Ökosysteme als Antwort auf den immer schnelleren technologischen Fortschritt

Innovations-Ökosysteme werden immer entscheidender, um den Zugang zu Infrastruktur, Technologie, Wissen und Talenten sicherzustellen. Sie erlauben Unternehmen, Start-ups, Forschungseinrichtungen, Gesellschaft und Politik eine schnelle Vernetzung und effiziente Zusammenarbeit, um dadurch die Adaption innovativer Ideen zu beschleunigen und gleichzeitig das Investitionsrisiko zu minimieren, gesellschaftliche Akteure einzubinden und letztendlich den Entscheidungs- und Implementationsprozess zu optimieren.

Jede Generation empfindet die gerade aktuelle Veränderungsdynamik als schnell und als enorme Herausforderung für Wirtschaft und Staat. In Phasen industrieller Revolutionen beschleunigt sich objektiv jedoch nicht nur die Technologieentwicklung – es entstehen vielmehr völlig neue Technologien und methodische Ansätze, die quer aus anderen Disziplinen das eigene Geschäftsmodell massiv verändern.
Während ein Unternehmen in Bezug auf Technologieveränderungen innerhalb der eigenen Domäne normalerweise gut aufgestellt ist, entsprechende Fachabteilungen besitzt und Kompetenzen aufgebaut hat, sind entsprechende Strukturen für völlig neue Technologieeinflüsse zunächst nicht vorhanden. So haben Experten für den Ottomotor zunächst einmal keine Expertise zu Elektromotoren und Batteriesystemen, Spritzgussspezialisten keine Kenntnisse in Bezug auf 3D-Print-Verfahren und Stahlhersteller kein Fachwissen zur Wasserstofftechnik. Automobilkonzerne erfahren Grenzen, wenn sich ihr Produkt zu einem „Computer auf Rädern“ wandelt. Diese Liste ließe sich lange fortsetzen.
Eine weitere Herausforderung entsteht dadurch, dass neue Technologie oft einen eigenen Bedarf an hochspezialisierten Fachkräften mit sich bringt. Diese Fachkräfte sind sehr begehrt und stehen zu Anfang in zumeist nicht ausreichender Anzahl zur Verfügung.
Neben der Verfügbarkeit von Experten bauen viele Technologien auf neuartigen Infrastrukturen auf. Entweder wird im Rahmen der Technologie eine neue Infrastruktur (mit)entwickelt – z.B. Quantum Computing, 5G/6G – oder es werden neue Technologien mit existierender Infrastruktur umgesetzt – z.B. Machine Learning (ML) und KI auf großen Supercomputern und Rechenzentren. Herausforderungen für Unternehmen entstehen hier, weil die Infrastruktur austauschbar sein kann bzw. sich die neue Technologie kontinuierlich derjenigen Infrastruktur zuwendet, die die größte Performance bietet. So sind KI-Verfahren ursprünglich auf Clustern von CPUs (Central Processing Units) gestartet, dann häufig auf hoch performanten und spezialisierten GPUs (Graphics Processing Units) oder sogar TPUs (Tensor Processing Units) weiterentwickelt worden – um sich in Kürze auf Quantenrechnern wiederzufinden.
Aufbau und Verfügbarkeit der entsprechenden Infrastruktur implizieren damit ein signifikantes finanzielles Risiko: Eine verfrühte Investition kann das „Setzen auf das falsche Pferd“ bedeuten, ein zu spätes Engagement zu massiven Wettbewerbsnachteilen führen.
Zusammenfassend lässt sich feststellen: Menge, Geschwindigkeit und Pluralität der Entwicklung neuer Technologien stellen Organisationen und Gesellschaft vor große Herausforderungen bei der Adaption sowie der Akzeptanz der Anwendung.

Ansatz: Netzwerkökosysteme

Die in den Forschungseinrichtungen entstandenen Erkenntnisse und Technologien und die durch Entrepreneure entwickelten kommerzialisierten Anwendungen sind ohne Sollbruchstellen schnell und effizient mit den bestehenden Unternehmen und der Gesellschaft zu vernetzen. Im Gegensatz zu den bekannten klassischen Lieferketten bieten moderne Netzwerkökosysteme Kooperationsräume auf Augenhöhe, in denen Unternehmen bilaterale und multilaterale Interaktionen entwickeln, die den Austausch von Material, Energie und Wissen zum individuellen und kollektiven Nutzen beinhalten. Jeder Akteur kann seine spezifischen Stärken ein- und damit das Gesamtnetzwerk voranbringen. Das auf einen Peer-to-Peer-Ansatz ausgelegte Konzept enthält keinen „Zentralknoten“, keinen Dominator, sondern stattdessen Netzwerkorchestratoren, die das Netzwerk z.B. durch regelmäßige Events, Hackathons,  Challenges, Publikationen oder Ähnliches organisieren oder auch die Interessen des Netzwerks bzw. der Gesamtheit der Mitglieder nach außen hin repräsentieren.
Im Gegensatz zu bestehenden Interessensgruppen von Industrien liegt der Schwerpunkt bei technologieorientierten Ökosystemen klar auf der Vernetzung der Mitglieder, der Bereitstellung von Know-how und der Bündelung der Kräfte. Die Kombination des Expertenwissens von Forschungseinrichtungen, die Geschwindigkeit und Agilität eines Start-ups und die Kraft und Reichweite eines globalen Unternehmens mit anfänglich minimalem Aufwand und Abhängigkeiten beschreiben die wesentlichen Zutaten von Innovationsökosystemen. Insbesondere im Bereich der Softwareentwicklung bieten Netzwerkökosysteme einen idealen Ort für gemeinschaftliche (möglicherweise Open-Source-) Softwareinitiativen. Partner mit ähnlichen Interessen finden in dem Netzwerk Strukturen für einen schnellen Austausch und die Basis gemeinsamer Entwicklungsprojekte. Dabei übernimmt der Netzwerkorchestrator  als unabhängige Instanz auch die Koordination und Entwicklung gemeinsamer Standards.

Beispiel: der KI Park in Berlin

Ein Beispiel für ein Netzwerkökosystem ist der KI Park e.V. Vor dem Hintergrund des rasanten Fortschritts in der KI – zukünftig zusätzlich getrieben durch 5 bzw. 6G und Quantum Computing – sind visionäre Köpfe für die Entwicklung der nächsten Generation von KI-Anwendungen in allen Wirtschaftszweigen und mit gesamtgesellschaftlichem Impact entscheidend. Der KI Park e.V. wurde im Oktober 2021 von zwölf namhaften Organisationen gegründet. Das Ökosystem legt die Basis für eine kraftvolle Kooperation zwischen Organisationen, Start-ups, Forschungseinrichtungen und der Gesellschaft. Zu den Gründungsmitgliedern gehören etwa das Scale-up Celonis, die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, der Automobilhersteller Volkswagen, der Automobilzulieferer Schaeffler, das „Big-4-Unternehmen“ Deloitte oder der VDE. Inzwischen ist eine Reihe weiterer Unternehmen und Start-ups dazugekommen.

Die Autoren:

Prof. Dr. Sabina JeschkeCEO KI Park e.V., Gründerin & CTO Quantagonia GmbH, Mitglied des Aufsichtsrats Vitesco, ehem. Vorständin der DB für Digitalisierung
und Technik

 

 

 

Olly Salzmann, Chief Strategy & Growth Officer KI Park e.V., Managing Director Deloitte KI GmbH und Partner Deloitte Consulting GmbH, Lead Technology Ecosystems