Vom Teilnehmenden zum Mitgestaltenden: Patientenzentrierung in Klinischen Studien

Mit der steigenden Komplexität des Gesundheitswesens müssen forschende Arzneimittelhersteller neue Wege gehen. Ein Ansatz, der immer mehr Aufmerksamkeit gewinnt, ist die frühzeitige Einbindung von Endkonsumenten – also Patient:innen – und ihren Bedarfen in der Entwicklung von klinischen Studien. Roche zeigt, wie eine frühe und konsequente Einbindung von Patient:innen zu qualitativ besseren Forschungsergebnissen sowie einer
schnelleren und breiteren Markteinführung mit zufriedeneren Kund:innen führt.

Warum ist eine frühzeitige Patienteneinbindung in klinische Studien wichtig?

Klinische Studien bilden das Fundament für medizinischen Fortschritt, indem sie die Sicherheit und Wirksamkeit neuer Behandlungen bewerten und die Grundlage für die Marktzulassung neuer Präparate bilden. Obwohl Patient:innen direkt von der Teilnahme an einer klinischen Studie profitieren, da sie eine besonders umfassende medizinische Versorgung erfahren und frühzeitig innovative Behandlungsoptionen erhalten, stehen wir vor Herausforderungen: 80 Prozent der Studien schließen erst mit Verzögerungen ab1, die Ergebnisse der Studien sind oft nicht repräsentativ für die Versorgungsrealität2), und die Bereitschaft, an Studien teilzunehmen, ist auf unter 50 Prozent gesunken3). Währenddessen setzen sich forschende Arzneimittelhersteller dafür ein, Forschung und Entwicklung innovativer Therapien schneller und gezielter voranzubringen – nicht zuletzt dank Daten und künstlicher Intelligenz. Von 5.000 bis 10.000 Substanzen, die im Rahmen der Forschung hergestellt und untersucht werden, schaffen es im Durchschnitt nur neun in erste klinische Studien mit Menschen, von denen wiederum nur eine später tatsächlich den Markt erreicht. Der Druck von Institutionen und Kostenträgern, die Kosteneffektivität nachzuweisen, steigt. Über die Hälfte der Markteinführungen haben in den letzten 3 Jahren unter den Erwartungen abgeschnitten4), während die Ausgaben der Pharmaindustrie in Europa für Forschung und Entwicklung schätzungsweise bei rund 44,5 Milliarden Euro pro Jahr liegen.5)

Die Patientenzentrierung in klinischen Studien ist hier ein zentraler Ansatz. Die genaue Ausrichtung von Studien auf die Bedürfnisse von Betroffenen führt nachweislich zu besseren Rekrutierungsergebnissen, einer erhöhten Teilnahmebereitschaft, einer verbesserten Einhaltung der Studienprotokolle und letztlich zu besseren Behandlungsergebnissen und höherer Patientenzufriedenheit. Aus ökonomischer Perspektive birgt ein patienteninklusives Vorgehen erhebliches Potenzial in verschiedenen Phasen der Medikamentenentwicklung. Es beschleunigt die Rekrutierung um durchschnittlich drei Monate6), die Launch-Wahrscheinlichkeit des Moleküls wird um 20 Prozent gesteigert7) und der Net present value nach Markteinführung steigt um durchschnittlich 25 Millionen USD8). Patientenzentrierung macht klinische Forschung schneller und erfolgreicher.

Auch Zulassungsbehörden wie die European Medicines Agency (EMA) und die US-merikanische
Food and Drug Administration (FDA) haben ihre Zusammenarbeit mit Patient:innen verstärkt.9+10)Health Technology Assessment (HTA) Behörden, zuständig für Preisgestaltung und Erstattung, schaffen weltweit Möglichkeiten der Patientenbeteiligung an verschiedenen Stellen des Prozesses11). Diese institutionelle Unterstützung unterstreicht die Relevanz der Patientenzentrierung in der heutigen Gesundheitsforschung.

Wie funktioniert die Patientenzentrierung in klinischen Studien bei Roche?

