Product Lifecycle Management (PLM) als Rückgrat einer nachhaltigen Produktentstehung

Um die Herausforderungen der Nachhaltigkeit erfolgreich zu meistern, sind Transparenz und Nachverfolgbarkeit über den gesamten Produktlebenszyklus notwendig. Ein Werkzeug hierfür ist das Product Lifecycle Management (PLM): Es verwaltet und aggregiert die Produktdaten entlang des Produktlebenszyklus – und schafft damit die Voraussetzung, Produkte von vornherein nachhaltig auszulegen.

Unternehmen brauchen heutzutage eine stärkere Resilienz, um Risiken zu minimieren und die Innovation voranzutreiben. Nicht nur strengere nachhaltigkeitsbezogene Gesetze, sondern auch Unterbrechungen der Lieferketten sowie die Ressourcenknappheit zwingen zum Umdenken. Beispiele für solche Gesetze sind das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das zum 1. Januar 2023 in Kraft trat und Unternehmen zur Achtung von Menschenrechten durch die Umsetzung bestimmter Sorgfaltspflichten verpflichtet. Auch der European Green Deal, ein Konzept der EU mit dem Ziel, Europa bis zum Jahr 2050 zu einem klimaneutralen Kontinent zu machen, hält verstärkt Einzug in die Strategie der Unternehmen.
Darüber hinaus machen die institutionellen und privaten Investoren ihre Investitionsentscheidung verstärkt an umweltorientierten Kriterien fest. In der Tat investieren mehr und mehr Aktienfonds in Unternehmen, die einen positiven Beitrag zur Erreichung mindestens eines der 17 Nachhaltigkeitsziele der UN (Sustainable Development Goals, sog. SDG) leisten.
Weiterhin entsteht ein großer Druck seitens der Kunden, die nachhaltige Produkte fordern, um eigene Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Hierfür sind sie bereit, einen Aufpreis in Kauf zu nehmen. Nicht zuletzt werden nachhaltigkeitsorientierte Arbeitgeber vorgezogen.
Vor diesem Hintergrund stehen viele Unternehmen vor der Herausforderung, eine Nachhaltigkeitstransformation umzusetzen. Dabei sollen ökologische, ökonomische und soziale Ziele des Unternehmens in Einklang gebracht werden. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, ist ein Paradigmenwechsel notwendig. Dieser erfordert es, die Art und Weise zu ändern, wie Produkte geplant, entwickelt, produziert, betrieben, instandgehalten bzw. gewartet, wiederverwendet und recycelt werden. Eine Prüfung des Geschäftsmodells geht selbstverständlich mit diesen Maßnahmen einher. In diesem Zusammenhang sind bereits erste Unternehmen dazu übergegangen, ihre Produkte als Dienstleistung – Machine-as-a-Service – anzubieten. Damit wird u.a. ein kontinuierlicher Betrieb in der Produktion sichergestellt, weil Komponenten aus gebrauchten Maschinen zurückkommen und neue eingesetzt werden.
Es gibt sicherlich mehrere Ansätze zur Umsetzung einer Nachhaltigkeitstransformation. Ein Ansatz mehrerer Unternehmen zur Effizienzsteigerung und Erreichung ihrer Nachhaltigkeitsziele besteht darin, von einer linearen Ökonomie zu einer Kreislaufwirtschaft bzw. zirkulären Ökonomie überzugehen. Der Unterschied zwischen beiden Konzepten besteht darin, dass Produkte langlebig konzipiert und am Ende ihres Lebenszyklus nicht mehr auf der Mülldeponie landen, sondern in Gänze oder in Teilen wiederverwendet werden. Der Anteil an primären Rohstoffen soll drastisch reduziert werden, um das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln.
Mehrere Hersteller haben diese Trends erkannt und nehmen u.a. strategische, organisatorische, prozessuale und kulturelle Anpassungen vor, um kreislauffähig zu werden. Zuallererst ist es wichtig, den eigenen Status quo zu kennen, d.h. die Betriebsabläufe und den gesamten Produktlebenszyklus zu bewerten. Hierfür brauchen Unternehmen ein Werkzeug, das Produktdaten entlang des Produktlebenszyklus verwalten und aggregieren kann.
Ein Werkzeug, das bereits eine sehr große Menge an Informationen zum Produktlebenszyklus beinhaltet, ist das PLM-System. Durch sinnvolle Integrationen kann es als Datendrehscheibe für das nachhaltige Unternehmen dienen und somit die Transparenz und Nachverfolgbarkeit über den gesamten Produktlebenszyklus gewährleisten.

