Bis 2026 stehen 560.000 Nachfolgen in Deutschlands Familienunternehmen an. Das bedeutet nicht nur neue Führungskräfte an der Betriebsspitze, sondern auch alternative Ideen und die große Chance, digitale Prozesse zu etablieren. Die nächste Generation an Führungskräften braucht dafür nicht nur Verständnis für das technisch Mögliche, ein Ziel, wohin es mit dem Unternehmen gehen soll, sondern vor allem auch gute Kommunikation und einen zugewandten Umgang mit den Mitarbeitenden.
Familienunternehmen sind die weltweit älteste Form der Unternehmensführung und bilden mit einem Anteil von bis zu 90 Prozent in den meisten Ländern das wirtschaftliche Rückgrat. Sie spielen somit eine ganz entscheidende gesellschaftliche Rolle: In Deutschland arbeiten etwa 58 Prozent aller Beschäftigten in familiengeführten Unternehmen. Sie teilen gemeinsame Werte und vor allem die Vision, langfristig zu existieren und das Unternehmen an die nächste Generation weiterzugeben.
Ihr Streben nach Beständigkeit war allerdings noch nie so schwierig wie im 21. Jahrhundert. Die heutigen turbulenten Zeiten sind durch ein zunehmend dynamisches Geschäftsumfeld gekennzeichnet, das sich mit einer nie dagewesenen Geschwindigkeit und Intensität dramatisch verändert. Dieser radikale Wandel ergibt sich aus dem Zusammenspiel verschiedener, parallel verlaufender Entwicklungen: dem Aufstieg der digitalen Technologie, der damit verbundenen Entstehung der Wissensökonomie, einer Neuordnung des Welthandels sowie der globalen Klimakrise.
In Kombination führen diese Trends nicht nur zu immer kürzeren Produkt- und Designlebenszyklen, sondern auch zu schnelleren Technologie- und Innovationszyklen. Oft treiben neue Unternehmen wie Start-ups solche radikalen Veränderungen an und setzen alteingesessene Branchen, die bisher von etablierten und meist mittelständischen Unternehmen dominiert wurden, unter starken Innovations- und Wettbewerbsdruck. Hinzu kommen eine alternde Belegschaft und die Herausforderung gut ausgebildete Fachkräfte für sich zu gewinnen.
Wandel steuern
Wie können Nachfolgerinnen und Nachfolger sich und ihren Betrieb so ausrichten, dass sie diese
Herausforderungen nicht überrollen, sondern sie vielmehr als Chance zu ihrem strategischen Vorteil nutzen? Automatisierung kann eine Lösung sein, dem Fachkräftemangel zu begegnen und neue Geschäftsfelder für das Unternehmen zu besetzen. Doch es gibt keine „One-size-fits-all-Lösung“. Es geht auch nicht darum, analoge Prozesse durch digitale Werkzeuge zu ergänzen. Vielmehr müssen Unternehmen ihr Produkt- und Kundenverständnis hinterfragen und anders angehen.
Impulse zu neuen Technologien können Führungskräfte beispielsweise aus der Forschung und Innovationsszene in ihr Unternehmen holen. Von der Gründungsszene können sie lernen, spielerisch an neue Technologien ranzugehen. Neues ausprobieren, integrieren was funktioniert und verwerfen, was nicht passt. Die nächste Generation an Führungskräften in Familienunternehmen können diesen Prozess gestalten, indem sie
- eine klare Vision von der Zukunft des Unternehmens entwickeln,
- ein eigenes Ökosystem aus Expertinnen und Experten aufbauen,
- ihre Kommunikationsfähigkeit ausbauen.
Klare Vision von der Zukunft des Unternehmens entwickeln
Erfolgreiche Digitalisierung in Familienunternehmen benötigt nicht allein digitale Kompetenz und Kenntnisse darüber, wie Software programmiert wird. Es bedarf zudem einer Vision: Was wäre möglich? Diese Vision können Führungskräfte gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus dem eigenen Unternehmen und extern aus einem Ökosystem entwickeln.
