Auf dem Weg zum Business Process Management

Das Thema Business Process Management (BPM) wird für viele Unternehmen durch Process Mining (PM) und Robotic Process Automation (RPA) wiederbelebt. Mit den Projekten werden beeindruckende Einsparungen erzielt. Nachdem eine erfolgreiche Anwendung der Methoden State-of-the-Art ist, geht es nun darum, die Erfolge zu verstetigen und zu einem gesamthaften BPM-Ansatz zu kommen.

Process Mining (PM) ist eine Methode, mit der Unternehmen Abläufe aus ERP-Systemen auslesen und auf Basis von Eventlogs, Case IDs und vordefinierten Aktivitäten als Prozesse darstellen, analysieren und monitoren können. Insbesondere in der Kombination mit Data Science, Machine Learning (ML) und Artificial Intelligence (AI) können Ursachenanalysen durchgeführt und Ansatzpunkte für neue Gestaltungsoptionen und zur Prozesssteuerung entwickelt werden.
Erfolge von PM-Projekten sind unbestritten und lassen sich in einer Vielzahl von Success Stories nachlesen. Der Überraschungseffekt ist meist ähnlich: die hohe Anzahl an Prozessvarianten verblüfft und die Transparenz bietet einen Mehrwert, der sich auch in messbaren Nutzen ummünzen lässt.
Doch ein gut optimierter und automatisierter Prozess ist nur ein Schritt auf dem Weg in Richtung BPM. Um eine nachhaltige Wirkung der Projekte und Methoden abzusichern, wird empfohlen, strategische, kulturelle und organisatorische Fragestellungen stärker in den Fokus zu rücken und PM in ein BPM einzugliedern oder zu überführen.

Anforderungen an ein BPM

BPM hat das Ziel, eine Prozessstruktur und -steuerung so aufzubauen und stetig zu optimieren, dass das Unternehmen in einer VUCA-Welt – VUCA steht für Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity – erfolgreich und zukunftsfähig ist. An ein ganzheitlichen BPM können verschiedene Anforderungen gestellt werden:

  • Der Prozess des BPM sollte alle Phasen im Process Life Cycle abdecken: Prozessidentifizierung, -erkennung, -analyse, -redesign, -implementierung und -steuerung.
  • Die relevanten Prozesse sollten identifiziert sein. Der Fokus liegt auf Prozessen mit hoher Wertschöpfung für das Unternehmen, Bedeutung für den Kunden und Prozessen, die schwer imitierbar sind.
  • Relevante Einflussbereiche auf Prozesse, wie z.B. Strategic Alignment, Governance, Methodes, Information Technology, People and Culture sollten im Konzept abgedeckt sein.
  • Organisationsstrukturen sind flexibel zu gestalten. Wo es passt, wird mit agilen Methoden gearbeitet. Feste Strukturen und Hierarchien werden aufgelöst und Personen werden anforderungsspezifisch zu Rollen zugeordnet, um Kenntnisse und Erfahrungen optimal zu nutzen.

Auch wenn BPM theoretisch als Top-Down-Ansatz eingeordnet wird, sind sich Theoretiker und Praktiker einig: Man fängt am besten klein an. Weitere Erfolgsfaktoren für PM sind z.B.:

  • Management Committment:
    • Anbindung an strategische Unternehmensziele
    • Sicherstellung von Ressourcen durch das Management
    • Klare erreichbare Zielsetzungen für das Projekt und KPIs zur Prozessanalyse
    • Einbindung in die IT-Strategie
  • Pragmatische Vorgehensweise
  • Aktive Unterstützung zur Überwindung von Abteilungsgrenzen und Berechtigungen für Datenzugriffe
  • Verbesserung der Datenqualität
  • Grundsätzliches Verständnis der Bedeutung von Prozessen und Daten im Unternehmen sowie Methodenkenntnis
  • Start mit einem kleinen Team aus vier bis sechs internen und externen Spezialisten

Wie kann der erste Ansatz verstetigt werden?

