Open Source als strategischer Imperativ für Innovation, Souveränität und nachhaltigen Unternehmenserfolg
Marcel Scholze

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Open Source ist nicht ein reines IT-Thema, sondern auch ein Wirtschaftsfaktor von strategischer Bedeutung. In einer Welt geopolitischer Spannungen, wachsender Cloud-Abhängigkeiten und rasanter technologischer Umbrüche wird digitale Souveränität zur ökonomischen Notwendigkeit. Unternehmen, die Open Source aktiv steuern, sichern sich Innovationskraft, Effizienz und Resilienz und senken zugleich ihre Kosten und Risiken. Entscheidend ist jedoch die Einstellung: Nur wer Open Source nicht als technisches Werkzeug, sondern als strategisches Vehikel versteht, kann dessen Potenziale realisieren. Es geht um mehr als Code: Es geht um Kontrolle, Wettbewerbsfähigkeit und Zukunftsfähigkeit im digitalen Zeitalter.

Warum Unternehmen jetzt eine Open-Source-Strategie brauchen

Nahezu jedes Unternehmen nutzt Open Source Software (OSS), häufig fragmentiert und ohne zentrale Steuerung. Diese unkoordinierte Nutzung verursacht Sicherheits- und Compliance-Risiken, ungesteuerte Abhängigkeiten und verpasste Innovationen und Marktpositionierung.

Eine gezielte Open-Source-Strategie schafft Transparenz und Steuerbarkeit auf Managementebene. Sie definiert klare Ziele, Verantwortlichkeiten und Ressourcen, legt Prozesse für Lizenz- und Sicherheitsprüfungen, Contribution und Vendor-Management fest und steuert den Einsatz in Entwicklung, Produkten und Betrieb. Messbare KPIs erlauben eine kontinuierliche Bewertung des Erfolgs und sichern die langfristige Wertschöpfung.

Unternehmen ohne solche Strukturen riskieren nicht nur operative Ineffizienzen, sondern auch rechtliche und regulatorische Konsequenzen – etwa durch Anforderungen aus dem Cyber Resilience Act (CRA) oder dem Digital Operational Resilience Act (DORA). Wer hingegen konsequent steuert, kann Kosten senken, Entwicklungszyklen verkürzen, Risiken minimieren und digitale Souveränität gewinnen.
Praxistipp: Starten Sie pragmatisch mit einem Audit der aktuellen Nutzung, schließen Sie bestehende Governance-Lücken und setzen Sie priorisiert Maßnahmen um, die kurzfristig Sicherheit gewährleisten und langfristig nachhaltige Wertschöpfung sichern.

Was ist Open Source Software?

OSS unterscheidet sich von proprietärer Software dadurch, dass ihr Quellcode offen einsehbar ist. Die Software kann an die individuellen Bedürfnisse angepasst, weiterentwickelt, in den Technologie-Stack integriert und weitergegeben werden. Die Grundlage bildet das Open-Source-Lizenzmodell, das die Freiheiten der Nutzung, Veränderung und Weitergabe einräumt. Im Gegensatz dazu verfolgt proprietäre Software einen anderen Ansatz: Der Quellcode bleibt geschlossen und die Nutzung, Updates, der Support sowie die Weiterentwicklung werden durch den Anbieter i. d. R. mittels entgeltlicher Lizenzen und Verträge geregelt.

Einordnung zu wichtigen Themen rund um Open Source Software

OSS bietet Unternehmen klare Vorteile in den folgenden zentralen Handlungsfeldern:

1. Security:
OSS wird von einer globalen Community kontinuierlich geprüft, Schwachstellen werden schnell identifiziert und geschlossen. Etwaige Sicherheitsbedenken gegenüber OSS lassen sich nicht durch die Bevorzugung proprietärer Lösungen mindern, da auch diese umfangreich OSS enthalten; zudem erschwert die fehlende Transparenz über die eingesetzten Open-Source-Komponenten als auch über den proprietären Code insgesamt die eigenständige Beurteilung der Sicherheit des Gesamtprodukts. Mit OSS können Unternehmen selbst prüfen, Schwachstellen beheben und die Software verbessern.

2. Lizenzkomplexität:
Open-Source-Lizenzen sind klar definiert und juristisch etabliert. In professionellen Compliance-Prozessen lassen sie sich automatisiert steuern, während proprietäre Verträge oft komplexe Sonderklauseln, Lock-ins und langfristige Bindungen enthalten.

