Process Mining ist inzwischen etabliert, Unternehmen schöpfen das Potenzial der Technologie aber meist noch nicht voll aus. Das kann ihnen gelingen – wenn sie Projekte von Anfang an richtig angehen.
Technologische Entwicklungen – allen voran die Digitalisierung – sowie zunehmende weltwirtschaftliche Unsicherheiten erhöhen den Wettbewerbsdruck. Auf teils disruptive Veränderungen müssen Unternehmen heutzutage schneller, effizienter und flexibler denn je reagieren können. Das kann ihnen nur gelingen, wenn auch ihre internen Prozesse – gewissermaßen die Muskelstränge ihres Unternehmenskörpers – schnell, effizient und flexibel arbeiten, in Einkauf, Vertrieb, Logistik, Produktion, Rechnungswesen und anderen Unternehmensfunktionen. Diese Prozesse sind heute zunehmend digital – oder sollten es zumindest sein. Aber oftmals werden sie dadurch intransparent, weil an digitalen Prozessen meist viele verschiedene
IT-Systeme, -Schnittstellen und Beschäftigte beteiligt sind. Das erhöht die Fehleranfälligkeit und die Prozesskosten.
Die Marktkonsolidierung ist im Gange
Um Prozesse effizienter zu gestalten, müssen Unternehmen zunächst einmal erkennen, wie Prozesse tatsächlich ablaufen. Hier setzen Process-Mining-Lösungen an, mit denen Unternehmen ihre (digitalen) Prozesse gewissermaßen mit einem „Röntgenblick“ durchleuchten. Anhand digitaler Spuren in ihren IT-Systemen erkennen sie, ob es beispielsweise unnötige oder doppelte Prozessschritte bei Bestellungen,
Liefervorgängen oder im Mahnwesen gibt.
In den letzten Jahren drängten immer mehr Anbieter solcher Process-Mining-Lösungen auf den Markt. Der verändert sich derzeit abermals: Anfang 2021 etwa erwarb SAP Signavio, einen Anbieter von Business-Process-Management und Process-Mining-Software. Und der Process-Mining-Marktführer Celonis geht ebenfalls neue strategische Partnerschaften ein und hat erst vor kurzem die Akqusition von PAFnow bekanntgegeben; fast zeitgleich verkündete Microsoft, den Process-Mining-Anbieter minit gekauft zu haben. Die Marktkonsoliderung ist also in vollem Gange – und die Process-Mining-Anbieter erweitern mit den Zukäufen ihre Leistungsportfolios. Neben der Analyse bieten sie mit ihren Plattformlösungen mehr und mehr Prozessdesign, -modellierung sowie -automatisierung an; SAP unter dem Begriff Business Process Intelligence (BPI), Celonis nennt seine Lösung Execution Management Software (EMS).
Die Suche nach dem Business Case
Tatsächlich suchen die führenden Anbieter solche und andere passende Partner, um die sich ändernden Bedürfnisse der Anwenderunternehmen besser zu erfüllen. Diese analysieren mit Process-Mining-Software zwar Datenbanken, ERP-Systeme und einzelne Schnittstellen, oft haben sie auch schon Pilotprojekte in einzelnen Abteilungen umgesetzt. Jetzt aber suchen sie verstärkt nach weiteren Wegen, die Technologie in anderen Unternehmensfunktionen einzusetzen. Die zentrale Herausforderung dabei: Wie gelingt Unternehmen der Sprung vom Röntgenblick, also von der Analyse, hin zum wirtschaftlichen Mehrwert, zur Value Creation? Denn klar ist: Um das gewaltige Process-Mining-Potenzial zu heben, braucht es beides: die Bestandsaufnahme und die Verknüpfung zum Business. Letztgenannte fehlt allerdings häufig noch.
Das ist für Unternehmen, die die Technologie einsetzen, ein Problem, aber auch für Process-Mining-Anbieter, weil ihre Kunden zwar zum Beispiel eine Lizenz erwerben, diese aber nicht langfristig nutzen. Eben weil sie den Mehrwert von Process Mining noch nicht (ausreichend) erkennen – oder noch nicht wissen, wie sie ihn in der Praxis generieren können.
