Auch im Projektgeschäft des Schienenfahrzeugbaus stellt die fortlaufende Optimierung der Produktkosten eine große Herausforderung dar. Im Gegensatz zur endkundenorientierten Großserienfertigung, wie man sie beispielsweise aus der Automobilindustrie kennt, sind hier viele Freiheitsgrade durch öffentliche Ausschreibungen und umfangreiche Regularien stark eingeschränkt. Die Kunst liegt in der optimalen Umsetzung der Kundenanforderungen in Produktspezifikationen und deren Umsetzung in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit den Lieferanten.
Schienenfahrzeugbau ist klassischer Maschinenbau mit einer Vielzahl zu integrierenden
Komponenten externer Lieferanten. Anders als beispielsweise in der Automobilindustrie sind jedoch vollautomatisierte Abläufe und identische Komponenten in millionenfacher Stückzahl bei Schienenfahrzeugen nicht die Regel. Züge werden auf die individuellen Bedingungen ihres Einsatzortes, des Netzes und der in den Ausschreibungen beschriebenen Anforderungen hin entworfen, konstruiert und gebaut. Dies geschieht auf Basis von Plattform oder modularer Produktarchitekturen, nichtsdestotrotz gleicht selten eine Fahrzeugflotte der anderen.
Besondere Rolle im „Tailor Made“-Segment
In der Welt der Eisenbahnen nimmt Stadler mit seiner besonderen Expertise im sogenannten „Tailor Made“-Segment noch einmal eine besondere Rolle ein. Neben weitgehend standardisierten Produkten entwickelt Stadler Fahrzeuge, die einmalig sind. Das Portfolio reicht von Luxus-Reisezugwagen für Kanada über den weltberühmten Glacier-Express oder führerlose Metros in einem der weltweit engsten Tunnelprofile in Glasgow bis hin zur Berliner S- und U-Bahn, die es –obgleich in hoher Stückzahl zu produzieren – so nirgendwo auf der Welt noch einmal gibt. In einer solchen industriellen Manufaktur mit einem hohen Wertschöpfungsanteil an Ingenieursleistung ist die Optimierung der Produktkosten bei gleichzeitiger Sicherstellung der technologischen und qualitativen Ansprüche des Kunden eine besondere Herausforderung.
Wir haben uns dieser Herausforderung mit der Prämisse gestellt, Optimierungen nicht punktuell, sondern über den gesamten Prozess der Wertschöpfungskette hinweg ganzheitlich und nachhaltig zu verankern. Schienenfahrzeuge haben in der Regel einen Lebenszyklus von 30 Jahren. Bei Stadler stehen hohe Qualität, Zuverlässigkeit der Fahrzeuge und ein langer Life Cycle mit einer Recyclefähigkeit von über 90 Prozent an erster Stelle des Anspruchs an uns selbst.
Daraus resultieren entsprechend hohe Ansprüche an die Performance der Unterlieferanten einzelner Komponenten, die wiederum in ihrem Bereich spezialisiert sind. Die Produktkostenoptimierung über die Wahl alternativer und günstiger Lieferanten ist eine Option, der das Risiko anhaftet, mit Einbußen im Bereich Qualität, Zuverlässigkeit oder Langlebigkeit einherzugehen. Dieses Risiko gilt es zu beherrschen und zu mitigieren. Stadler arbeitet seit jeher mit einer sehr hohen Wertschöpfungstiefe, bei der über 90 Prozent der Vorprodukte aus der EU und wiederum 75 Prozent aus dem jeweiligen Land des Standorts sowie der angrenzenden Länder kommt. Gute Beziehungen zu unseren Lieferanten zeichnen an vielen Stellen langjährige Zusammenarbeit aus. Der Blick über den Tellerrand ist jedoch ein maßgeblicher Aspekt einer erfolgreichen Produktkostenoptimierung.
Stadler hat sich daher mit der Unterstützung eines Experten-Teams von TARGUS für den Weg des Product Value Managements entschieden, um so die zu erzielenden Optimierungen von Beginn eines Fahrzeugprojektes an unter Einbeziehung aller Schritte entlang der Wertschöpfungskette fest im Prozess zu implementieren.
Frühzeitige und enge Einbindung der Lieferanten
Eine wesentliche Rolle spielt hier bereits im Rahmen der Produktentwicklung die frühzeitige und enge Einbindung der Lieferanten mit dem Ziel, die Kosten aller Einzelpositionen unter Berücksichtigung der Anforderungen zu optimieren. Diese Vorgehensweise erfordert eine möglichst genaue und detaillierte Beschreibung der Bedarfe und Vorstellungen auf Seiten des Fahrzeugprojektes bereits in der von vielen technischen Unsicherheiten geprägten frühen Phase des Produktentwicklungsprozesse.
Dies ist der Schlüssel zu einer intensiven Zusammenarbeit mit potentiellen Lieferanten. Nur wer
genau weiß, was gefordert wird, kann dies schlussendlich zur Zufriedenheit beider Seiten anbieten, entwickeln und liefern. Durch Transparenz und genaue Spezifikation profitiert der Auftraggeber im Auswahlverfahren von einer Abwägung zwischen bereits bekannten und bewährten Lieferanten und der Betrachtung neuer Kooperationspartner, die oftmals neue Sichtweisen und alternative Lösungsansätze einbringen.
In der engen Zusammenarbeit mit dem Lieferanten ist es wichtig, nicht nur nach
Kostenoptimierungen in der konkreten technischen Lösung zu suchen, sondern auch nach Möglichkeiten zur Optimierung von Kosten zu suchen, die aus der Art der Zusammenarbeit resultieren und daher von Stadler beeinflusst werden können.
Ziel sollte eine partnerschaftliche Zusammenarbeit sein, die für beide Parteien Vorteile bringt.
Für Stadler ist dieser Vorteil natürlich in der Möglichkeit zu sehen, ein qualitativ hochwertiges
Produkt zu einem wettbewerbsfähigen Preis zu erhalten. Aber auch der Lieferant muss von einer
solchen engen Zusammenarbeit profitieren, ansonsten wird die Motivation zur Erzielung nachhaltiger Einsparungen schnell abebben.
Für Stadler hat die Pilotierung dieses Ansatzes in einem konkreten Fahrzeugprojekt gezeigt,
dass der damit verbundene Aufwand sehr schnell zu einem signifikanten quantifizierbaren Mehrwert geführt hat. Beschlossenes Ziel ist es daher, zukünftig alle großen Projekte mit einem internen PVM-Team zu begleiten und so einen weiteren Beitrag zur Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit zu liefern.
Der Autor:
Jure Mikolčić ist CEO der Stadler Deutschland GmbH. Bevor er 2019 die Führung der deutschen Tochtergesellschaft der Stadler Rail Gruppe übernahm, war er in leitenden Funktionen bei Knorr Bremse und Siemens tätig. Jure Mikolčić arbeitet seit mehr als 20 Jahren in der Schienenfahrzeugindustrie.