Open Insurance: Offene Schnittstellen als Erfolgsfaktor

Corona-Krise, Niedrigzins, veränderte Kundenanforderungen und Digitalisierungsdruck – Versicherer bewegen sich derzeit in einem äußerst herausfordernden Umfeld. Um als Gewinner aus der aktuellen Konsolidierungsphase hervorzugehen, müssen sie den Wert „hinter“ den Daten erkennen und stärker nutzen. Gleichzeitig gilt es, die Potenziale digitaler Ökosysteme noch konsequenter auszuschöpfen.

Der Bankensektor hat es mit dem Inkrafttreten der EU-Zahlungsdiensterichtlinie PSD2 vorgemacht und einen Meilenstein im Open Banking erreicht. Seit Herbst 2019 müssen Banken Konto-Schnittstellen für Drittanbieter öffnen, darunter natürlich  auch für Versicherer und  andere, um nicht nur den Wettbewerb sondern auch Innovationen bei Dienstleistern zu fördern.

PSD2 kann und wird auch im Versicherungskontext eingesetzt: Gibt der Kunde seine Einwilligung, dass Versicherer über standardisierte technische Schnittstellen (kurz APIs) seine Kontodaten nutzen dürfen, können mithilfe von Künstlicher Intelligenz versicherungsrelevante Informationen aus den Kontobewegungen identifiziert werden. So wird zum Beispiel der bislang aufwendige Registrierungsprozess vereinfacht: Kunden benötigen ihre Versicherungsunterlagen zukünftig nicht mehr in physischer Form, sondern können Vertragsdetails wie die Versicherungsscheinnummer ganz bequem und automatisiert in eine digitale Versicherungsübersicht übertragen lassen.

Anders als im Bankensektor mangelt es im Versicherungsbereich selbst aber noch an offenen Schnittstellen. Da es keinen einheitlichen Branchenstandard gibt, ist der Datenaustausch zwischen Versicherern, Kunden und Drittanbietern bisher oftmals langwierig, kostenintensiv und ineffizient.

FRIDA Initiative: Enabler für digitale Ökosysteme

Genau hier setzt die 2018 von Friendsurance und Alte Leipziger – Hallesche gegründete Free Insurance Data Initiative (FRIDA) an. Als Ergänzung zu bestehenden „Datenaustauschformaten” wie BiPRO und GDV will die Initiative Versicherungsdaten verfügbar machen, damit auch Kunden und Drittanbieter diese nutzen können. Ein solcher einheitlicher Schnittstellenstandard ermöglicht einen effizienteren Datenaustausch und damit weitere innovative Zusatzdienste.

Heute zählt FRIDA namhafte Unternehmen zu seinen Unterstützern, darunter etwa HDI, Deutsche Rück, SAP, Bitmarck, Okta, InsurLab Germany, EY und Accenture. Das Ziel von FRIDA ist es, standardisierte Schnittstellen-Lösungen zu entwickeln und diese nicht nur Versicherern, sondern auch Drittanbietern und Kunden direkt anzubieten – ähnlich wie dies im Open Banking und im Kontext von PSD2 bereits möglich ist. Starke Partner aus dem Versicherungsbereich, der Open Source- sowie nicht zuletzt der Non-Profit-Ansatz der Initiative FRIDA sollen sicherstellen, dass sich die API-Lösung als branchenweiter Standard etabliert. Dadurch werden digitale Ökosysteme unter Einbezug von versicherungsspezifischen Daten und Services skalierbar und effizient.

Kundenzufriedenheit und Datensouveränität

Auf diese Weise werden die Prozesse sehr viel einfacher, schneller und kostengünstiger. Davon profitiert nicht nur die Branche insgesamt, sondern auch jeder Kunde individuell: Er kann seine Versicherungsangelegenheiten digital und effizient erledigen. Darüber hinaus stärkt FRIDA die Datensouveränität des Nutzers: Nur wenn er sein ausdrückliches Einverständnis gibt, dürfen seine Versicherungsdaten zwischen den einzelnen Akteuren ausgetauscht werden.