Wie PLM eine nachhaltige Produktentstehung unterstützt

PLM ist ein integrierter Managementansatz bestehend aus konsistenten Methoden, Prozessen, Modellen und IT-Werkzeugen, um Produktinformationen, Prozesse und Applikationen entlang des gesamten Produktlebenszyklus zu verwalten. Dabei werden alle Lebenszyklusphasen von der Entwicklung über die Produktion, Betrieb und Service bis hin zum Rückbau und zur Entsorgung betrachtet.
Bis zu 80 Prozent der Umweltauswirkungen sowie Kosten eines Produkts werden in der Entwicklungsphase festgelegt. Somit ist es ausschlaggebend, bereits an dieser Stelle eine große Unterstützung zu leisten. Das Ziel ist eine lebenszyklusbezogene Produktentwicklung, wodurch Produkte in einer Art ausgelegt werden, dass ihre negativen Auswirkungen auf Umwelt und Menschen reduziert sind. Wo und wie hilft nun PLM konkret?

Von der Wiege zur Wiege: Product Lifecycle Management (PLM) ist ein Managementansatz, um Produktinformationen, Prozesse und Applikationen entlang des gesamten Produktlebenszyklus zu verwalten. Dabei werden alle Lebenszyklusphasen von der Entwicklung über Produktion, Betrieb und Service bis hin zum Rückbau und zur Entsorgung betrachtet.

Intelligente Materialauswahl zur Senkung von Umweltauswirkungen

Ein PLM-System unterstützt den Konstrukteur bei der Auswahl nachhaltiger Materialien und der Überwachung der Umweltauswirkungen auf Basis der Stückliste. Dadurch sind die Entwickler in der Lage, Entscheidungen zu Varianten auf Komponenten-, Baugruppen- und Systemebene zu treffen. Diese Möglichkeit ist insbesondere deshalb relevant, weil allein die Materialauswahl den CO2-Fußabdruck von Produkten erheblich senkt. Ein Blick in die Praxis zeigt, dass der Anteil der in der deutschen Industrie eingesetzten Rezyklate1) lediglich 14 Prozent beträgt – noch zu wenig, um den Anteil an Primärrohstoffen drastisch zu reduzieren, auch wenn das ideale Ziel eine „Zero Waste Economy“ wäre.
Die Nachhaltigkeit darf nicht auf ihre ökologische Komponente reduziert werden, sondern soziale und wirtschaftliche Faktoren sind gleichermaßen zu berücksichtigen. PLM unterstützt die Vermeidung gefährlicher und toxischer Stoffe in den Produkten. Das geschieht durch die Integration von REACH- und RoHS-Datenbanken. Die REACH-Richtlinie regelt die Verwendung chemischer Stoffe bei der Herstellung von Produkten, während die RoHS-Richtlinie die Nutzung von Stoffen in elektrischen und elektronischen Produkten limitiert.
Darüber hinaus kann das PLM-System Informationen bereitstellen, die zwecks einer nachhaltigen Beschaffung und eines Sourcings genutzt werden können. Hierfür sind Integrationen mit relevanten Werkzeugen – z. B. Materialdatenbanken, Lifecycle Assessment Tools (LCA) – von großer Bedeutung. Insbesondere die Integration von LCA-Tools ermöglicht den Vergleich von Produktalternativen und eine erhebliche Vereinfachung der Generierung umweltbezogener Reports zu jedem beliebigen Stadium des Produktlebenszyklus. Mit den aus dem LCA gewonnenen Erkenntnissen können die Produkteigenschaften identifiziert werden, in denen Veränderungen den meisten nachhaltigkeitsbezogenen Nutzen bringen.

