel heruntergebrochen. Dieser Zielrahmen wird im Projektverlauf durch die operativen Projektteams mit einzelnen Maßnahmen unterfüttert. Fallen Maßnahmen aus oder erweisen sich als weniger lukrativ als ursprünglich angenommen, so werden neue Maßnahmen entwickelt, um den Zielrahmen dennoch erfüllen zu können.
Nach dieser ersten Projektphase werden die potenziellen Maßnahmen zunächst ohne Priorisierung gesammelt und grob bewertet. Die Summe der eingesammelten Maßnahmenpotenziale sollte mindestens 30 Prozent über der Zielvorgabe liegen, um genügend Priorisierungsspielraum aufzuweisen. Sobald ein Bereich einen Füllgrad von 130 Prozent der Zielvorgabe erreicht hat, werden die dortigen Maßnahmen kategorisiert und priorisiert. Entscheidende Faktoren sind Fristigkeit, Umsetzungsrisiken und Ressourcenbedarf, um die Low-Hanging Fruits zu bestimmen und sich darauf zunächst zu fokussieren. Oft werden die Maßnahmen in mehreren Wellen eingeplant, um die Organisation nicht mit zu vielen gleichzeitigen Aufgaben zu überlasten. Kurzfristige Maßnahmen sind bspw. Fokussierung auf die Erreichung abrechnungsrelevanter Meilensteine im Projektgeschäft oder der Verkauf von nicht betriebsrelevantem Anlagemögen. Eher mittelfristig sind Sortimentsbereinigung und Lieferantenkonsolidierung anzugehen.
Härtegradmodell zur Erfolgskontrolle
Alle Maßnahmen durchlaufen ein einheitliches Phasenmodell. Am Ende jeder Phase wird entschieden, ob die Maßnahme weiterverfolgt wird oder nicht. Mit jeder (Zwischen-)Entscheidung über die Weiterführung verdichtet sich die Belastbarkeit von Potenzial und Umsetzbarkeit. In Anlehnung an die Einstufung zur Robustheit von Edelsteinen werden die Entscheidungsmeilensteine „Härtegrade“ (HG) genannt. Während „HG0 – erfasst“ noch eine butterweiche, nicht verlässliche Idee ist, bedeutet HG5, dass die Maßnahme umgesetzt ist und das Potenzial in den Büchern nachgewiesen werden kann.
HG0 – erfasst: Jede Maßnahme, die als Idee im Raum steht, hat zunächst einmal den Härtegrad 0 und beinhaltet noch keine Aussage über die Potenzialhöhe oder die Umsetzbarkeit.
HG1 – beschrieben: Erst nach einer ersten Einschätzung durch Team und PMO bezüglich Potenzials, Abgrenzung der Inhalte und Terminschiene erreicht sie Härtegrad 1. Die Entscheidung über die Hochstufung auf HG1 kann durch das Team erfolgen und bedarf noch keiner weiteren Eskalation. Der HG1 dient lediglich dazu, die vielversprechendsten Ideen zu kennzeichnen. HG0-Maßnahmen bleiben als Vorrat bestehen oder werden abschließend verworfen.
HG2 – bewertet: Die vielversprechendsten Maßnahmen mit dem Stand HG1 werden tiefergehend analysiert und auf ihre Auswirkungen auf das Working Capital bewertet. Spätestens jetzt ist auch das Controlling involviert und überprüft die ermittelten Einsparungspotenziale. Jede Maßnahme und ihre Effekte werden soweit wie möglich isoliert betrachtet, um die Auswirkungen für oder gegen eine Maßnahme ohne Seiteneffekte treffen zu können.
HG3 – entschieden: Im Führungsgremium wird entschieden, die Maßnahme umzusetzen und ggf. Nachteile oder Investitionen in Kauf zu nehmen. Die Umsetzung erfolgt nicht zwangsläufig sofort nach der Entscheidung, aber zumindest sind die notwendigen Freigaben erfolgt. Mit Erreichen von HG3 werden die Planungen zum Terminplan und zum Potenzial eingefroren und dienen auf Maßnahmenebene als Kontrollwerte.
HG4 – abgeschlossen: Nach Umsetzung aller Aktivitäten einer Maßnahme werden zumeist auch die ersten Effekte wirksam. Bisweilen liegen Umsetzung und Effektwirksamkeit zeitlich auseinander, z.B. durch einzuhaltende Kündigungsfristen oder Anlaufoptimierung.
HG5 – wirksam: Abschließend kontrolliert das Controlling ein letztes Mal die Wirksamkeit der Effekte in den Nebenbüchern der Bilanz, z.B. Bestände oder Forderungen und protokolliert den tatsächlichen Effekt der Maßnahme. Insbesondere Preis- und Mengenabweichungen gegenüber dem ursprünglichen Aufsetzpunkt erschweren die Analyse, ob ein Effekt trotz oder wegen einer Maßnahme eingetreten ist. Bei erheblichen Abweichungen zwischen Wunsch und Wirklichkeit ist das Maßnahmenteam erneut gefordert.
Flankierende Erfolgskontrolle
Eine nachträgliche Erfolgskontrolle erst ganz zum Abschluss einer Maßnahme ist zu spät, um gegensteuern zu können. Daher werden schon mit Erreichen von HG2 operative Messgrößen festgelegt, an denen sich das Team orientiert. Dazu gehören je nach Maßnahmeninhalt Lagerreichweiten, Wiederbeschaffungszeiten oder Puffermengen. Diese sind operativ deutlich leichter zu ermitteln und nachzuhalten als die jeweiligen finanziellen Bewertungen. Die Teams arbeiten daher mit individuellen KPI/ Hebelgrößen zur Steuerung der Maßnahme. Erst durch Controlling und PMO werden die operativen Kennzahlen im Berechnungsmodell zu Working-Capital-Effekten umgerechnet und damit aggregierbar.
Neben der KPI-Kontrolle ist ein monatliches, stufenweise gegliedertes Statusberichtswesen mit Erfolgsmeldungen, Entscheidungsbedarfen und Ampeln ein Garant dafür, dass das Momentum des Projekts nicht verloren geht.
Etablierung in der Linie
Sobald das Projekt mit nachweisbaren Erfolgen abgeschlossen ist, gilt es, die positiven Auswirkungen intern werbewirksam zu vermarkten und das Bewusstsein für Working Capital in der Organisation zu verankern, um nicht in alte Denkmuster zurückzufallen. Durch dezentrale Ansätze wie Objectives and Key Results (OKR) gelingt das erfahrungsgemäß auch nachhaltig.
Der Autor:
Volker Voigt war zunächst sieben Jahre bei Arthur D. Little beschäftigt und ist nunmehr seit 20 Jahren Geschäftsführer der Cataligent Projekt GmbH, führender Anbieter webbasierter Projektsysteme. Er unterstützt Unternehmen und Berater beim Einsatz der Software Cat4 in Transformationsprojekten.