Gestartet wird oft mit der Analyse von Prozessausschnitten, die dann nach und nach zu E2E-(End-to-End) Prozessen horizontal ergänzt werden, z.B. Einkaufsabwicklung P2P (Peer-to-Peer) und Accounts Payable (AP). Damit werden Abteilungsgrenzen schrittweise überwunden und E2E-Prozesse langsam aufgebaut. Nächste Optionen sind Erweiterungen um andere E2E-Prozesse oder Anbindungen weiterer Systeme und/oder Standorte, um so die Prozesslandschaft z.B. bis hin zu externen Stakeholdern wie Kunden und Lieferanten zu ergänzen.

Eine zusätzliche Entwicklung ist der Schritt in eine stärkere Automatisierung unter Einsatz von Robotic Process Automation (RPA), Machine Learning und Artificial Intelligence Methoden zur Entlastung der Mitarbeiter von einfachen manuellen Tätigkeiten und zur Entscheidungsvorbereitung. Wenn im Optimalfall die Software passende Lernfortschritte zeigt, ist das Ziel das automatische Treffen von Entscheidungen durch die Software.

Das Center of Excellence

Da jede Prozessanalyse Spezialwissen aus dem jeweiligen Fachbereich erfordert, können bei der Weiterentwicklung schnell Parallelwelten entstehen. Insofern erscheint es sinnvoll, schon früh ein Center auf Excellence (CoE) einzurichten, das die Aktivitäten bündelt und Synergien zwischen den einzelnen PM- und RPA-Projekten herstellt.

Die Aufgaben eines solchen CoE sind:

  • Strategic Alignment: Ausrichtung der Prozessaktivitäten auf ökonomische, ökologische und soziale strategische Ziele, Abstimmung mit ähnlichen Projekten wie z.B. Kostensenkungs-, Transformations-, Strategieprojekten; Zielbezogene Überprüfung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses
  • Governance: Einhaltung rechtlicher Vorgaben, Abstimmung einheitlicher Templates für das Monitoring, Einleitung von Maßnahmen zur Prozessoptimierung
  • Methoden/ IT-Technik: Verfügbarkeit der Software, Verwaltung von Berechtigungen, Zuweisung von Speicherplatz
  • Personelle Ansätze/ Kultur: Vermittlung und Verankerung von Prozessdenken im Unternehmen, Vermittlung von Methodenwissen u.a. agiler Methoden, Abkehr von hierarchischen Strukturen und Befähigung der Mitarbeiter zu selbstbestimmtem und selbstorganisiertem Handeln.

Wie und wo kann das CoE verankert werden?

Abhängig vom aktuellen Status der Projektintensität kann ein CoE zentral oder dezentral eingebunden werden. Der Umfang kann reichen von einer Stabsstelle, die für die Umsetzung des Prozessgedankens steht und die Prozesse des Fachbereichs analysiert und verbessert (Prozesscoaching) bis zu einem zentralen Center of Business Process Management, über das alle Prozesse im Unternehmen orchestriert und über mehrere Ebenen im Unternehmen gesteuert werden.

Diskutiert wird dazu die Anbindung an verschiedene Abteilungen, z.B.

  • IT: Da mit PM neue Software eingeführt wird und entsprechende Infrastruktur geschaffen werden muss.
  • Vorstand/ Geschäftsführung: um das Projekt mit ausreichend Durchsetzungskraft auszustatten.
  • Jeweiligen Fachbereich: um den direkten Anschluss an die Know How-Träger der Prozesse zu erhalten.
  • Finance: Damit können ökonomische Ziele stärker forciert und mit Kostensenkungsprogrammen kombiniert werden.