Nachhaltige Entwicklung als Schlüssel für die Kreislauffähigkeit

Für eine nachhaltige Produktentwicklung empfiehlt es sich, explizit nachhaltigkeitsrelevante  Anforderungen zu formulieren und dabei das Produkt als Teil eines übergeordneten Systems zu betrachten. Darauf aufbauend sollen die Prinzipien der Materialreduktion, modularen Gestaltung, Wiederwendbarkeit (Reuse), Refabrikation (Remanufacturing), Überholung (Refurbishing), Reparaturfähigkeit, Neuverwendung (Repurpose) und Rezyklierbarkeit umgesetzt werden.
Ein PLM-System kann die Nachverfolgbarkeit von Anforderungen und Komponenten sicherstellen und unterstützt zudem die Standardisierung oder Modularisierung von Komponenten und Baugruppen. Dadurch können dieselben Komponenten in unterschiedlichen Produkten eingebaut und somit durch verschiedene Produktreihen später wiederverwendet und neu verwendet (repurposed) werden. Mit der Standardisierung wird gleichzeitig die Reparierbarkeit vereinfacht, weil einerseits Teile leicht ausgetauscht werden können und andererseits das Wissen der Service-Mitarbeiter wiederverwendet wird. Dies gilt auch für die modulare Produktgestaltung, die zusätzlich eine Demontage bzw. einen Rückbau der Produkte vereinfacht. Dadurch können relevante Komponenten nachhaltig aufbereitet und zwecks einer Refabrikation oder Generalüberholung erneut eingebaut werden. Durch die Bereitstellung relevanter Informationen (z. B. Materialeigenschaften, Recycelbarkeit, Prozessanweisungen) unterstützen PLM-Systeme das Recycling von Produkten. Läuft eine Maschine 30 Jahre lang, dann entsteht oft ein Informationsverlust und dementsprechend zeitraubende Abläufe, wenn Ersatzteile beschafft oder Teile der Maschine rezykliert werden sollen. Gerade an dieser Stelle liefern PLM-Systeme wertvolle Informationen und helfen Unternehmen somit, potenzielle Wettbewerbsvorteile zu sichern und Geld zu sparen. Ein ausgeklügeltes Ersatzteilmanagement durch PLM verhindert die Zerstörung abgekündigter Teile und trägt auch zur Nachhaltigkeit bei.
Ein weiteres Prinzip der Nachhaltigkeit, das PLM hervorragend unterstützt, ist die Materialreduktion. PLM-Systeme liefern die Produktdaten, die für frühzeitige Simulationen benötigt werden, um Produkte rechtzeitig zu optimieren – z. B. mit generativem Design – oder um wenige bzw. kaum physische Prototypen bauen zu müssen. Durch die Bereitstellung von qualitätsrelevanten und fertigungsspezifischen Informationen trägt PLM dazu bei, Ausschuss und Nacharbeit in der Produktion zu reduzieren.
Darüber hinaus helfen PLM-Systeme bei der Entwicklung innovativer, nachhaltiger Lösungen. Insbesondere können Erkenntnisse aus den bereits eingesetzten Produkten genutzt werden, um neue Produktgenerationen besser zu dimensionieren bzw. auszulegen, um beispielsweise Material zu sparen oder Verschleiß zu reduzieren. Diese Erkenntnisse können außerdem genutzt werden, um einen nachhaltigeren Betrieb der Produkte zu erzielen und die Lebensdauer der Produkte durch Analytik und Service zu verlängern.

Nachhaltige Produktion, Betrieb und Service

PLM-Systeme unterstützen in der Klassifizierung der Bauteile und Priorisierung der Lieferanten und tragen zur Lokalisierung der Produktion und somit zur Reduzierung von Transportwegen und CO2-Footprint bei. Insbesondere die Lieferantendaten ermöglichen die Selektion von Zukaufsteilen mit dem geringsten CO2-Footprint. Durch das Zusammenbringen der lebenszyklusrelevanten Daten aus verschiedenen Quellen (z. B. Material, CO2-Emissionen, Lebensdauer, Zertifizierungen nachhaltiger Lieferanten) stellen PLM-Systeme die Basis für den Digitalen Zwilling dar. Durch eine Integration mit Asset-Management-Systemen können bereits vorhandene Produktinformationen mit der Maschinenhistorie sowie Betriebs- und Zustandsdaten verknüpft werden. Dadurch kann das Systemverhalten simuliert werden, um Effizienzsteigerungen in der Produktion (z. B. Reduzierung von Ressourcen, Energie, Ausschuss oder Abfall und Verbrauchsmaterial) zu erzielen. Darüber hinaus kann der Digitale Zwilling dazu dienen, ein digitales Performance Management im Betrieb sowie lebensdauerverlängernde Maßnahmen über Updates durchzuführen. Des Weiteren können Reparaturen durch Remote Assistance und Predictive Maintenance antizipiert und durch digitale Anweisungen vereinfacht und nachhaltig gestaltet werden.

Fazit

Die Entwicklung nachhaltiger Produkte ist heute kein Nice-to-Have mehr, sondern eine Notwendigkeit, um Innovationen voranzutreiben, den Umsatz zu steigern sowie die Umweltauswirkungen von Produkten und den Ressourcenverbrauch zu reduzieren. Transparenz  und Nachverfolgbarkeit über den gesamten Produktlebenszyklus sind notwendig, um die Herausforderungen der Nachhaltigkeit erfolgreich zu meistern. PLM-Systeme beinhalten bereits eine erhebliche Menge an Daten zum Produktlebenszyklus. Dadurch sind sie prädestiniert für Integrationen mit speziellen nachhaltigkeitsorientierten Tools (z.B. LCA), um alle nachhaltigkeitsbezogenen Produktdaten zu verwalten. Damit dies gelingt, sollten die Produkte von vornherein lebenszyklusbezogen ausgelegt werden.

1)Wuppertal Institut, Impulse zur Nachhaltigkeit, 04/2017

Der Autor:
Dr. Alain Biahmou beschäftigt sich seit mehr als 22 Jahren mit den verschiedenen Facetten von PLM. Nach verschiedenen Stationen als Senior Consultant, Projektleiter und Head of Tools  & Methods kam er als Business Development Manager zu PTC. Seine Tätigkeit konzentriert sich auf den Mittelstand und die Großindustrie und nutzt die Möglichkeiten der digitalen Welt, um die reale, physische Welt im Bereich Entwicklung, Produktion und Service der Unternehmen zu verändern.

 

 

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