Auf Basis der nun zugänglichen Echtzeit-Daten können Versicherer zukunftsgerichtete Lösungen entwickeln, die sich noch stärker an den Kundenbedürfnissen orientieren. Ein möglicher Use Case ist zum Beispiel das Rentencockpit, dessen Aufbau die Bundesregierung im Koalitionsvertrag festgeschrieben hat. Bislang erhalten die Arbeitnehmer in Deutschland Informationen zu ihrer Rente ausschließlich offline und bruchstückhaft. Zukünftig soll eine Plattform einen ganzheitlichen Überblick der künftigen Rentenbezüge über alle drei Schichten – gesetzliche, betriebliche und privaten Altersvorsorge – ermöglichen und somit die Mitteilungen bündeln, die private Altersvorsorgeanbieter und die gesetzliche Rentenversicherung regelmäßig verschicken. Dabei stellen die Datenaufbereitung und -standardisierung eine der größten Herausforderungen dar. Ein einheitlicher Branchenstandard durch FRIDA könnte den Transfer und die Aggregierung von Renteninformationen in Zukunft wesentlich erleichtern.

Open Source-Ansatz ermöglicht dezentrale Konzeption und Entwicklung

Eine Besonderheit der FRIDA Initiative ist der Open Source-Ansatz zur Konzeption und Entwicklung der Use Cases, Prozesse und Schnittstellen. Die Initiative organisiert sich in Arbeitsgruppen zu den Themen Anwendungsfälle, Datenmodell und Schnittstellen. Open Source bedeutet hier, dass der aktuelle Konzeptionsstand für alle Interessierten frei zugänglich und einsehbar ist. Dadurch werden eine hohe Praxisrelevanz und Nutzbarkeit der neuen Schnittstellen sichergestellt.

Die technische Basis können Cloud-Native-Services bilden. Sie ermöglichen eine kurze Time-to-Market und hohe Skalierbarkeit bei vollständiger Entkopplung von Fachlogik und Infrastrukturaspekten. Gleich zu Beginn an der Entwicklung eines neuen potenziellen Standards mitzuwirken und bei der Konzeption innovativer Mehrwertdienste ganz vorne mit dabei zu sein, bietet aus Sicht des Versicherers HDI klare Wettbewerbsvorteile.

Relevanz für weitere Teilnehmer im Ökosystem

Profiteure der Initiative sind neben Kunden und Versicherern natürlich auch Anbieter in den einzelnen Ökosystemen: Eine Online-Steuererklärungssoftware kann beispielsweise per Datenimport steuerrelevante Versicherungsinformationen extrahieren, ein Immobilienmakler könnte dann anhand von Angaben aus der Wohngebäudeversicherung leichter eine Wertermittlung durchführen. Aber auch im Bereich Financial-Planning-Software werden Potenziale geschaffen: In bestimmten Anwendungsfällen können beispielsweise Informationen zu Rückkaufswerten über FRIDA Schnittstellen hinzugezogen werden, so dass eine ganzheitliche Sicht auf die Kundendaten aufgebaut werden kann.

In den kommenden Jahren werden Big Data und Künstliche Intelligenz die Versicherungsbranche erheblich verändern. Versicherer werden in der Lage sein, verschiedene Datenquellen zur Verbesserung von Beratungs- und Produktqualität zu nutzen. Wenn diese Versicherungsdaten auch von Dritten für die Entwicklung von Mehrwertdiensten in Anspruch genommen werden können, stellen sich positive Impulse für die gesamte Branche ein – das hat der Banken-Sektor längst vorgemacht.  FRIDA hat sich zur Aufgabe gemacht, hier seinen Teil beizutragen – zum Vorteil der Kunden und damit zum Wohl der gesamten Branche.

Die Autoren: 
Sebastian Langrehr ist CSO bei Friendsurance und verantwortlich für Market Strategy & Sales mit Banken, Versicherungen und Fintechs. Daneben engagiert er sich als Co-Initiator von FRIDA (Free Insurance Data Initiative).

 

 

Slobodan Pantelic ist Leiter Digitalisierung Vertrieb & Platforms bei der HDI Vertriebs AG und verantwortet u.a. die fachliche und technische Bereitstellung von technischen Schnittstellen und die Entwicklung von vertrieblichen Portalen.