3. Supportverfügbarkeit:
Für geschäftskritische OSS können Unternehmen weltweit individualisierbare Support-, Wartung- und SLA-Optionen von unterschiedlichen Anbietern beschaffen. Proprietäre Lösungen binden Support häufig exklusiv an den Hersteller, inklusive Preis- und Roadmap-Abhängigkeiten.

4. Stabilität:
Globale Infrastrukturen – Internet, Cloud, Automotive, Telekommunikation – laufen seit Jahren auf OSS mit hochgereiftem, unter Dauerlast optimiertem Code. OSS liefert kontinuierlich „Proof-of-Production“ in geschäftskritischen Umgebungen.

5. Usability:
Moderne Open-Source-Produkte setzen auf konsequentes Produktdesign, Nutzerfeedback in Echtzeit und schnelle Iteration – schlechte Usability überlebt in diesem Modell schlicht nicht. Proprietäre Software ist oft an Roadmaps gebunden, die sich an Vertriebszyklen orientieren, nicht am tatsächlichen Nutzererlebnis.

6. Transparenz:
OSS macht Architektur, Abhängigkeiten und Schwachstellen sichtbar – Entscheider:innen können nachvollziehen, welche Komponenten im Kern der Wertschöpfung eingesetzt werden. Dies ist ein zentraler Faktor für regulatorische Vorgaben wie DORA und CRA, welche ein zentrales Software-Inventar mittels Software Bill of Materials (SBOM) erfordern. Proprietäre Black Boxes erschweren solche Nachvollziehbarkeit, Open Source ermöglicht sie „by Design“.

„Der bewusste Einsatz und das aktive Management von Open Source Software sollten von Unternehmen als wichtiges Instrument verstanden werden, das strategisch auf den Unternehmenserfolg einzahlt.

Die strategische Rolle von Open Source Software für den Unternehmenserfolg

Unternehmen können die mit OSS verbundenen Compliance- und Sicherheitsrisiken durch professionelle Praktiken minimieren. Gleichzeitig lassen sich die Vorteile von OSS strategisch als konkrete Chancen für den Gesamterfolg nutzen.

Der strategische Einsatz von OSS kann einen positiven Einfluss auf verschiedene Geschäftsbereiche und Prozesse haben. Dazu zählen unter anderem eine gesteigerte Innovationskraft in der Anwendungsentwicklung, souveräne (interne) Lösungen und Prozesse, eine beschleunigte Entwicklung digitaler Produkte für den Markt sowie die Stärkung der Wettbewerbsposition und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle durch und mit Open Source. Es gibt vielfältige Möglichkeiten und Potenziale, Open Source Software strategisch für den Erfolg eines Unternehmens einzusetzen. Die Nicht-Ausschöpfung solcher Chancen kann im internationalen Wettbewerb zu einem signifikanten Nachteil führen.

Digitale Souveränität sichern – Vendor-Lock-ins reduzieren

Offener Quellcode und transparente Abhängigkeiten verschaffen Unternehmen Kontrolle über ihre IT-Infrastruktur und senken das Risiko von Vendor-Lock-ins. Im Falle kritischer Abhängigkeiten von proprietären Vendoren sind OSS-Lösungen echte Alternativen und stärken die Verhandlungsposition gegenüber Herstellern.

Open Source trägt nicht nur zur Reduzierung von Lizenzkosten bei, sondern insbesondere von strukturellen Lock-in-Kosten. Wer über Kenntnisse und Kontrolle des Codes verfügt, kann Preise, Service-Level und Weiterentwicklung aus einer Position der Stärke heraus verhandeln. Proprietäre Modelle erzeugen durch Migrationshürden und Named-User-Lizenzen stille Fixkosten, die stetig steigen können.

Darüber hinaus gewährleistet der Einsatz von OSS die Sicherheit und Flexibilität in Anpassung, Wartung und Weiterentwicklung. Unternehmen können ihre IT-Landschaft langfristig an strategischen Zielen ausrichten – unabhängig von geopolitischen Interessen, Exportrestriktionen oder der Produktpolitik eines Herstellers. Das gezielte Opensourcen eigener Produkte kann ein strategischer Schritt sein, um Kundinnen und Kunden mehr Souveränität zu ermöglichen und damit aktuelle Marktbedürfnisse aktiv zu adressieren.

Innovation beschleunigen durch offene Kooperation

Über die reine Nutzung hinaus entfaltet insbesondere das aktive Engagement im OSS-Ökosystem weitere Vorteile und sollte daher auch Bestandteil der übergeordneten OSS-Strategie sein. Unternehmen profitieren von dem Know-how globaler Communities, beispielsweise durch die schnelle Verfügbarkeit von Patches oder durch Feedback zu selbst veröffentlichten Projekten.