Eine positive Botschaft vorweg: Diesen Mehrwert können Unternehmen heben – wenn sie Process-Mining-Projekte von vornherein richtig angehen, sie also ein geeignetes Target Operating Model etablieren und einen relevanten Business Case identifizieren.
Die zentralen Erfolgsfaktoren für Process-Mining-Projekt
Wie gelingt Unternehmen dies konkret? Grundsätzlich sollten sie ihre Erfahrungen aus Pilotprojekten nutzen und auf alle nachfolgenden Fachbereiche übertragen. Essenziell dabei sind rasche Erfolge, um alle Beteiligten dauerhaft zu motivieren. Denn Process-Mining-Pilotprojekte finden in aller Regel neben dem Tagesgeschäft statt, bedeuten also Zusatzaufwand für die Beteiligten.
Welche Herausforderungen begegnen Unternehmen typischerweise beim Praxiseinsatz von Process Mining? Und welche Erfolgsfaktoren lassen sich aus wertschöpfenden Pilotprojekten ableiten?
Erfolgsfaktor 1: KPIs definieren
Um den Erfolg verlässlich und nachhaltig zu messen, müssen sich die Beteiligten – insbesondere IT- und Fachabteilungen – von vornherein auf geeignete Erfolgskriterien (Key Performance Indicators, KPIs) verständigen und diese mit Zielwerten versehen, meist ergänzt um Branchenbenchmarks. Die KPIs sollten die Gedankenwelt der jeweiligen Fachabteilung widerspiegeln, anstatt dass zum Beispiel IT-Fachleute sie allein vorgeben. Zudem sollten sie messbar und beeinflussbar – und auch für andere Abteilungen verständlich sein. „X Prozent geringere Fehlerquote“ ist ein Beispiel dafür. „Lieferzeit um X Tage verkürzt“ oder „Einkaufspreise um X Prozent gesenkt“ sind zwei Weitere. Solche Erfolge lassen sich unternehmensintern gut erläutern. Und das ist erforderlich, schließlich kommt es auch darauf an, nach dem Piloten weitere Anwendungsfälle auszuwählen – nicht zuletzt, damit sich die Investitionen in die Technologie rentieren.
Erfolgsfaktor 2: Die passende Software finden
Wie oben geschildert stehen am Markt Lösungen unterschiedlicher, teils sehr stark spezialisierter Anbieter zur Verfügung. Diejenige Anwendung auszuwählen, die für das eigene Unternehmen am besten passt, ist angesichts der Vielfalt oft eine Herausforderung. Zur Entscheidungsfindung sollten Unternehmen insbesondere die folgenden Fragen beantworten.
- Sind möglicherweise bereits bestimmte Software-Lizenzen im Unternehmen vorhanden? Lassen Sie sich nutzen?
- Welche Software bzw. Plattformen nutzen wir für andere Zwecke, etwa Reporting und Prozessmodellierung?
- Wie sieht es in anderen Fachabteilungen aus, die bisher noch keine Erfahrung in ersten Pilotprojekten gesammelt haben?
- Welche IT-Systeme möchte welche Fachabteilung nutzen? Welche Datenschnittstellen sind dafür erforderlich?
- Was möchten wir erreichen – Analyse, Automatisierung oder Monitoring zum Beispiel?
- Welche Software passt aufgrund unterschiedlicher Kriterien (Cloud/ On Premise, Preismodell, Performance, Usability etc.) und mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen (z.B. durch Zukäufe) am besten zum Unternehmen?
Um eine geeignete Software auszuwählen, sollten Unternehmen vor allem auch ihre derzeitige Situation berücksichtigen – und wie sich der Anbietermarkt aktuell entwickelt. Zu beachten sind selbstverständlich auch Kriterien wie Cloud versus On Premise, Preismodelle, Performance und Usability.
Erfolgsfaktor 3: Kommunikation zwischen IT und Fachabteilung
Um nicht nur Einmalgewinne zu erzielen, sondern Prozesseffizienzen dauerhaft zu heben, müssen Process-Mining-Projekte interdisziplinär sein. IT und Fachabteilungen sollten stets eng zusammenarbeiten, um tragfähige Business Cases in allen Projektphasen im Blick zu behalten. Denn was technisch attraktiv und machbar ist, mag wirtschaftlich nicht viel bringen. Umgekehrt sind auf dem Papier wirtschaftliche Lösungen möglicherweise technisch nicht oder nur mit sehr hohem Zusatzaufwand umsetzbar.
