Strategisches Managementdenken im 21. Jahrhundert

Mit der Nachhaltigkeit tut sich der Bankensektor im Vergleich zu anderen Branchen oft noch schwer. Doch wer das Thema gezielt in den strategischen Entscheidungsprozess einbettet, dem bietet sich die Chance, das eigene Geschäftsmodell innovativ in Richtung Zukunft auszurichten. Für Banken kann dies im Wettbewerb zum entscheidenden Vorteil werden.

Die Banken sehen sich seit Jahren mit einem umfassenden Paradigmenwechsel konfrontiert, der sich in vielen Facetten bemerkbar macht: Waren es zunächst die seitens der europäischen wie nationalen Aufsichtsbehörden verschärften Regularien für Eigenkapitalvorschriften und Risikomanagement – in der Branche als Basel I, II und III bekannt –, so sind inzwischen zusätzliche Herausforderungen auf die Banken zugekommen: Die sinkende Markenloyalität der Generationen Y und Z macht vor allem den traditionellen Geldinstituten zu schaffen. Hinzu kommen die sogenannten Non- und Near-Banks, die der „guten, alten Hausbank“ zusetzen – allen voran Internet-Giganten, die mit ihren eigenen Pay-Services im Revier der Banken „wildern“.
Sicher: Verändernng ist immer mit Aufwand und oft Skepsis verbunden, und viele Unternehmen klammern sich an Erfolgsrezepte – um dann festzustellen, dass die Märkte über sie hinwegfegen. Wir leben nun einmal im Zeitalter der Transformation. Man kann sich nicht für oder gegen sie entscheiden, so wie man sich – leider – auch nicht für oder gegen die Klimakrise entscheiden kann. Aber: Man kann sich entscheiden, wie man den Herausforderungen unserer Zeit begegnet und sie für sich und die Zukunftsfähigkeit seines Unternehmens nutzt. Genauso verhält es sich mit der Nachhaltigkeit und ihren drei Zieldimensionen, die seit der UNO-Konferenz von Rio 2012 als ESG – also Environment, Social und Governance – bekannt sind.

Ein völlig neues Mindset ist nötig

Einen Aspekt halte ich dabei für wesentlich, weil er inzwischen von grundlegender Bedeutung für ökonomische Entscheidungen ist: Transformation und Nachhaltigkeit sind untrennbar miteinander verbunden. Beide Themen sind nicht überraschend aufgetaucht, sondern Kennzeichen der tiefgreifenden Veränderungen, denen wir uns seit Jahrzehnten zunehmend ausgesetzt sehen – Stichwort VUCA. Die Welt im 21. Jahrhundert ist volatile, uncertain, complex, ambiguous.
Wenn ich in diesem Zusammenhang von ökonomischen Entscheidungen spreche, dann meine ich damit weitaus mehr, als Managerinnen und Manager es bis vor Kurzem noch für gewöhnlich aus betriebswirtschaftlicher Perspektive verstanden haben: Um sich den Herausforderungen, die sich aus Transformation und Nachhaltigkeit ergeben, als Unternehmen zu stellen und die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, muss ein grundlegendes Umdenken in den Chefetagen stattfinden. Und nicht nur dort: Ich gehe so weit zu sagen, dass ein umfassender Kulturwandel im Arbeitsleben schlechthin erst die Voraussetzungen schafft, um zukunftsfähig zu bleiben – ob betrieblich oder gesamtwirtschaftlich betrachtet. Oder anders gesagt: Wir brauchen ein völlig neues Mindset.
Doch wo bitte liegen hier die Chancen, möchte man an dieser Stelle fragen, und was hat das Ganze mit einem neuen Mindset zu tun? Ich will dies am Beispiel der Creditplus Bank skizzieren, die ich als Vorstandsvor-sitzende seit fünf Jahren begleite.
Auch wir stellten uns der Frage, wie wir unser Geschäftsmodell fit für die kommenden Herausforderungen machen. Allen Beteiligten war schnell klar, dass sich diese Frage nicht mit dem Drehen an Stellschrauben im Produktportfolio lösen ließ. Es bedurfte eines 360-Grad-Blicks auf das gesamte Unternehmen und sein Umfeld, also die Stakeholder und die Zielgruppen – sowie deren Erwartungen. Zugute kam uns dabei, dass die französische Crédit Agricole Gruppe – deren deutsche Tochter die Creditplus Bank ist – Nachhaltigkeit seit jeher als Baustein ihrer DNA verankert hat und uns entsprechend strategisch unterstützen konnte.