Frühzeitig und systematisch

Bei Roche ist die frühe und systematische Einbindung von Patient:innen in die gesamte Studienplanung ein zentraler Bestandteil unseres Ansatzes: „doing now what patients need next“. Von der gemeinsamen Definition der Forschungsfrage über die Auswahl der zu evaluierenden Messparameter bis hin zur Ausgestaltung der Durchführung der Studie arbeitet Roche eng mit Patientenvertreter:innen zusammen. Dies hilft uns sicherzustellen, dass die Ergebnisse der Studie in der Versorgungsrealität der Patient:innen tatsächlich von höchster Relevanz sind. So hat sich Roche verpflichtet, in alle Studien ab Phase 1 die Stimme der Betroffenen einfließen zu lassen. In Deutschland bedeutet das konkret, dass die Roche Pharma AG, neben Meinungsbildnern aus der Ärzteschaft, auch deutsche Patientenvertreter:innen frühzeitig in Kontakt mit den globalen Studienteams des Mutterkonzerns bringt. So wird sichergestellt, dass auch die Bedürfnisse aus dem deutschen Gesundheitsmarkt Einfluss finden. Auch in der Planung von nationalen Studien, oft Beobachtungsstudien nach Marktzulassung, bindet Roche Patientenvertreter:innen in das Design und die Kommunikation ein.

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Arbeit bei Roche ist die Verbesserung der Kommunikation zwischen Forscher:innen und Patient:innen. Roche setzt auf co-kreierte Patienteninformationen im Rahmen der Studienaufklärung, innovative Technologien wie mobile Apps, Wearables und Online-Plattformen, um den Informationsaustausch während des gesamten Studienverlaufs zu optimieren. Zudem teilt Roche seit Jahren Informationen über alle rekrutierenden Studien sowie die Ergebnisse der abgeschlossenen Studien transparent mit Patient:innen, Angehörigen und der Öffentlichkeit in Laiensprache über die Plattform ForPatients.com (klinische-studien-fuer-patienten.de in Deutschland). Dies stellt sicher, dass die Patient:innen stets über den Fortschritt und die Ergebnisse der Studien informiert sind und aktiv an den Entscheidungen über ihre Teilnahme beteiligt werden können.

Im engen Austausch mit Betroffenen und Angehörigen

Durch den frühen und kontinuierlichen Dialog mit Patientenorganisationen und Betroffenen gewinnen wir wertvolle Einblicke in die Lebensrealität der Patient:innen und können deren Bedenken und Prioritäten angemessen berücksichtigen. Damit die Interaktionen nicht nur punktuell statt finden, setzt Roche weltweit auf gemischte Beratergremien und Steering Committees, um sicherzustellen, dass neben den Behandler- auch die Patientenperspektiven in das Design, die Durchführung der Studien und die Materialien einfließen. Dies geschieht global und lokal, um die spezifischen Bedürfnisse und Prioritäten der Patient:innen auch in den einzelnen Märkten bestmöglich zu berücksichtigen.

Um systematisch sowohl den Patientennutzen als auch den gesellschaftlichen Impact der Aktivitäten zu erfassen, hat Roche ein standardisiertes Rahmenwerk, das „Patient Benefit and Societal Impact Model“ (PBSI) entwickelt. Das Modell umfasst verschiedene Dimensionen wie Erkrankung und Behandlung, Einfluss auf den Patientenpfad in der Versorgung, die gesundheitsbezogene Lebensqualität, die Befähigung der Patient:innen, aber auch den ökonomischen Effekt sowie den gesellschaftlichen Impact der Aktivitäten.

Patienteneinbindung am Beispiel Spinale Muskelatrophie (SMA)12)

