Für Energieversorger stellt sich die Frage: Welche Geschäfte kommen nach dem Energieverkauf? Die Antwort darauf liegt im wertvollsten Kapital, das ihnen zur Verfügung steht: dem Zugang zu ihren Kunden. Mit regionalen Vermarktungsplattformen lassen sich gewinnbringende E-Commerce-Lösungen umsetzen – weit über den Verkauf von Energieprodukten hinaus.
Der Energieverkauf ist auf Dauer rückläufig, weil die Energiewende Kunden viele Chancen bietet, selbst Energieproduzent zu werden. Neue Anbieter in den Sektoren Strom, Verkehr und Telekommunikation erhöhen zusätzlich den Druck sowohl horizontal als auch vertikal entlang der traditionellen Wertschöpfungskette. Zugleich entstehen aber auch neue Bedürfnisse der Energiekunden und damit neue Geschäftsfelder für die Branche.
Die große Chance liegt im Kundenzugang
Für die über 1000 mittelständischen Energieversorger in Deutschland kommt es jetzt darauf an, die Chancen in den neuen Geschäftsfeldern zu ergreifen. Dabei hilft ihnen ein entscheidender Vorteil: Im Schnitt verfügen sie über circa 80 Prozent der Kundenzugänge in ihrem Markt. Diese Ausgangslage können sie nutzen, um über regionale Vermarktungsplattformen eine Vielzahl an Produkten und Dienstleistungen online zu verkaufen – und das weit über die klassischen Energieangebote eines Stadtwerks hinaus.
Ein mögliches Angebotsportfolio könnte in vier Bereiche gefächert wie folgt aussehen:
- Energie: Smart-Meter-Tarife, Wärme-Contracting, Energiesparprodukte, PV- und Speicherlösungen
- Mobilität: Car-Sharing, E-Bike- / E-Auto-Verleih, E-Ladestationen, Park-Abos, ÖPNV-Bundles
- Freizeit: Konzert- und Veranstaltungs-Tickets, Bäderabos und Freizeitkurse, City- und GeschenkGutscheine, Merchandising
- Wohnen: Glasfaser-Anschluss, Telko-Produkte, Smart Home Produkte, Versicherungen, Facility-/ Hausmeister-Service, Umzugsservices
Um das Portfolio für eine regionale Plattform zu entwickeln, bietet sich die Customer Journey als strategischer Ansatz an: Was könnte ein Kunde im Tagesverlauf brauchen? Zu welchen Anlässen kommt er mit einem bestimmten Produkt oder einer bestimmten Dienstleistung in Berührung? Ausgehend von diesen Leitfragen lässt sich eine Plattform entwickeln, die zum ständigen Begleiter des Kunden wird – wenn er zum Beispiel ein Bus-Ticket kaufen, einen E-Roller mieten, eine Hausratsversicherung abschließen oder einen Schwimmkurs buchen möchte.
Eine solche Plattform bündelt Energievertrieb, Non-Commodity-Produkte und Kundenservice. Sie schafft eine feste Kundenbindung – quasi ein gemeinsames digitales Zuhause für Anbieter und Kunden.
Eine einheitliche Plattform für alle Angebote
Die meisten Energieversorger tun sich noch schwer, ein solches Geschäftsmodell zu realisieren. Zwar erkennen sie, wie attraktiv Angebote wie Bäder, Parken, ÖPNV, Car-Sharing und E-Mobilität sind, doch sind diese nicht über eine Plattform anbietbar und bezahlbar. Und genau da liegt der Engpass: Die digitalen Angebote sind nicht auf einer Plattform vernetzt und zwingen die Kunden immer wieder zu Medienbrüchen. Dadurch wird eine einheitliche Sicht auf das Kundenverhalten unmöglich – und es fehlen die notwendigen Daten, um neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.
Die große Herausforderung einer regionalen Plattform liegt darin, die unterschiedlichen Angebote auf einheitliche Weise einzubinden. Hierbei gilt es, die Prozesse mit Dienstleistern, Partnern und Handwerkern über die Plattform zu koordinieren und abzuwickeln – und das auf eine effiziente und effektive Weise. Moderne Plattformlösungen bieten hierfür neben den Standardfunktionen auch ein individuell konfigurierbares Baukastensystem an. So gelingt es, auch neue Non-Commodity-Produkte mit relativ wenig personellem und finanziellem Aufwand abzubilden.
Gerade der Vertrieb von Non-Commodity-Produkten verspricht gute Gewinne. Regionale Plattformen sind nicht nur reine Online-Shops mit einem Warenkorb. Vielmehr werden dort Produkte und Dienstleistungen eingebunden, deren Preise maßgeblich von den Kundenwünschen und Kundendaten abhängig sind, wie zum Beispiel PV-Anlagen, Smart-Home-Lösungen, Heizungen und Wärmelösungen oder Ladeinfrastruktur. Über ein entsprechendes Front-End pflegen die Kunden ihre Wünsche und Daten ein. Diese Plattformen verbinden Kunden, interne und externe Prozesse von Energieversorgern sowie unterschiedlichen Anwendungen. Damit werden Geschäftspartner und Dienstleister in die Produktabwicklungen mit einbezogen.
Besonders vorteilhaft: Neue Produkte können in einer sehr frühen Phase mit nur geringem Konfigurationsaufwand „am Kunden“ erprobt werden. Zudem verhelfen solche Plattformen, die Skalierungsfähigkeit flexibel zu gestalten sowie neue Bündelprodukte beziehungsweise Cross-Selling-Produkte, wie zum Beispiel Strom- und DSL-Tarif, Strom mit Hausratversicherung oder Strom mit Schutzbrief anzubieten und abzurechnen.
Fazit
Regionale Plattformen bilden für Energieversorger eine entscheidende Kundenschnittstelle, um Leistungen der Daseinsvorsorge zu vermarkten. Zugleich schaffen sie einen offenen Marktplatz aus einer Hand für neue Produkte und Dienstleistungen verschiedener Anbieter. Eine solche Plattform bietet einem Energieversorger die Chance, sich am Markt zu differenzieren, neue Vertriebskanäle zu erschließen – und für sein wichtigstes Kapital, die Kunden, einen besonderen Mehrwert zu schaffen.
Der Autor: Jan-Dirk Tölle, Mitbegründer und Gesellschafter der GATES GmbH, ist seit mehr als 20 Jahren selbständiger Unternehmer und Strategieberater mit langjähriger Erfahrung in der Telekommunikations- und Energiebranche. Sein Fokus bei GATES liegt im Bereich Strategieentwicklung und Vermarktung von regionalen Plattformen. Die 2011 gegründete GATES GmbH hat sich zum Ziel gesetzt, für Energiekunden ein digitales Zuhause zu bauen und mit einem erstklassigen Kundenservice zu supporten. Mit derzeit 80 Mitarbeitern entwickelt das Unternehmen Plattformlösungen für Energieversorger, vom Kundenservice über Kundenbindung bis hin zum E-Commerce, als App- und Web-Lösung. Die Plattformen fungieren als die digitale Kundenschnittstelle sowohl für das Bestandsgeschäft als auch für neue und innovative Geschäftsmodelle.