Weitere Argumentationen lassen sich finden. Doch letztlich zeigen Theorie und Praxis, dass vielmehr die Durchsetzungskraft und das Interesse des zuständigen Managers, das gelebte Management Committment, darüber entscheiden, ob ein PM-Projekt erfolgreich ist und sich weiterentwickelt.
PM setzt typischerweise an sogenannten Pain Points an, an Problemen, für die Mitarbeiter schon Lösungswege oder Umwege (Deviations) gesucht haben, weil die aktuelle Organisationsstruktur oder die aktuellen Sollprozesse über- oder unterdefiniert sind. An diesen Varianten kann ein Unternehmen lernen (Discovery). Zuerst muss natürlich das Problem verstanden werden. Der nächste Schritt ist dann: aus Varianten lernen. Nicht jeder Umweg oder nicht jede Abweichung vom Sollzustand, die über einen Conformance Check sichtbar werden, ist an sich schlecht und muss verändert werden. Insbesondere bei umständlichen Genehmigungsprozessen zeigen solche Umwege häufig die kürzeren oder effizienteren Arbeitsweisen auf. Der Lerneffekt kann über eine Erweiterung des Sollmodells (Enhancement) und organisatorische Anpassungen umgesetzt werden.
BPM lebt von der Prämisse, dass das Unternehmen über die Prozessgestaltung einen Wettbewerbsvorteil anstrebt. Prozesse können zu einem Wettbewerbsvorteil werden, wenn diese einzigartig sind und zwar vom Wettbewerber kopiert werden können, aber dieser ohne entsprechendes Prozesswissen keinen Vorteil daraus ableiten kann.
Der ursprüngliche Trigger über „Pain Points“ oder „Deviations“ setzt voraus, dass sich ein Unternehmen mit den Prozessen beschäftigt und Hypothesen entwickelt, welche Probleme auftreten und warum. Einige Praktiker sehen allein in dem systematischen und logischen Hinterfragen von Prozessen und der Bildung von Hypothesen und Modellen den entscheidenden Mehrwert. Denn daraus entsteht Prozesswissen. Danach können Inside-out-Vergleiche mit Best Practices zusätzliche Learning Nuggets und einen Zusatznutzen für das Prozessverständnis bieten.
Anders ist der Einstieg über Best Practice Analysen, Out-side-In-Betrachtungen. Dabei werden Standardprobleme, für die auch entsprechend vorgefertigte KPIs und Analyse-Settings existieren, relativ unabhängig von der spezifischen Problemlage des Unternehmens auf die Prozesse angewendet.
Wenn allerdings der Blick darauf „wie es denn andere machen“ dazu führt, dass auf ein Hinterfragen der eigenen Problemlage verzichtet wird, läuft man Gefahr, nur wenig Prozessverständnis aufzubauen. Dann sind auch Prozesskennzahlen mit PM nur ein weiterer „KPI“-Posten in den regelmäßigen Reports.


Literaturhinweise

Dumas, M.; La Rosa, M.; Mendling, J.; Reijers, H. (2018): Fundamentals of Business Process Management, Springer Berlin / Heidelberg, 2018

Martin, N. et al. (2021): Opportunities and Challenges for Process Mining in Organization, Bus Inf Syst Eng 63(5):511–527 (2021)

Reinkemeyer, L. (2020): Process Mining in Action, 1. Aufl., Springer Nature Switzerland AG 2020

Rosemann, M.; de Bruin, T. (2005): Towards a business process management maturity model, in Proceedings of the 13th European Conference on Information Systems, 2005

Van der Aalst, W. et al. (2011): Process Mining Manifesto, in: Business Process Management Workshops 2011, in Bus Inf Proc, Vol. 99, Springer 2011

vom Brocke, J. et.al. (2021): Context-Aware Business Process Management, Bus Inf Syst Eng 63(5):533–550 (2021)


Die Autorin:
Prof. Dr. rer. pol. Uta Mathis, Professorin an der Hochschule Esslingen für Prozessmanagement und ERP-Systeme, war lange Jahre als Prozess- und SAP-Beraterin tätig. Ihre Themenschwerpunkte sind die Vermittlung von Zusammenhängen zwischen betriebswirtschaftlichen Methoden und Abläufen in ERP-Systemen zur Gestaltung von Prozessen und Verbesserung des Nutzens von ERP-Systemen sowie Einsatzmöglichkeiten und Aufbau von Kennzahlen zur Prozesssteuerung mit Process Mining. Sie ist Mitglied im Sprecherteam SAP Academic Board D-A-CH.