Beispielhaft für die Patienteneinbindung in den gesamten Produktlebenszyklus bei Roche ist die Entwicklung eines Präparates für die Spinale Muskelatrophie (SMA), einer seltenen genetischen neuromuskulären Erkrankung. Menschen mit SMA und ihre Angehörigen sind die Expert:innen, wenn es darum geht, mit der Erkrankung zu leben. Ein Trial Steering Committe und themenspezifische Arbeitsgruppen stellten sicher, dass die Perspektiven der Betroffenen in alle Entscheidungen des klinischen Entwicklungsprogramms für das Präparat einflossen. Die Patientenorganisationen SMA Foundation (als ständiges Mitglied des Steering Committees), SMA Europe und Cure SMA gaben Input zu allen Elementen der von Roche gesponserten SMA-Studien von den frühesten Phasen an. Dies umfasste die Festlegung von Forschungsschwerpunkten, Beiträge zu Studienprotokollen und die Überprüfung von Einverständniserklärungen, Bewertungsschemata und Unterstützungsmaterialien für betroffene Familien. Ihr Feedback führte zur Entwicklung nahtloser Phase II/III-Studien (Kombination der Phasen II und III in einer einzigen, ununterbrochenen Studie), einschließlich breiterer Einschlusskriterien und weniger restriktiver Ausschlusskriterien sowie zur Verringerung der Belastung der Patient:innen und ihrer Familien. Erkenntnisse aus qualitativen Interviews mit SMA-Patient:innen und Betreuern halfen bei der Auswahl und Entwicklung patientenrelevanter
Studienendpunkte, z.B. der Entwicklung der SMA Independence Scale, einer neuen Skala zur Bewertung des Unterstützungsbedarfs bei alltäglichen Aktivitäten. Die involvierten Patientenorganisationen erleichterten die Teilnahme und Rekrutierung der Zulassungsstudien, indem sie Familien beim Umzug an Studienstandorte in anderen Ländern unterstützten. Während der COVID-19 Pandemie führte der enge Austausch zu Maßnahmen, die die Fortführung der Studien trotz Einschränkungen ermöglichten, wie zum Beispiel die Lieferung von Medikamenten nach Hause und häusliche Pflegedienste.

Der Mehrwert, wenn Patienteneinbindung in klinische Studien früh und systematisch umgesetzt wird, am Beispiel der Spinalen Muskelatrophie. Die Partnerschaft zwischen Patientenorganisationen und Roche führte zu positiven Auswirkungen über den gesamten Lebenszyklus des Moleküls hinweg. Quelle: Roche

Doch nicht nur im Entwicklungsprogramm ist eine frühzeitige Patienteneinbindung zentral. Regelmäßiger Input der Patientenorganisationen hilft dabei, die reale Versorgungssituation besser zu verstehen und gemeinsame Lösungsansätze für Zulassungsanträge und Gespräche mit Kostenträgern zu erarbeiten.

„Wir sind stolz auf die Rolle, die wir bei der Entwicklung von Risdiplam und in unserer Partnerschaft mit Roche gespielt haben. Es ist entscheidend, dass wir weiterhin mit Gesundheitsbehörden, Regulierungsbehörden und der Industrie zusammenarbeiten, um
Patienten den Zugang zu den dringend benötigten Behandlungen zu ermöglichen.“

Dr. Nicole Gusset, Präsidentin von SMA Europe

Was bedeuten diese Erkenntnisse für andere Akteure?

Indem wir unsere „Kunden“, Menschen mit einer Erkrankung und ihre Angehörigen besser verstehen und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt unserer Forschungs- und Entwicklungsarbeit stellen, können wir schneller bessere Produkte entwickeln, die einen echten Unterschied im Leben der Patient:innen machen. Diese kundenorientierte Herangehensweise kann auch in anderen Branchen Mehrwert schaffen. Die Patientenzentrierung in klinischen Studien bei Roche zeigt, wie eine konsequente Einbindung von Patient:innen zu qualitativ besseren Forschungsergebnissen sowie einer schnelleren und breiteren Markteinführung mit zufriedenen Kund:innen führt. Indem wir Patient:innen als gleichberechtigte Partner in den Forschungsprozess einbinden, schaffen wir nicht nur wissenschaftlichen Fortschritt, sondern tragen auch zu einer nachhaltig verbesserten Gesundheitsversorgung in Deutschland und weltweit bei.

Was wir uns wünschen? Eine Patientenzentrierung im gesamten Gesundheitssystem, damit die Rechte der Patient:innen bei Entscheidungsverfahren – wie beispielsweise bei Erstattungsfragen – weiter gestärkt werden, konkrete Beispiele aus der Versorgungsrealität Gehör finden, Bürokratie konsequent abgebaut wird und patientenrelevante Endpunkte an Bedeutung gewinnen.

