Radikal anders: Wie sich Unternehmen auf KI & Co. einstellen

Gestern der Chatbot, heute die Video-KI, morgen ein Sitz im Vorstand? Generative KI drängt mit einem Tempo in den Markt, das bis vor Kurzem undenkbar war. Währenddessen ebnet die Cloud den Weg zu weiteren technologischen Revolutionen. Sie verändern radikal, wie Unternehmen funktionieren – von der Produktentwicklung bis zum Aftersales. Was sollten Sie organisatorisch und operativ beachten, um die Wertschöpfung von morgen zu sichern?

Plötzlich ging alles ganz schnell. Nach Jahrzehnten der KI-Forschung erschien im November 2022 das Large Language Model ChatGPT. Was auf den Release des „Textgenerators“ folgte, war ein Weckruf, ein Vorzeichen für eine neue Zeitrechnung. Innerhalb von Wochen bahnte sich eine Technologie mit Vollgas ihren Weg durch Gesellschaft und Wirtschaft. Sie veränderte unseren privaten Alltag und stellt jetzt über Dekaden erprobte Geschäftsprozesse komplett in Frage. Den Begriff der generativen künstlichen Intelligenz – gerade noch außerhalb der Wissenschaft völlig unbekannt – kennt heute die ganze Welt.

KI demonstriert mit dem Vorschlaghammer, wie sich exponentielles technologisches Wachstum anfühlt. Wie fundamental es Strategien und Entscheidungsprozesse beeinflusst. Dieses radikal andere Tempo wird künftig die Norm sein.

Unbegrenzte IT-Ressourcen für alle

Dass es überhaupt so weit kommen konnte, liegt an einer weiteren Revolution: der Cloud. Anfänglich sparten Unternehmen durch das Auslagern von Servern, Datenspeichern und Netzwerken  einiges an Kosten. Inzwischen ist der strategische Wert der Cloud viel höher aufgehängt. Jede Organisation verfügt nun über praktisch unbegrenzte Rechenkapazitäten. Immer und überall. Innovationen werden so überhaupt erst möglich. Die meisten künftigen Geschäftsmodelle und Umsatzquellen werden daher auf der Cloud aufsetzen. Und auch die bestehenden Prozesse bleiben nur dann wettbewerbsfähig, wenn sie effizienter und günstiger werden – eben durch KI und damit durch die Cloud.

Besonnenheit in Highspeed

Wir haben also ein „exponentielles Technologie-Zeitalter“ erreicht. Und das droht, Unternehmen zu überrollen. Gerade in Deutschland: In einer wirtschaftlich und mit Blick auf den globalen Wettbewerb angespannten Lage suchen Vorstände nach Wegen, sich gegenüber Unsicherheiten widerstandsfähig aufzustellen. Gleichzeitig wollen sie Innovationen vorantreiben und Geschäftschancen entwickeln, die ihre Zukunft sichern. Es gilt also, im laufenden Betrieb umwälzende Technologien einzuführen und Prozesse gänzlich neu zu denken.

Wo bitte geht’s zum Mehrwert?

Eine weitere Herausforderung ist die Wertschöpfungslücke. Vielen Entscheider:innen – von CEO bis CFO – ist unklar, welche der zahllosen innovativen Cloud-Services und Plattformen realistische Wertschöpfungs-potenziale versprechen. Vielleicht geht es Ihnen ähnlich. Auch konkrete Anwendungsfälle im eigenen Geschäft fehlen den meisten Unternehmen noch – häufig nur, weil Technologien von KI bis zum Industrial Internet of Things als IT-Domäne betrachtet und somit im Vorstand nur oberflächlich diskutiert werden. Das muss sich ändern.

Fünf Handlungsfelder: Worauf es jetzt ankommt

Jedes Unternehmen – vom Beratungshaus bis zum Einzelhändler – ist zum Technologieunternehmen geworden. Darauf müssen sich alle Manager:innen und alle Mitarbeitende einstellen. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, sollten Sie fünf Punkte beachten:

  1. Innovation im Schnelltakt: Projektlaufzeiten verdichten
    Militärische Konflikte, Inflation, Störungen in der Versorgung mit Vorprodukten: Seit Jahren nehmen die Unsicherheiten auf der Welt zu – geopolitisch wie makroökonomisch. Das dürfte sich auch in Zukunft nicht ändern. Neue Technologien sind der Schlüssel, um im Eiltempo auf sich ändernde Marktlagen reagieren und rasch neue Geschäftsmodelle installieren zu können.
    Doch langfristige Implementierungsprojekte sind hier fehl am Platz. Wo Planungshorizonte von fünf bis sieben Jahren früher alternativlos waren, passen sie heute überhaupt nicht mehr zur unternehmerischen Realität. Projekte, die länger als zwei Jahre laufen, verhindern oft die Wertschöpfung, die sich Unternehmen ursprünglich von ihnen erhofft hatten. Kein Wunder – bei Go-live ist die anfängliche Innovation bereits veraltet. Oder sie hat sich in der Zwischenzeit als substanzloser Hype herausgestellt.
    Innovation mithilfe standardisierter und schnell adaptierbarer Cloud-Dienste verhindert das. Wichtig ist dabei, vorab Sollbruchstellen zu identifizieren, Ihr Projekt also in kleinere Teilvorhaben zu zerlegen, die jeweils Quick Wins liefern. Bevor Sie etwa die gesamte Lieferkette auf einen Schlag neu konzipieren, gestalten Sie zunächst die Bedarfsplanung um, danach die Beschaffung und so weiter.
  2. Alle für alle: Technologie demokratisieren
    “Die Geschäftsbereiche kümmern sich um das Business. Die IT-Abteilung sorgt dafür, dass Hardware und Software laufen“ – ein Dogma, das schon seit Jahren überholt, doch noch immer alltäglich ist. Jetzt aber wird es zum unternehmerischen Risiko. Technologie durchdringt mittlerweile jeden Geschäftsprozess auf so umfassende Weise, dass sich jede und jeder Mitarbeitende damit intensiv befassen muss. Wie kann generative KI dabei helfen, eine Go-to-Market-Strategie zu entwickeln? Oder Rechtsdokumente aufzusetzen? Oder Geschäftsmodelle zu analysieren? Die Antworten liefert nicht die IT-Abteilung. Sie müssen aus den Fachbereichen kommen. Und oftmals können diese auch gleich die passenden Lösungen umsetzen – nach
    zuvor klar definierten Compliance- und Governance-Vorgaben natürlich. Gegebenenfalls nutzen sie dafür Low-Code-/No-Code-Werkzeuge, wenn es noch keine passende Lösung am Markt gibt.
    Dieser Paradigmenwechsel vollzieht sich in manchen Unternehmen praktisch von selbst. Darauf sollten Sie sich allerdings nicht verlassen. Kommunizieren Sie die neue Erwartungshaltung und
    stellen Sie Mitarbeitenden die Tools und Lernressourcen zur Verfügung, um sie zu erfüllen.
  3. Raus aus den Silos: Teams divers besetzen
    Immer neue technologische Möglichkeiten bedeuten auch: immer weniger Zeit, sie zu evaluieren, zu erproben und in neue Prozesse zu gießen. Traditionelle Organisationsstrukturen sind dafür schlicht nicht gemacht. Stellen Sie stattdessen besser divers besetzte Produktteams mit Expert:innen aus dem gesamten Unternehmen zusammen. So entsteht ein Rundumblick – und der ist elementar. Die Aufgabe des Teams ist es nämlich, schnell die Auswirkungen eines konkreten Technologieprojekts auf die anderen Unternehmensbereiche und Geschäftsprozesse einzuschätzen. Und dann umgehend zu entscheiden.
    „Divers“ bezieht sich dabei nicht nur auf sich ergänzende Fähigkeiten und Erfahrungen. Auch unterschiedliche Denkweisen sind hier gefragt. In einer Zeit der exponentiellen technologischen
    Fortschritte sind diese oft wichtiger als über Jahrzehnte erarbeitetes Fachwissen.
  4. Mentalität schlägt Ausbildung: Das Recruiting anpassen
    Aktuelle Technologiekompetenzen hingegen gehören zu den knappsten Ressourcen überhaupt. Praktisch alle Unternehmen buhlen um die Gunst einer überschaubaren Zahl an Technologieexpert:innen am Markt. Diese Situation lässt sich kaum beeinflussen. Wie Sie damit umgehen, allerdings schon.
    Fähigkeiten und Wissen veralten immer schneller. Jede Ausbildung, jeder Lehrplan hinkt dem Markt meilenweit hinterher. Daher sind die Qualifikationen Ihrer Bewerberinnen und Bewerber weniger wichtig als sie es noch vor wenigen Jahren waren.
    Was jetzt zählt, ist die Mentalität. Unternehmen brauchen Talente, die Lust haben auf Veränderung. Die sich für technologische Trends begeistern und darin aufgehen, Neues auszuprobieren. Stellen Sie Ihr Recruiting darauf ein, denn dies wird die Kernkompetenz der nächsten Jahre sein. Auch deshalb, weil solche Talente zu Multiplikatoren werden: Sie treiben ihre Begeisterung für Technologie in die Organisation – selbst zu jenen, die dem Wandel eher mit Verunsicherung begegnen.
  5. Wandel auf Board-Ebene: Technologie im Vorstand verankern
    Noch einmal: Technologie darf kein IT-Thema bleiben. Es ist DAS Businessthema. Damit ergibt sich nicht nur ein Umdenken in den Geschäftsbereichen, sondern vor allem im Vorstand.
    Jedes Unternehmen benötigt einen „Technology Steward“, die oder der bewertet, ob ein geplantes Technologieprojekt den erhofften Mehrwert tatsächlich heben kann. Und ob es in die bestehende Unternehmensarchitektur passt. Idealerweise erhält der Steward einen festen Platz in der höchsten Führungsebene – aber nicht immer ist das (so ohne Weiteres) möglich. Dann muss er zumindest auf Augenhöhe mit dem Vorstand diskutieren und strategische Entscheidungen von technischer Seite absegnen. Es geht hier also um mehr als eine bloße Beratungsfunktion.