Erfolgsfaktor 4: Quick wins ermöglichen und kommunizieren
Unsere Erfahrung aus vielen Process-Mining-Projekten zeigt: In nahezu jedem Unternehmen lassen sich schnelle Erfolge, Quick Wins, erzielen – oft bereits nach wenigen Monaten. In Buchhaltungsabteilungen zum Beispiel lassen sich oft relativ schnell die Prozessvarianten halbieren. Bearbeiten Software-Lösungen Eingangsrechnungen automatisch, anstatt dass dies Beschäftigte manuell erledigen, bringt dies oft rasch deutliche Qualitätsverbesserungen und Aufwandsreduzierungen. Zum Beispiel gehen weniger Reklamationen ein. Weil Process-Mining-Projekte im Ergebnis Mitarbeitende entlasten, zeigen sich diese nach der Implementierung oftmals stärker motiviert als vorher, weil sie weniger verdichtet arbeiten müssen und neue Gestaltungsspielräume erhalten.
Auf dem Weg zur ganzheitlichen Prozesstransformation
Die Praxisbeispiele, die Sie auf den folgenden Seiten lesen, schildern noch stärker im Detail, wie die individuelle Process-Mining-Reise aussehen kann – inklusive möglicher Rückschläge und Erfolge. Sie erfahren außerdem mehr über Process Mining aus wissenschaftlicher Sicht.
Ein Fernziel dieser Reise, der Prozesstransformation, ist ein permanentes Prozessmonitoring. Es verstetigt im Prinzip das, was die Prozessanalyse zu einem gegebenen Zeitpunkt leistet: Intransparenzen und Ineffizienzen aufdecken und beheben helfen. Dabei gilt es, stets die Brücke zwischen Technologie und Business zu schlagen. Aus unserer Sicht ist dies eine der wichtigsten Aufgaben externer Beratung. Gelingt die Verknüpfung nicht, besteht die Gefahr, dass Unternehmen technische Lösungen implementieren, ohne ihre zugrundeliegenden Herausforderungen genau verstanden zu haben.
Spannend ist derzeit auch die Frage, in welche Form Anbieter ihren Kunden Zugang zu ihren Process-Mining-Plattformen verschaffen: Neben den etablierten Lizenzmodellen entstehen Managed Services, dank derer Unternehmen Software vollumfänglich, kostengünstig und effizient nutzen – und Investitionsrisiken minimieren.
Mit Blick auf die konkrete Praxisumsetzung steht jedenfalls fest: Für die Prozesstransformation von Unternehmen gibt es keine Blaupause. Stattdessen gilt es, den individuell besten Ansatz zu finden, der nachhaltig wirtschaftlichen Mehrwert stiftet und nicht zuletzt die Unternehmenskultur berücksichtigt. Schließlich bedeuten neue Betriebsmodelle oftmals auch andere Aufgabenverteilungen innerhalb eines Unternehmens. An solchen Veränderungen sollten die Mitarbeitenden von Anfang an partizipieren, damit sie Neuerungen motiviert mittragen. Und das tun sie vor allem dann, wenn sie frühzeitig erkennen, inwiefern sich neue Technologien und Prozesse positiv auf ihre eigenen Tätigkeiten auswirken.
Und nun wünschen wir Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre!
Die Autoren:
Christian Bartmann ist Partner bei PwC Deutschland und Co-Head des PwC Center of Excellence für Process Intelligence. Als Teil des Führungsteams der internationalen Expertengruppe bei PwC ist er für Fragen rund um die Transformation der Finanzfunktion verantwortlich und einer der führenden Experten bzgl. transaktionaler Exzellenz für Geschäftsprozesse.
Julia März ist Direktorin bei PwC Deutschland und Co-Head des PwC Center of Excellence für Process Intelligence. Sie leitet die Business Process Intelligence Practice und verantwortet damit Projekte zur effektiven und intelligenten Nutzung von Process Mining sowie anderen Automatisierungstechniken und ist damit die Expertin für digitale Prozesstransformationen.