Low-Code und Citizen Developer als Beschleuniger der Digitalisierung

Unternehmen stehen heutzutage vor mehreren großen Herausforderungen wie Auswirkungen der Pandemie, unterbrochene Lieferketten und Fachkräftemangel. Eine Möglichkeit, diesem Dilemma zu begegnen, ist Digitalisierung. Dass diese immer schneller voranschreitet, erlebt man dabei sowohl im Privaten als auch im Arbeitsleben. Besonders deutlich wird dies, wenn man die Situation vor und nach der Pandemie miteinander vergleicht. Damit die Geschwindigkeit der Digitalisierung aufrechterhalten werden kann, bedarf es nicht nur neuer Technologien wie Low-Code, sondern insbesondere qualifizierter Arbeitskräfte und neuer Arbeitsmethoden wie die des „Citizen Developers“.

Low-Code – das Fundament der digitalen Transformation

Zu Beginn der Pandemie waren Unternehmen, Krankenhäuser und Behörden gezwungen umzudenken. Dies betraf sowohl die interne Zusammenarbeit ihrer Mitarbeiter als auch die Interaktion mit externen Kunden, Lieferanten, Patienten oder Bürgern. Aufgrund der Geschwindigkeit, mit der Business-Applikationen entwickelt werden mussten, um tradierte Geschäftsprozesse zu digitalisieren, war es für die Unternehmen und deren IT-Abteilungen unerlässlich, neue Wege zu gehen und vermehrt auf den Einsatz von Low-Code-Plattformen zu setzen.
Mit den neuen Applikationen, die in dieser Zeit entstanden sind, konnten beispielsweise Mitarbeiter Arbeitsplätze buchen, Bürger und Unternehmen Corona-Hilfen beantragen sowie Krankenhäuser mit Patienten Gesundheitsdaten austauschen und eine digitale statt einer stationären Betreuung ermöglichen. Die Entwicklungszeiten konnten dabei teilweise von mehreren Monaten auf wenige Wochen, von der Idee bis zum Go-Live der Applikationen, reduziert werden. Ohne den Einsatz von neuen Technologien wären viele dieser notwendigen Applikationen nicht rechtzeitig entwickelt worden, was verheerende Auswirkungen für die Unternehmen, Mitarbeiter und Bürger gehabt hätte.
Wie ermöglichen Low-Code-Plattformen die Entwicklung von Anwendungen in dieser Geschwindigkeit, und welche Vorkenntnisse sind notwendig? Den Schlüssel zum Erfolg bilden hierbei visuelle, grafische Editoren, die es ermöglichen, Software mit Hilfe von wiederverwendbaren Modulen und modellbasierten Regeln zu entwickeln. Der Hauptfokus der Tätigkeiten bei der Low-Code-Entwicklung liegt eher auf der Konfiguration und Verbindung bestehender Elemente, im Gegensatz zur klassischen Softwareentwicklung, bei der die meiste Zeit für das Schreiben von Softwarecode verwendet wird.
Aufgrund der vielen Vorteile von Low-Code werden die Investitionen in diese Technologien in den nächsten zwei Jahren um mehr als 50 Prozent steigen, wie eine Studie von KPMG und HFS Research voraussagt.

Die Rolle des Citizen Developers

In Zeiten, in denen sich auf der einen Seite die digitale Transformation und auf der anderen Seite der Fachkräftemangel drastisch beschleunigen, ermöglicht der Einsatz von Low-Code-Plattformen den Unternehmen auch Nicht-IT-Mitarbeiter als Citizen Developer einzusetzen.
Als Citizen Developer bezeichnet man Mitarbeiter einer Fachabteilung, die ohne Programmierkenntnisse oder Erfahrung in der Softwareentwicklung Business-Applikationen entwickeln. Der Vorteil dieser Mitarbeiter ist, dass sie die Geschäftsprozesse des Unternehmens genau kennen, daraus die Verbesserungspotentiale ableiten und diese mit Hilfe von Low-Code-Plattformen direkt und weitestgehend ohne Einbindung der IT-Abteilung umsetzen können.
Das Citizen Development wird zudem als ein Instrument betrachtet, das eine Kultur der Innovation und des kontinuierlichen Lernens innerhalb der Organisationen realisieren kann. Auch wenn die Vorteile auf der Hand liegen, gibt es auch potenzielle Risiken und Grenzen, die bedacht werden sollten.