Operative Umsetzung: Hinweise zur Cloud-Strategie

Soweit zu strategischen Überlegungen, um der schieren Masse umwälzender Technologien zu begegnen – und der Geschwindigkeit, mit der sie auf den Markt drängen. Wie gezeigt, steckt das größte Potenzial in der künstlichen Intelligenz und in der Cloud, die den Weg für weitere Innovationen bereitet. Hier sollten Sie Ihre operativen Schwerpunkte setzen, wenn Sie möglichst schnell einen möglichst großen Nutzen generieren wollen.

Bei der Cloud geht es in erster Linie um eine unternehmensweite Skalierung:

Bilden Sie Ihre Geschäftsprozesse wo es nur geht über standardisierte Cloud-Plattformen ab. Für etwa 80 Prozent der Abläufe ist das längst problemlos möglich. Weichen Sie davon nur bei Prozessen ab, die Ihr Unternehmen wirklich differenzieren und die wettbewerbsrelevant sind.

Setzen Sie einen Workflow auf, um die Flut an neu erscheinenden Cloud-Diensten strukturiert zu prüfen und Geschäftspotenziale im Austausch mit den verantwortlichen Entscheider:innen zu diskutieren.

Machen Sie sich das Evergreen-Prinzip zunutze: Cloud-Anbieter stellen regelmäßig Innovationen innerhalb Ihrer Dienste bereit. Sie bleiben damit automatisch technologisch up to date. Das spart Ressourcen, erfordert aber eine andere Form von Veränderungsmanagement.

Generative KI: Schluss mit den Experimenten

Während Cloud-Plattformen weitgehend etabliert sind, nutzen bisher erst 13 Prozent der deutschen Unternehmen generative KI. Das ergab eine Bitkom-Studie vom Februar 2024. Für Sie ist das die Chance, jetzt einen Vorsprung zu erarbeiten!

Gehen Sie Partnerschaften mit Universitäten, Think Tanks oder Technologieunternehmen ein. Diese helfen, ein besseres Verständnis über Möglichkeiten, Grenzen und Risiken von KI zu erlangen. Außerdem können Sie den „KI-Reifegrad“ Ihres Unternehmens so schneller heben.

Lassen Sie die Experimentierphase hinter sich und fokussieren Sie radikal auf solche KI-Projekte, die Sie künftig auch skalieren können und wollen.

Setzen Sie nur Projekte um, die einen konkreten Mehrwert für Ihre Kunden schaffen. Zu viele Initiativen sehen nur auf den ersten Blick bahnbrechend oder zumindest spannend aus. Zwingen  Sie sich daher vor jedem Projekt zu einer EBITDA-Betrachtung.

Beispiele aus der Praxis

8 von 10 deutschen Unternehmen warten hinsichtlich ihrer KI-Initiativen zunächst ab, welche
Erfahrungen andere machen. Aus meiner Sicht ein Fehler – denn bei der Rasanz, mit der diese und weitere Technologien unsere Welt transformieren, können wir uns keine Verzögerungen leisten. Auf den folgenden Seiten finden Sie daher Einblicke in die Technologieprojekte namhafter Unternehmen. Lassen Sie sich inspirieren!

Der Autor:
Dr. Dominik Krimpmann leitet das Technologie-Beratungsgeschäft von Accenture in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Mit seinem Hintergrund in Informatik und Betriebswirtschaft berät er CIOs, CEOs und CTOs der Fortune-500-Unternehmen zu ihrer zukünftigen technologischen Ausrichtung. In den letzten zehn Jahren leitete er dabei die Umsetzung von mehr als 50 Geschäfts- und Technologietransformationen.

 

 

Weitere Einblicke und Perspektiven aus der Praxis erhalten Sie hier: Tech.Rulez.Period! – YouTube