Die Strategie muss sich an Werten orientieren

Wichtig war uns zu Beginn dieses Prozesses, die Werte zu schärfen, die uns leiten, und was sie in unserem unternehmerischen Handeln bedeuten. Für uns war es Teil verantwortungsbewussten Managements, das sich mit der Zukunft des Unternehmens und seiner Mitarbeitenden auseinandersetzt. Mit unserem Wertekodex schufen wir ein  Koordinatensystem, das unsere unternehmerische Strategie für die kommenden Jahre steuern wird. Und somit den Motor für unsere eigene Transformation. Deutlich wird dies an dem wichtigen ersten Meilenstein, der sich direkt anschloss: die Verabschiedung unseres Leitbildes zum Thema Nachhaltigkeit. Untertitel: „Nachhaltigkeit als Aufgabe und Wettbewerbsvorteil“. Ich erwähne diesen Untertitel bewusst, weil er deutlich macht, dass wir Nachhaltigkeit von Anfang an nicht als gesetzgeberische Bürde, sondern als reelle Chance für unsere künftige Positionierung und Unternehmensführung verstanden haben.

Vorsicht vor Lippenbekenntnissen

In unsere ganzheitliche Betrachtung floss die gesamte Wertschöpfungskette unserer Aktivitäten ein, angefangen bei den eingekauften Leistungen über unseren Energieverbrauch bis hin zur Wirkung der von uns verkauften Produkte. Stichwort: Sustainable Finance. In einer intensiven Bestandsaufnahme betrachteten wir für jedes der 17 von der UN definierten Nachhaltigkeitsziele, wo wir als Unternehmen stehen – also nicht nur in Sachen Klimaschutz, sondern auch bei Fragen wie Geschlechtergleichstellung, Weiterbildung oder dem digitalen Reifegrad („digital readiness“).
Ein solcher Prozess kann nicht erfolgreich gestaltet werden, wenn nicht das Mindset quer durch das ganze Unternehmen dazu passt. Ökonomischer Erfolg ist ohne das Engagement und die Bereitschaft aller, Verantwortung zu übernehmen und Nachhaltigkeit aktiv mitzugestalten, undenkbar. Wenn es nur bei Lippenbekenntnissen bleibt, landet jedes Unternehmen zwangsläufig bei Greenwashing in Sachen Klimaschutz oder beim Pinkwashing, wenn es um Diversität und Menschenwürde geht.

Profitorientierung: ohne Nachhaltigkeit nicht mehr denkbar

Was uns also antrieb: unser Geschäftsmodell authentisch auf die Herausforderungen unserer Zeit anzupassen. Und das mit dem bereits angesprochenen 360-Grad-Blick: Deshalb gehört das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 für uns ebenso zu unserer Strategie wie beispielsweise die Förderung der Diversität (unsere Frauenquote liegt bei 55 Prozent, und unsere Beschäftigten stammen aus mehr als 20 Nationalitäten) als auch gemeinsam mit unseren Partnern an nachhaltigen und zertifizierten Finanzprodukten zu arbeiten.
Dass wir hier auf einem guten Weg sind, dieser Weg aber auch noch lang ist und sicher mit vielen Steinen gepflastert – das alles ist uns bewusst. Aber die VUCA-Welt wartet nicht, bis wir uns auf sie eingestellt haben, und Verbraucher:innen achten immer mehr darauf, ob sie ihr Geld Unternehmen anvertrauen, die ihre Werte teilen und für ökologische wie gesellschaftliche Verantwortung stehen.
Das Fazit, das sich daraus ergibt, liegt auf der Hand: Ökonomische Profitorientierung ist ohne nachhaltiges Denken und Handeln nicht mehr möglich. Dies ist strategisches Managementdenken im 21.Jahrhundert. Zugegeben: Für viele klassische Banker noch ein unbequemer Gedanke. Aber einer, in den es sich zu investieren lohnt.

Die Autorin:
Belgin Rudack übernahm Ende 2017 bei der zur französischen Crédit Agricole Gruppe gehörenden Creditplus Bank die Position der Vorstandsvorsitzenden. Zuvor war die diplomierte Betriebswirtin in Führungspositionen bei der Santander Bank, der SEB Bank, bei GE Capital, der Citigroup sowie bei der Finanzplattform PlanetHome tätig.