Eigenes Ökosystem aus Expertinnen und Experten aufbauen
Ob Digitalisierung, Aufbau von Innovationsprozessen oder etwa der Umgang mit dem Klimawandel: Viele Themen können nicht mehr von einer Person oder einem Unternehmen gelöst werden. Deshalb ist es nicht nur wichtig, sich mit anderen Unternehmerinnen und Unternehmern auszutauschen, sondern sich zudem in einem innovativen Umfeld zu bewegen. Ökosysteme aus Start-ups, Forschungseinrichtungen und anderen Unternehmen setzen gezielt Impulse.
Der Aufbau dieser Beziehungen braucht Zeit. Führungskräfte können aber gezielt an Programmen und Netzwerkveranstaltungen für Familienunternehmen teilnehmen oder sich in bestehende Ökosysteme an der Schnittstelle zwischen Universitäten und Start-up-Szene einbringen.
Kommunikationsfähigkeit ausbauen
Die Vision gilt es den Mitarbeitenden zu vermitteln und sie dafür zu begeistern. Deshalb ist es wichtig, dass Führungskräfte nicht nur das technisch Mögliche verstehen und interpretieren können, sondern sich ihren Mitarbeitenden zuwenden und sie in den Änderungsprozess mitnehmen. Gleichzeitig heißt es zuzuhören und ihnen Raum zu geben, um sich einzubringen, damit alle an einem Strang ziehen.
Der Aufbau sozialer Kompetenzen sollte entsprechend zu einem integralen Bestandteil der Führungskräfteentwicklung werden und somit auch bei der Suche eines Nachfolgers oder einer Nachfolgerin eine zentrale Rolle spielen. Gerade Frauen sind hier stark und könnten stärker für die Nachfolge in Betracht gezogen werden.
Fazit
Automatisierte Prozesse, neue digitale Produkte, durch Technik veränderte Jobprofile, eine heterogene Belegschaft und ein Ökosystem mit Impuls-gebenden aus Forschung, Start-up-Szene und anderen Unternehmen: Wettbewerbsfähig bleiben Familienunternehmen nur dann, wenn sie sich der gestiegenen wirtschaftlichen Komplexität stellen und eigene Pfade in die digitale Zukunft bahnen. Führungskräfte, die das technisch Mögliche verstehen und zugleich über die emotionale Kompetenz verfügen, ihre Mitarbeitenden sowie Partnerinnen und Partner für diesen Prozess zu begeistern, sind dabei besonders erfolgreich. Beides sind Dinge, die Familienunternehmen traditionell gut können. Damit sollten sie langfristig auch in der Lage sein, die digitale Transformation zu meistern.
Quellen:
Unternehmensnachfolgen in Deutschland 2022 bis 2026, Institut für Mittelstandsforschung
Familienunternehmen in der digitalen Transformation – Herausforderungen und Erfolgsfaktoren., Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU)
Nachfolge-Monitoring Mittelstand 2022, KfW Research
Der Autor:
Christian Mohr ist Geschäftsführer von UnternehmerTUM, Europas führendem Zentrum für Innovation und Gründung an der Technischen Universität München (TUM). Als Initiator der Initiative FamilienunternehmerTUM begleitet er familiengeführte Unternehmen in den Bereichen Innovation, Technologie und Ökosystemen. Darüber hinaus übt er eine Lehrtätigkeit an der TUM aus und unterstützt als Beirat und Mitglied in Fachgremien zu Innovation und Technologie in Familienunternehmen. Der 40-Jährige stammt selbst aus einem Familienunternehmen und sammelte über zehn Jahre Erfahrung in einem der weltweit führenden Beratungshäuser. Zuletzt leitete er dort den von ihm aufgebauten Bereich Innovationsberatung.