Qualitätsführerschaft in Zeiten des digitalen Wandels

Wer sich einmal in Sachen Qualität an die Spitze seiner Industrie gesetzt hatte, war dort lange Zeit nicht mehr wegzudenken. Jetzt aber gelten neue Regeln. Der digitale Wandel fordert neues Denken. Eine Gefahr für die etablierten Spitzenreiter, eine Chance für Newcomer, eine große Aufgabe für das Qualitäts- management.

Qualität ist auf der Agenda des Topmanagements an oberste Stelle gerückt. Ein Blick auf Rückrufzahlen, zum Beispiel der Automobilbranche, beleuchtet die Gründe: Wurden in den USA zwischen 2009 bis 2011 durchschnittlich 16,5 Millionen Autos pro Jahr zurückgerufen, waren es von 2015 bis 2017 44,5 Millionen, also fast dreimal so viele. Auch andere Branchen mit komplexen Systemen haben mit zunehmenden  Qualitätsproblemen zu kämpfen.

Deutlich zeigt sich, dass die Unternehmen Schwierigkeiten haben, in ihrer Qualität mit dem rasant wachsenden Anteil von Elektronik und Software mitzuhalten. In der Automobilindustrie beträgt der Anteil von Software und Elektronik an den Fahrzeugkosten mittlerweile bis zu 40 Prozent. Globale Fertigungsketten stellen die Unternehmen zusätzlich vor die Herausforderung, dasselbe Qualitätsniveau unabhängig von Entfernung und lokaler Beschaffung sicherzustellen. Wie also gegensteuern? Wie das Qualitätsmanagement dem technologischen Wandel anpassen?

Eine globale A.T. Kearney Studie basierend auf mehr als 20 aktuellen Qualitäts-Projekten und einer Befragung von mehr als 50 Führungskräften zeigt Herausforderungen und Lösungsansätze im Qualitätsmanagement der Zukunft auf. Das Ergebnis: Mit Standardansätzen sind die aktuellen Qualitätsprobleme nicht zu lösen. So radikal und disruptiv, wie sich die Veränderungen in Geschäftsmodellen und Wertschöpfungsketten darstellen, so tiefgreifend muss auch Qualitätsmanagement neu gedacht werden. Was für die etablierten Qualitätsführer eine Bedrohung ist, eröffnet für Newcomer Opportunitätsfenster, Qualität neu zu definieren und die Spitzenplätze einzunehmen.

Neue Grundlagen schaffen

Vier von zehn Führungskräften meinen, dass Standard-Qualitätsmethoden ihre Wirksamkeit verlieren und die Hälfte rechnet innerhalb der nächsten zehn Jahre mit wachsenden Qualitätsproblemen. Bestehende Grundlagen der Qualitätsmanagementsysteme sind also zu überprüfen. Bei vielen Unternehmen ist der Qualitätsfokus beispielsweise immer noch zu stark auf die Produktion begrenzt. Höchste Qualität erzielt jedoch, wer sie bereits im Designprozess anlegt. Präventives Qualitätsmanagement stellt sicher, dass die entsprechenden Kriterien bereits bei der Entwicklung und Industrialisierung eines Produkts berücksichtigt werden. Bislang können aber nur 48 Prozent der befragten Unternehmen angeben, dass sie auch die Phase der Konzeptdefinition in den Qualitätsfokus rücken. Zu präventivem Qualitätsverständnis gehört ein tiefes Verständnis der „Voice of the Customer“ zum Beispiel durch „Product Clinics“ (Beurteilung der Produktbestandteile durch Kunden), hoch entwickelte Validierungsmethoden und konsequentes Reifegradmanagement.

Mehr Innovationen wagen

Viel Nachholbedarf besteht bei der Anwendung innovativer Methoden: Fast die Hälfte der Unternehmen hat den Eindruck, dass ihr Unternehmen beim Qualitätsmanagement nicht sehr innovativ ist und mehr als drei Viertel sehen die Notwendigkeit, mit Hilfe von Big Data, sozialen Netzwerken und Industrie 4.0 neue Methoden einzuführen (siehe Grafik). Nehmen wir zum Beispiel Community-Feedback in Echtzeit: Viele Qualitätsprobleme finden ihren Ausdruck in den sozialen Medien, wo es in der Reaktion vor allem auf Geschwindigkeit ankommt. Unternehmen können Community-Feedback in Echtzeit zur Aufdeckung von Qualitätsproblemen einsetzen, indem Web-Analytics-Lösungen die Analyse und Auswertung unstrukturierter Online-Kundenfeedbacks ermöglichen. So entsteht ein Social-Media-Radar, mit dem sich die Fehleridentifikation und Ursachenanalyse beschleunigen lassen. Bisher klaffen Anspruch und Wirklichkeit jedoch noch auseinander: So wird auch Community-Feedback in Echtzeit von 88 Prozent der Führungskräfte als vorteilshaft eingestuft, doch nur 32 Prozent wenden es an.

Der dringende Handlungsbedarf beim Qualitätsmanagement liegt auf der Hand. Die Unternehmen müssen ihr Qualitätsfundament überprüfen und in geeignete Qualitätsinnovationen investieren. Wer sich jetzt nicht um die Sicherung seiner Qualität kümmert, unterlässt einen wichtigen Schritt im technologischen Wandel.

Die Autoren:  

Stephan Krubasik ist Partner bei A.T. Kearney. Er berät OEMs und Zulieferer zu den Themen Qualität, Strategie, Produktentstehung und Transformation.  

 

 

Dr. Christine Sachseneder arbeitet als Principal bei A.T.  Kearney mit Fokus auf  Qualitätsstrategie, -prozesse und Organisation sowie Transformation in der Automobil-industrie.