Gleichzeitig stärkt die aktive Beteiligung am Ökosystem die Wahrnehmung des Unternehmens am Markt als verantwortungsbewusster und innovativer Akteur. Entwicklerinnen und Entwickler schätzen die Möglichkeit, sichtbar zu kollaborieren – beispielsweise über GitHub. Dies macht OSS zu einem wichtigen Faktor im Wettbewerb um digitale Talente. Open Source ist somit nicht nur ein Innovationstreiber, sondern auch ein wichtiges Merkmal moderner Arbeitgeber.

Exkurs: ISO-Standards zum OSS- Management als Basis für regulatorische Compliance

Im Kontext zunehmend komplexer Lieferketten, wachsender Cyber-Bedrohungen und verschärfter regulatorischer Vorgaben wie EU CRA und EU DORA ist es unerlässlich, dass OSS Governance, Security und Lizenz-Compliance nachweisbar in operative Prozesse integriert sind.

Die ISO/IEC 18974 für OSS-Security-Management und ISO/IEC 5230 für Lizenz-Compliance- Management bilden hierfür eine wichtige Grundlage, sowohl für die unternehmensweite Governance als auch die Zusammenarbeit mit Dienstleistern. Der Fokus beider Normen liegt auf der Etablierung angemessener Governance-Strukturen, um ein durchgängiges Management von Open Source Software während des gesamten Lebenszyklus zu gewährleisten. Dies umfasst unter anderem dokumentierte Richtlinien und Prozesse von Open Source Software mit klar definierten Rollen und Verantwortlichkeiten.

Eine Zertifizierung durch Dritte stellt einen wichtigen Aspekt dar, da sie als Nachweis der Konformität Vertrauen in der Software-Lieferkette schafft.

Kosten senken, Ressourcen schonen

Der strategische Einsatz von OSS bietet Unternehmen zahlreiche Vorteile, die über die Einsparung von Lizenzkosten hinausgehen. Die offene Verfügbarkeit von Komponenten ermöglicht eine Reduzierung des Aufwands für Entwicklung, Integration und Wartung. Support und Betrieb können flexibel extern bezogen oder gezielt intern aufgebaut werden.

OSS ermöglicht die Bereitstellung maßgeschneiderter Lösungen, ohne dass kostspielige, etwaig überdimensionierte Zusatzmodule oder verpflichtende Upgrades erforderlich sind. Investitionen fließen gezielt in den eigenen Kompetenzaufbau statt in Lizenzmodelle. Zudem unterstützt Inner Sourcing – die offene Zusammenarbeit innerhalb des Unternehmens – die Innovationsfähigkeit und trägt durch Ressourceneffizienz auch zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen bei.

Insgesamt zahlt eine OSS-Strategie auf den ROI einer Organisation ein, indem die Time-to-Market von Produkten erheblich gesenkt wird und gleichzeitig das Risiko geschäftskritischer Compliance oder Security-Vorfälle minimiert wird. So können beispielsweise Lizenzverstöße oder Sicherheitslücken dramatische Auswirkungen auf die Business Continuity und den Gesamterfolg haben, wenn Produktionslinien ausfallen, Produkte zurückgerufen werden müssen bzw. deren Vertrieb gänzlich eingestellt werden muss.

Resilienz stärken durch Transparenz und Software Bill of Materials (SBOM)

Der Einsatz von offenem Quellcode gewährleistet Transparenz in Bezug auf Abhängigkeiten und Risiken. Unternehmen können Sicherheitslücken, Lizenz- und Konzentrationsrisiken frühzeitig erkennen und aktiv steuern. Die Erstellung sogenannter Software Bill of Materials (SBOM) erleichtert zudem die Reaktion auf neue Schwachstellen und die Erfüllung regulatorischer Anforderungen – etwa aus EU CRA und DORA.

Standardisierte SBOMs und Zertifizierungen nach internationalen Normen wie ISO/IEC 5230 und ISO/IEC 18974 beschleunigen Due-Diligence-Prozesse (z. B. im M&A), senken Integrationsrisiken und ermöglichen eine risikoorientierte Beschaffung – insbesondere in regulierten Branchen und KRITIS-Umgebungen.

