Skalierung in Minuten? Selbst erstellte Software macht die Runde

Nahezu alle Unternehmen entwickeln intern Software, Apps und Algorithmen, um Prozesse zu optimieren oder Produktion, Verwaltung oder Marktbearbeitung zu beschleunigen. Häufig stoßen die Mitarbeiter und die Organisation schnell an Grenzen, wenn es darum geht, Eigenentwicklungen innerhalb des Unternehmens zu verbreiten oder aber Transparenz über und Zugriff auf Applikationen zu bekommen. Wie löst man dieses Problem technisch? Welche juristischen und steuerlichen Aspekte sind zu beachten? Wie kann man Ökosysteme nutzen, damit die gesamte Organisation auf externe Fähigkeiten zurückgreifen kann?

Werden alle Unternehmen zu Softwarehäusern?

Selbstverständlich nutzen alle Organisationen Software, die sie von spezialisierten Softwareunternehmen beziehen. Sehr viele Firmen haben die Zeichen der Digitalisierung erkannt und bauen intern in vielen Bereichen Softwareentwicklungsfähigkeiten auf. Werden damit alle Unternehmen selbst zu Softwarehäusern à la Microsoft, SAP oder Google? Davon ist nicht auszugehen, aber die Verantwortlichen erkennen, dass der Einsatz von Third-Party-Software Grenzen hat und man mit den eigenen Fähigkeiten zielgenauere Lösungen entwickeln kann.
Es geht also nicht darum, selbst zum Softwareunternehmen zu werden, sondern darum, Exzellenz im Bereich Softwareentwicklung aufzubauen.

Grenzen einreißen, Software skalieren

Es kommt natürlich nicht nur darauf an, sehr gut funktionierende Apps, Algorithmen oder Automatisierungen zu programmieren, sondern vor allem darauf, diese effizient im Unternehmen zu verteilen. Dabei muss verhindert werden, dass Wildwuchs entsteht und identische Probleme mehrfach gelöst werden, weil Mitarbeiter schlicht nichts voneinander wissen. Ebenso ist es fatal, wenn keinerlei Standards etabliert werden, in allen Ecken des Unternehmens fröhlich „drauflosprogrammiert wird“ und jede/r die Tools und Programmiersprachen verwendet, zu denen sie/er einen persönlichen Zugang oder erste Erfahrungen hat.
Um ein optimales Setup zu erreichen, spielen einige Faktoren eine Rolle, auf welche die verschiedenen Autoren in diesem Special noch detaillierter eingehen werden:

  • Mechanismen und Prozesse, um Software über Grenzen hinweg zu teilen (dies können Landes-, funktionale oder legalrechtliche Grenzen etc. sein)
  • Ein einfach zugänglicher und allen Mitarbeitern bekannter „Ort“, um sich regelmäßig einen Überblick verschaffen bzw. mit einem konkreten Problem auf die Suche nach vorhandenen Lösungen gehen zu können
  • Hoher Automatisierungsgrad beim Zusammenbringen sowie „Matching“ von Angebot und Nachfrage und der Bereitstellung der jeweiligen Applikationen
  • Erfüllung höchster Sicherheitsstandards sowie Nutzung im Unternehmen bereits etablierter Autorisierungs- und Authentifizierungsprozesse

In den vergangenen zwei bis drei Jahren haben diverse Unternehmen diese Notwendigkeiten erkannt und begonnen, die nötigen Prozesse und Plattformen aufzubauen, um einen effizienten  Austausch von Applikationen zu etablieren. Dabei stellen sich einige Kernfragen, die Unternehmen und Organisationen beantworten müssen und die wir im Folgenden beleuchten werden.

Softwareskalierung – Anwendungsfälle aus diversen Unternehmen (Auswahl)
1. Transparenz: Mitarbeiter können sich schnell und effizient einen Überblick verschaffen (inkl. Google-ähnlicher Suchfunktion).
2. Distribution: Softwarelösungen können einfach zwischen Entwicklerteams und Endanwendern ausgetauscht werden.
3. Datenkatalog: Managen und Teilen von großen Datenmengen innerhalb der Organisation
4. Monetarisierung: Kaufen und Verkaufen von digitalen Assets innerhalb der Organisation – mit einfacher Abrechnung
5. Ökosystem: Bereitstellung der eigenen Software auch außerhalb sowie Co-Innovation an neuen Lösung

Öffentlicher oder interner Marktplatz?

