Die Gesundheitssysteme in den Ländern mit einem hohem Einkommensniveau bieten mittlerweile die Möglichkeit, die Kosten für digitale Gesundheitslösungen wie Telemonitoring, digitale Therapeutika (DTx) und Wearables zu erstatten. Ihre effektive Nutzung und Integration in die Gesundheitsversorgung hängt insbesondere von der allgemeinen digitalen Gesundheitskompetenz und dem Vertrauen der verordnenden Gesundheitsfachkräfte und der Patienten ab. Ob durch digitale Gesundheitslösungen Kosten eingespart werden können, ist noch offen und hängt m. E. wesentlich von folgenden Faktoren ab: der rechtzeitigen Bereitstellung des Europäischen Gesundheitsdatenraums (European Health Data Space / EHDS), den Fortschritten bei der allgemeinen Digitalisierung der Gesundheitssysteme und der Harmonisierung der Verfahren zur Bewertung digitaler Gesundheitsverfahren.
Überlastete Gesundheitssysteme auf der Suche nach nutzenorientierten Ansätzen
Die Gesundheitssysteme in den Ländern mit hohem Einkommen stehen aufgrund der alternden Bevölkerung und chronischer Krankheiten vor großen Herausforderungen. Deutschland und Frankreich werden 2022 mehr als 12 Prozent ihres BIP 1) für Gesundheit ausgeben. Etwa 30 Prozent der Gesundheitsausgaben werden jedoch aufgrund vermeidbarer Komplikationen, unnötiger Behandlungen und ineffizienter Verwaltung verschwendet.2) Effiziente, nutzerorientierte Systeme sind entscheidend, und digitale Technologien spielen dabei eine Schlüsselrolle. Sie können Behandlungen, Diagnosen und die Organisation der Gesundheitsversorgung verbessern.
Die neue Ära der digitalen Gesundheit in der EU
Die Covid-Pandemie hat die Einführung digitaler Gesundheitslösungen und die Nutzung von Gesundheitsdaten beschleunigt. Die Länder mit hohem Einkommen haben sich nacheinander verpflichtet, in den Ausbau ihrer nationalen digitalen Gesundheitssysteme zu investieren. Die Strategien für die digitale Gesundheit in Frankreich (2019 und 2023)3) , Deutschland (2023)4) und Dänemark (2022)5) sind nur einige Beispiele hierfür.
Die kürzlich verabschiedete Verordnung über den Europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS)6) ermöglicht die sichere Nutzung und den Austausch von Gesundheitsdaten in Europa. Dies fördert die systematische Nutzung elektronischer Patientenakten („Primärnutzung der Daten“) und verbessert die Verfügbarkeit von Gesundheitsdaten für Forschung und politische Entscheidungen („Sekundärnutzung der Daten“).
Parallel dazu wurden in der EU eine Reihe von Verordnungen auf den Weg gebracht, die den Rahmen für die Entwicklung und den Einsatz digitaler Gesundheitsinstrumente schaffen.
Dazu gehören:
- das Gesetz über Künstliche Intelligenz (KI-Verordnung), welches eine Risikoklassifizierung für KI-gestützte Instrumente vorsieht,
- die Verordnung über Medizinprodukte (MDR) und
- die Verordnung über die Bewertung von Gesundheitstechnologien (HTA), in der die Bedingungen für deren Zertifizierung, Bewertung und Marktzugang festgelegt sind.
Die Nutzung KI-gestützter Medizinprodukte, digitaler Therapeutika, Apps, Frühwarnsysteme und Telemonitoring wird die Gesundheitsversorgung grundlegend verändern. Deutschland und Frankreich führten in der EU bei der Erstattung digitaler Therapeutika aus öffentlichen Mitteln, Belgien folgte diesem Trend.8+9+10)
Nationale Gesundheitsversorgungspfade sind praktisch gesehen noch nicht auf die Komponenten der digitalen Versorgung abgestimmt
Die Verfügbarkeit diagnostischer Lösungen außerhalb traditioneller Gesundheitseinrichtungen wie Krankenhäusern, Allgemein- oder Facharztpraxen könnte zu höheren Erkennungsraten und Patientenanforderungen führen, gleichzeitig aber auch das Gesundheitssystem überlasten. Während Gesundheitssysteme beginnen, offizielle Wege zur Bewertung und Erstattung digitaler Lösungen zu entwickeln, besteht die Gefahr unregulierter, paralleler Systeme. In der EU variieren die Regelungen für erstattungsfähige Gesundheitsleistungen zwischen den Mitgliedstaaten stark, was zu ungleichen Versorgungspfaden führt. Verantwortlichkeiten in der Gesundheitsorganisation liegen in unterschiedlichen Händen: In „bismarckschen“ Systemen wie Deutschland bei den Krankenkassen, in „Beveridge“-Systemen wie Großbritannien oder Italien bei regionalen und kommunalen Behörden. Diese Unterschiede könnten den digitalen Gesundheitsmarkt fragmentieren und Unternehmer im Bereich der digitalen Gesundheit abschrecken.
Ein Digital-First Ansatz für die Gesundheitsversorgung in der EU – eine gute Abstimmung ist hier entscheidend
Die Pfade zur Gesundheitsversorgung müssen daher zwischen den EU-Mitgliedstaaten besser abgestimmt und regelmäßig im Hinblick auf die aktuell beste verfügbare wissenschaftliche Evidenz aktualisiert werden. Mehrere Initiativen, darunter eine von der EIT Health koordinierte Taskforce für eine harmonisierte Bewertung der digitalen Gesundheit in der EU11), haben damit begonnen, eine gemeinsame Taxonomie und Empfehlungen für die Bewertung digitaler Gesundheitslösungen zu erarbeiten.
Darüber hinaus ist es wichtig, dass die Verfügbarkeit von Lösungen im Bereich der digitalen Gesundheit mit einem Paradigmenwechsel bei der Konzeption der Lehrpläne für Gesundheitsberufe einhergeht, um alle Komponenten der digitalen Gesundheit abzudecken, sowie mit nationalen Bemühungen, die digitale Gesundheitskompetenz aller beteiligten Akteure, insbesondere der Bürgerinnen und Bürger, sicherzustellen.
Angesichts ähnlicher Indikatoren zu bevölkerungsbezogenen Krankheitslasten und Zugangsschwierigkeiten in den EU-Mitgliedsstaaten ist es daher von größter Bedeutung, dass nationale Versorgungspfade im Hinblick auf die Integration digitaler Komponenten besser aufeinander abgestimmt werden. Im Sinne eines „Digital-First“ Ansatzes haben digital vernetzte Gesundheitssysteme tatsächlich das Potenzial, einen ganzheitlicheren Ansatz für die Gesundheit zu unterstützen und die Versorgung konsequent aus Patientensicht zu organisieren.