Quellenangaben:
1) Clinical Trials AReNA Clinical Trial Delays: America’s Patient Recruitment Dilemma. 2012. Jul  18. Available from:
Verzögerungen bei klinischen Studien: Amerikas Dilemma bei der Patientenrekrutierung – Clinical Trials Arena
2) Genomweite Assoziationsstudien in angestammten Populationen: Chancen, Methoden, Fallstricke und Empfehlungen – ScienceDirect
3) https://www.centerwatch.com/articles/24924-patient-willingness-to-join-clinical-trials-drops-dramatically-new-data-show [Historical trends have been roughly around 85 percent, with a steep drop in 2020 in 49]
Die Bereitschaft der Patienten, an klinischen Studien teilzunehmen, sinkt dramatisch, wie neue Daten zeigen | 23.08.2020 | CenterWatch
4) https://pharmaintelligence.informa.com/resources/product-content/2021-clinical-development-success-rates [The current success rate of a drug candidate, from the beginning
of the clinical trial to receiving marketing approval, is about 10%–20%, and it has not changed during the past few decades]
Ressourcen | Zitat (citeline.com)
5) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/70870/umfrage/pharmaindustrie-ausgaben-fuer-forschung und-entwicklung/#:~:text=Ausgaben%20f%C3%BCr%20 Forschung%20und%20Entwicklung%20der%20europ%C3%A4ischen%20Pharmaindustrie%20bis%202022&text=Die%20Statistik%20zeigt%20die%20Ausgaben,rund%2044%2C5%20Milliarden%20Euro.
Europäische Pharmaindustrie – F&E Ausgaben bis 2023 | Statista
6) Economist Intelligence Unit. The Innovation Imperative: The Future of Drug Development, 2018.
7) Economist Intelligence Unit. The Innovation Imperative: The Future of Drug Development, 2018.
8) Levitan B, et al. Assessing the Financial Value of Patient Engagement: A Quantitative Approach from CTTI’s Patient Groups and Clinical Trials Project. Ther Innov Regul Sci. 2018
Mar;52(2):220-229. doi: 10.1177/2168479017716715. Epub 2017 Jul 17. PMID: 29714515; PMCID: PMC5933599. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5933599/
Bewertung des finanziellen Werts des Patientenengagements – PMC (nih.gov)
9) https://www.nature.com/articles/d41573-019-00164-y
Patienten in die Arzneimittelregulierung einbeziehen: eine Geschichte von zwei Agenturen (nature.com)
10) https://www.fda.gov/patients/learn-about-fda-patient-engagement/fda-and-european-medicines-agency-patientengagement-cluster https://www.ema.europa.eu/en/news/
ema-fda-reinforce-collaboration-patient-engagement
Cluster zur Patienteneinbindung | FDA
EMA und FDA verstärken Zusammenarbeit bei der Patientenbeteiligung | Europäische Arzneimittel-Agentur (europa.eu)
11) ISPOR-poster-PDF_FINAL_28th-January-2021-3.pdf (partners4access.com)
Evaluation of patient engagement in medicine  development: A multi-stakeholder framework with metrics:
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/hex.13191
Bewertung des Patientenengagements in der Arzneimittelentwicklung: Ein Multi-Stakeholder-Framework mit Metriken – MwSt. – 2021 – Gesundheitserwartungen – Wiley Online Library
12 )Patient involvement in the development, regulation and safe use of medicines Report of the CIOMS Working Group XI Council for International Organizations of Medical Sciences (CIOMS), Geneva 2022, https://cioms.ch/publications/product/patient-involvement/
Patientenbeteiligung bei der Entwicklung, Regulierung und sicheren Anwendung von Arzneimitteln – CIOMS

M-DE-00022225

Das Autorenteam:

Sarah Kuld, Head Patient Partnership, leitet gemeinsam mit Dr. Belinda von Niederhäusern die Patientenarbeit für die Roche Pharma AG in Deutschland.

 

 

 

 

Dr. Julia Wagle, Country Medical Director, verantwortet die medizinische Abteilung der Roche Pharma AG.

 

 

 

 

Dr. Belinda von Niederhäusern, Principal Patient Partnership Lead.

 

 

 

 

Roche: Das Leben von Menschen durch diagnostische, therapeutische & digitale Lösungen zu verbessern – darum geht es bei den mehr als 103.000 Mitarbeiten den von Roche weltweit. Viele unserer vor Jahrzehnten entwickelten Innovationen bringen bis heute Millionen Menschen großen Nutzen. Auf der Liste der unentbehrlichen Medikamente der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind 32 unserer Produkte aufgeführt – ein Spitzenwert.