Welche Mechanismen benötige ich eigentlich, um Apps, Skripte, Algorithmen – kurz: Software – im Unternehmen publik und nutzbar zu machen? Und zwar nicht die Standardsoftware, die ich mir von den großen Anbietern ins Haus hole und dann über Softwarecenter und Ähnliches an alle Mitarbeiter oder definierte Gruppen ausrolle, sondern die Software, die innerhalb des Unternehmens quasi selbst erstellt wurde.
Ich benötige einen Marktplatz, quasi einen App-Store, jedoch innerhalb der Grenzen der Organisation. Die einschlägigen Cloud-Anbieter und Softwarehäuser offerieren heutzutage alle einen eigenen Marktplatz, auf dem man Zusatzprodukte zur Kernsoftware anbieten, erwerben und herunterladen kann. Jedoch werden diese Marktplätze dem eigentlichen  Bedürfnis der Unternehmen und Organisationen nicht gerecht, die Software innerhalb des Unternehmens zugänglich machen wollen. Denn all diese Marktplätze sind öffentlich.
Auf die beschriebene Art von Software sollen jedoch sehr häufig Externe gar keinen Zugriff  erhalten, da dann eventuell ein Wettbewerbsvorteil verloren ginge und ggfs. dem Externen auch Rechte wie Gewährleistung oder User Support zustehen würden. Nur intern können die Unternehmen und Organisationen ihr Intellectual Property schützen.
Daher ist die Antwort ein interner Marktplatz. Dieser muss selbstverständlich höchste  Sicherheitsanforderungen erfüllen und eine möglichst hohe Automatisierung der nötigen Prozesse beinhalten. Wenn es diese nicht gäbe, würde sich die Distribution teilweise sehr kleiner Apps und „Tools“ nicht lohnen und somit das eigentliche Ziel nicht erreicht. Der Artikel von Dr. Jan-Niklas Keltsch zeigt auf, worauf es bei einem solchen Marktplatz ankommt.

Ausgangslage und Zielsetzung für einen internen Software Marktplatz.
Quelle: Deloitte Analyse 2022

Machen die Steuern alles zunichte?

Die nächste Thematik (und in vielen Fällen sogar eine der ersten Fragen) ist die der Steuern. Wenn ein Unternehmen wie eingangs beschrieben interne Grenzen überwinden möchte, ist es unabdingbar, dies steuerrechtlich sauber aufzusetzen. Dazu gehören zum Beispiel die Definition geeigneter Transferpreise und effiziente Abrechnungsprozesse, die an die Unternehmenssysteme angebunden sind, um die kaufmännischen Vorgänge transparent, nachvollziehbar und auditierbar zu gestalten. Claudia Lauten und Dr. Till Contzen von Deloitte Tax & Legal gehen in ihrem Artikel im Detail auf die zu klärenden juristischen und steuerlichen Fragestellungen ein.

Löst die Cloud alle Sorgen?

Die Nutzung der Cloud ist elementarer Bestandteil jeder Softwarestrategie. Mancher mag nun sagen: Mit der Cloud kann ich auch unternehmensinterne Software einfach und überall zur Verfügung stellen. Dieser Gedanke ist jedoch nur teilweise richtig, da in diesem Fall einige wesentliche Prozesse und Notwendigkeiten außer Acht gelassen würden.
Ein moderner Marktplatz muss sich selbstverständlich der Skalierungs- und Sicherheitsmechanismen führender Cloud-Plattformen bedienen; Anna Marino, Leiterin der Abteilung Partner und Allianzen für Business Application Platform bei Google Cloud, zeigt dies in ihrem Artikel auf. An dieser Stelle muss kein Unternehmen entsprechende Funktionalitäten neu erfinden oder selber aufbauen. Auch offene Standards wie zum Beispiel Docker und Kubernetes sind weitere wesentliche Bestandteile eines Marktplatzes. Dennoch gibt es darüber hinausgehende Funktionen, die sinnvoll ergänzt und in die Gesamtarchitektur eingebunden werden sollten.

