Beginnen wir mit einer nüchternen Beobachtung: Die allerwenigsten europäischen Telko-Anbieter konnten ihren Aktienkurs in den vergangenen zehn Jahren steigern. Ein schlichtes, aber deutliches Symptom zahlreicher, weitgehend ungelöster Herausforderungen, mit denen die Branche zu kämpfen hat. In diesem Special möchten wir deshalb genauer hinsehen: Was behindert die notwendigen Innovationen? Und wie könnten Lösungen aussehen?
Von außen betrachtet könnte man bei einem Blick auf die Entwicklungen des Mobilfunkmarktes schlicht meinen: uninspiriert. Ein Eindruck, den Investoren den Aktienkursen nach zu schließen
offenbar teilen:
- Mit 5G wird primär ein Marketing-Thema getrieben. In der Realität bietet es wenig echten
Mehrwert für Endkunden, und endsprechend ist auch die Zahlungsbereitschaft für 5G. - Bei IoT ergeht man sich in nationalem Klein-Klein, während aktuelle Entwicklungen nach global einheitlicher Konnektivität verlangen – nicht jedoch nach dem besten Netz in einem einzigen, bestimmten Land.
- Zugleich wird eine Technologie wie die eSIM, die zum ersten Mal überhaupt eine vollständig digitale Customer Journey ermöglichen würde, vor allem als „ein weiterer SIM-Formfaktor“ in den alt-gedienten Prozessen genutzt.
Wo Innovation in der Telko-Branche passiert, treiben sie vor allem Endgerätehersteller wie Apple oder Telko-Zulieferer. Bei den Mobilfunkanbietern versucht man (verständlicherweise) vor allem, die Kunden am Wechsel zu hindern, restrukturiert, um Kosten einzusparen, und wagt sich inzwischen mit Verkäufen von Sendemasten sogar schon an das eigene Tafelsilber. Hinter all den Marketing-Botschaften wirkt das dann eben „uninspiriert“.
Doch machen wir es uns nicht zu leicht: Was sind die Gründe für diese Entwicklungen?
Problem 1:
Falsche Sicherheit – Mentalität im Oligopol
Diese Kritik muss sich ein großer Teil der großen Telekommunikationsanbieter wohl gefallen lassen: Man fühlt sich sicher, und die Kunden spüren das. Der Marktzutritt für neue, große Telekommunikationsanbieter ist stark beschränkt, zu hoch sind die Hürden für eine eigene Infrastruktur. Kleine Anbieter wie MVNOs stehen von Tag eins in einer enormen Abhängigkeit von bestehenden Platzhirschen. Die Innovationskraft in Mono- und Oligopolen ist eben immer stark eingeschränkt, so auch bei Telkos: Die Umsätze sind noch immer so hoch, dass der Effekt jeder Innovation im Vergleich zum Bestandsgeschäft verschwindet.
Problem 2:
Unterentwickeltes IoT-Geschäft
Mobilfunkanbieter machen den überwiegenden Teil ihres Geschäftes mit Business- und Consumer-Konnektivität: Mit Mobilfunkverträgen im ARPU-Bereich von mehr als 20 Euro pro Monat für Smartphones, Wearables und Tablets. Umsätze, von denen man im Bereich IoT nicht träumen mag: Hier sprechen wir von teilweise 10 Cent pro Monat bzw. Angeboten wie „10 Euro für 10 Jahre“. Mobilfunkanbieter haben es bisher verpasst, sich in der „M2M-/IoT-hrungskette“ nach oben zu arbeiten – und werden es wohl leider auch schwer haben, das zu korrigieren. Laut einer GSMA-Studie entfallen bei IoT-Projekten gerade einmal 5 bis 10 Prozent aller Ausgaben auf die Konnektivität. IoT ist (und bleibt für den Moment) eben ein Lösungs- und Service-Geschäft – und darauf sind Mobilfunkanbieter nicht ausgelegt.
Problem 3:
Legacy CRMs – Roadblock für Innovationen
CRM-Systeme in Telkos sind das Paradebeispiel für den Begriff „historisch gewachsen“: Durch die verschiedensten Mergers und Umstrukturierungen haben sich Layer über Layer parallele Systemlandschaften, Abhängigkeiten und Wartungsaufwände aufgebaut. Solche Legacy CRMs können jede Innovation bereits im Keim ersticken: Wo bereits absehbar ist, dass die Implementierung einer neuen User Journey weit mehr kostet als sie nützt (und vielleicht die Halbwertzeit des CEO übersteigt), bewegt sich nicht viel.
Problem 4: Skalierbarkeit –
Das Problem mit nationalen Lösungen
Sobald Telkos in Services und Produkte außerhalb von „Konnektivität“ investieren, stehen sie vor einem großen Problem: Bis auf einige Allianzen sind praktisch alle Lösungen irgendwie lokal begrenzt. Mobilfunkanbieter stehen dann unmittelbar im Wettbewerb mit spezialisierten Anbietern, die dieselben Lösungen global und eben auch besser anbieten. Eine gute Cloud-Lösung in Deutschland skaliert nicht, wenn z.B. Amazon einen solchen Dienst weltweit anbieten kann. Weshalb standardisiert man „Rich Communications Dienste“, wenn WhatsApp und andere Messenger dieses Thema bereits gelöst haben? Weshalb ein eigenes, lokales TV-Angebot mit eigener Content-Produktion, wenn Netflix ein solches Angebot weltweit vermarkten kann?
In letzter Konsequenz: Der falsche Fokus
Die führenden Mobilfunkanbieter befinden sich in einer denkbar ungünstigen Situation: Wo Innovation verfügbar wäre (wie etwa bei der eSIM), begrenzen Legacy-Systeme ihr Potenzial. Und wo Innovation nötig wäre (wie z. B. beim Thema IoT), da ist der Druck schlicht zu gering. So fokussieren sich viele Anbieter vor allem darauf, das Beste aus dem Status Quo zu machen. Statt die Kund:innen und deren Herausforderungen bedingungslos in den Mittelpunkt zu stellen, geht man – gezwungenermaßen – den Weg des geringsten Widerstands.
Alles das sind Probleme – sicherlich auch für die Kund:innen, primär aber für die Telkos. Denn
selbst wenn die Innovation nicht bei den Anbietern selbst stattfindet: Sie findet statt.
Der Autor:
Axel Meiling, Herausgeber dieses Specials, ist Mitgründer und Geschäftsführer der Digitalisierungsberatung Digital Oxygen. Er hat eSIM-Strategien für MNOs entwickelt und umgesetzt, die Virtualisierung und Produktifizierung traditioneller Telko-Infrastruktur vorangetrieben und ist Architekt zahlreicher neuer Telko-Geschäftsmodelle.