OSS-Governance-Reifegradmodell

Das PwC OSS-Reifegradmodell beschreibt fünf Stufen der Entwicklung von Open-Source-Managementsystemen in Unternehmen. Es zeigt, wie OSS von einem operativen Werkzeug zu einem strategischen Werttreiber wird:

  1. Initial / Ad-hoc:
    OSS wird unkoordiniert eingesetzt, Prozesse fehlen weitgehend. Compliance- und Sicherheitsrisiken sind hoch, Transparenz über Abhängigkeiten gering.
  2. Managed / Repeatable:
    Erste Governance-Strukturen existieren, Nutzung und Risiken werden teilweise dokumentiert. Prozesse sind noch nicht vollständig standardisiert oder ISO-konform.
  3. Standardized:
    Prozesse sind nach ISO/IEC 5230 und 18974 aufgebaut und erfüllen regulatorische Anforderungen wie EU CRA und DORA. Unternehmen können Risiken systematisch kontrollieren und Compliance sicherstellen.
  4. Advanced:
    OSS wird strategisch eingesetzt, Unternehmen beteiligen sich aktiv am Open-Source-Ökosystem. Beiträge aus der Community werden genutzt, eigene Projekte veröffentlicht, Innovation und Talentbindung gestärkt.
  5. Optimized:
    Offenheit ist fest in der Unternehmenskultur verankert. OSS prägt Prozesse, Produkte und Geschäftsmodelle. Unternehmen erzielen maximale Effekte in Innovation, Resilienz, Kostenkontrolle und Wettbewerbsfähigkeit.

PwC OSS Maturity Modell: Wertschöpfung durch professionalisiertes OSS-Management. Quelle: PwC

Je höher der Reifegrad, desto größer der messbare Beitrag von OSS zum Unternehmenserfolg. Wer sein OSS-Management kontinuierlich weiterentwickelt, transformiert Open Source von einem operativen Tool zu einem strategischen Hebel für Innovation, digitale Souveränität, Risikoreduktion und nachhaltige Wertschöpfung – intern wie entlang der gesamten Wertschöpfungskette.

Entscheider:innen müssen jetzt aktiv werden!

Professionelles Open-Source-Management ist längst kein „Nice-to-have“ mehr, sondern eine entscheidende strategische Wahl. OSS ist heute ein integraler Bestandteil moderner IT-Infrastrukturen und damit ein strategischer Erfolgsfaktor sowie ein Instrument, um Innovationskraft, Resilienz und digitale Souveränität gezielt zu stärken.

Entscheiderinnen und Entscheider müssen jetzt die notwendigen Strukturen schaffen, um im internationalen Wettbewerb nicht den Anschluss zu verlieren. Im Zentrum steht die strategische Nutzung der Open-Source-Potenziale im Einklang mit der Unternehmensstrategie. Dabei sollte besonderer Fokus auf eine solide Governance nach anerkannten ISO-Standards gelegt werden.

Vier Schritte sind dabei entscheidend:

  1. Transparenz schaffen:
    Identifizieren Sie den bisherigen Open-Source- Footprint Ihrer Organisation, kritische Abhängigkeiten, Sicherheits- und Compliance-Risiken. Nur auf dieser Basis lassen sich die Potenziale von Open Source gezielt und kontrolliert realisieren.
  2. OSS-Strategie entwickeln:
    Richten Sie Ihre Open-Source-Strategie an den Unternehmenszielen aus und prüfen Sie, ob Ihr Geschäftsmodell angepasst werden muss. Differenzieren Sie dabei den Mehrwert von OSS z. B. in Ihrer eigenen Produkt- und Serviceentwicklung, in der Enterprise-IT, bei Mergers & Acquisitions, bei der Teilhabe im OSS-Ökosystem und in Bezug auf die eigene Souveränität sowie Souveränität Ihres Angebots an Ihre Kunden.
  3. Governance und Tooling aufbauen:
    Etablieren Sie ein integriertes Open-Source-Management mit klaren Richtlinien, Prozessen, Rollen und Verantwortlichkeiten – über IT, Recht, Einkauf, Produktentwicklung und Management hinweg. Eine durchgängige Toolchain ist essenziell, um OSS entlang des gesamten Lebenszyklus effektiv zu steuern.
  4. Kompetenzen und Community stärken:
    Der Aufbau von Open Source Know-how ist ein klarer Wettbewerbsvorteil. Führungskräfte profitieren durch besseres Risikomanagement und höhere Innovationsfähigkeit, während Entwicklungsteams die Besonderheiten von OSS verstehen und gezielt im Ökosystem mitwirken. So entsteht ein nachhaltiger Mehrwert im Einklang mit den Unternehmenszielen.

Vier wesentliche Schritte zum professionellen OSS-Management. Quelle: PwC

Fazit

Wer Open Source strategisch steuert, verwandelt Risiken in Innovation, digitale Souveränität und Unabhängigkeit, stärkt Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit – und macht OSS so zum entscheidenden Hebel nachhaltiger Wertschöpfung.

Mehr hierzu:

https://www.pwc.de/opensource