APIs: Microservices im Unternehmen als Basis für viele Softwarelösungen

Wenn Unternehmen Software für sich selbst entwickeln, stehen sie häufig vor dem Dilemma, dabei entweder sehr agnostisch vorzugehen, um die unterschiedlichen Anforderungen der internen Kunden abzudecken, oder ein spezifische Anwendung zu erstellen. Ersteres hat zwar den Vorteil, dass die Anwendung für eine breitere Masse einsetzbar ist. Auf der anderen Seite muss deutlich mehr in die Entwicklung investiert werden, um möglichst viele Konfigurationen abzubilden. Der alternative Ansatz führt häufig schnell zum Ergebnis, schränkt aber die Wiederverwendbarkeit stark ein.
Eine Möglichkeit diesem Dilemma zu entkommen ist, Applikationen in Microservices herunterzubrechen, um aus diesen dann immer wieder neue Kombinationen zu orchestrieren. Diese eher agnostischen Microservices können dann hochskalierbar intern zur Verfügung gestellt werden, sodass auf deren Grundlage neue, spezifische Lösungen entwickelt werden können. So kann etwa der Auswertungsalgorithmus einer Lösung als Microservice für einen neuen Service verwendet werden, die Datenaufnahmen und die Darstellung der Ergebnisse dagegen können für die spezifische Lösung entwickelt werden. Die Idee der API Economy wird von Sebastian Strugholtz, Prof. Dr. Roland Frank und Fabian Meise, den Autoren des Buches „Bausteine der digitalen Transformation – Wie APIs Unternehmen den Weg in die Programmable Economy ebnen“, erschienen im Springer Verlag, näher erläutert.

Ökosystem mit Potenzial?

Schließlich sollten sich Unternehmen und Organisationen die Frage stellen, wie sie ihr eigenes
und/oder externe Ökosysteme sinnvoll in die Strategie rund um ihre interne Softwareentwicklung einbeziehen. Prof. Dr. Sabina Jeschke und Olly Salzmann, die Vorstände  des KI Park Deutschland e.V., beleuchten diese Fragen aus der Sicht eines Ökosystems.
Zum einen kann das Ökosystem selber zum Skalierungsmarktplatz werden, in dem die Mitglieds-unternehmen exklusiven Zugang auf Softwareentwicklungen der anderen Mitglieder bekommen. Zum anderen können die Ökosysteme ihre ganze Kraft ausspielen, Corporates, akademische Einrichtungen, Start-ups und Verbände zusammenzubringen, somit gemeinsam an der Entwicklung arbeiten und auch kleinere Softwareentwicklungen einem größeren Kreis zur Verfügung zu stellen.
Unabdingbare Voraussetzung ist natürlich, dass die entsprechende Software so aufgesetzt ist, dass sie sich über einen Marktplatz auch skalieren und vielen Nutzern zur Verfügung stellen lässt. Auch hier kann ein Ökosystem eine wichtige Rolle spielen und entsprechende Standards setzen, in denen die angeschlossenen Mitglieder agieren.
Ich lade Sie ein, auf den folgenden Seiten viele unterschiedliche Aspekte dieses hochrelevanten Themas kennenzulernen und sich ein eigenes Bild zu machen. Die Skalierung selbst kleiner Softwarelösungen – die vielleicht ursprünglich von Mitarbeitern „für den Eigengebrauch“ gedacht waren – lässt sich effizient umsetzen und bietet erhebliche Potenziale.

Der Autor:
Peter Fach leitet als Partner bei Deloitte Deutschland und Deloitte Continental Europe den Bereich Products & Assets. Hier sind branchenübergreifend alle Aktivitäten rund um die Entwicklung eigener Softwarelösungen gebündelt, mit denen u.a. die Projekttätigkeiten effizienter gestaltet werden, aber auch komplette Dienstleistungen für Kunden übernommen werden.