Kehrseite der Medaille

Low-Code-Technologien und das Konzept des Citizen Developers sind keine neuen Ansätze, dennoch gibt es Unternehmen und insbesondere IT-Abteilungen, die beidem durchaus kritisch gegenüberstehen. Als Argument wird angeführt, dass durch Citizen Development Anwendungen entstehen, die sich der Kontrolle der IT-Abteilungen entziehen. Diese sogenannte „Schatten-IT“ birgt nicht nur das Risiko von potenziellen Sicherheitslücken, sondern führt auch dazu, dass die Komplexität der IT-Landschaft kontinuierlich steigt.
Unternehmen legen sehr viel Wert auf die Sicherheit ihrer IT-Systemlandschaft sowie den Schutz von sensiblen oder personenbezogenen Daten. Die KPMG-Umfrage „CEO Outlook Pulse 2022“ ergab, dass Cybersicherheitsrisiken derzeit als die größte Bedrohung für das Unternehmenswachstum empfunden werden. Im Rahmen der Entwicklung von Business-Applikationen muss daher vor der Inbetriebnahme geprüft werden, dass die Applikationen nicht gegen die Sicherheitsstandards verstoßen oder durch mangelhaftes Berechtigungsmanagement unerlaubte Zugriffe auf sensible oder personenbezogene Daten gewähren.
Bei steigender Komplexität der einzelnen Anwendungen ist es umso wichtiger, dass nicht-funktionale Anforderungen wie Skalierbarkeit, Zuverlässigkeit und Wartbarkeit erfüllt werden. Oft geraten Citizen Developer hierbei an ihre Grenzen und verfügen nicht über die benötigte Erfahrung, um eine Anwendung so umzusetzen, dass sie Qualitätsansprüchen genügt, den gängigen Entwicklungsstandards folgt und in vorhandene Datenquellen und die bestehende IT-Systemlandschaft integrierbar ist.

Mit Governance zum Erfolg

Wie kann man also die Vorteile der Low-Code-Entwicklung nutzen, Citizen Developer gewinnbringend einsetzen und gleichzeitig potenzielle Risiken mitigieren?
Bevor Low-Code und Citizen Developer eingesetzt werden, müssen Unternehmen für die richtigen Standards und Rahmenbedingungensorgen, um ein Auswuchern von Anwendungen zu vermeiden und die IT-Systemlandschaft und Daten des Unternehmens zu sichern. An erster Stelle steht hierbei eine ganzheitliche Governance, damit Mitarbeiter aus den Fachabteilungen ein klares Verständnis darüber haben, was auf einer Low-Code-Plattform entwickelt werden darf und wer dazu berechtigt ist.
Wesentliche Bestandteile der Governance sollten dabei sein:

  • organisatorische Rollen und Verantwortlichkeiten im Entwicklungsprozess,
  • Etablierung von Entwicklungsstandards und Richtlinien,
  • Prozesse zur Qualitätssicherung und kontinuierlichen Verbesserung sowie
  • Lernpfade und Wissenstransfer

Durch die Schaffung dieser Rahmenbedingungen wird sichergestellt, dass die Standards, Richtlinien und nichtfunktionalen Anforderungen von allen verstanden und befolgt werden. Schließlich wird so vermieden, dass bei der Entwicklung neuer Lösungen unübersichtliche, nicht mehr wartbare IT-Systemlandschaften entstehen.

Community of Practice als Klammer für Low-Code im Unternehmen

Umsetzung in der Praxis

Unternehmen, die eine erfolgreiche Low-Code sowie Citizen-Developer-Strategie umgesetzt haben, etablieren häufig einen hybriden Ansatz aus einem physischen Center of Excellence (CoE) und einer virtuellen Community of Practice (CoP). Im CoE bündeln die Unternehmen organisatorisch die Experten und das wesentliche Know-how über die Technologie, agile Entwicklungsmethoden, Datenmodellierung, Entwicklungsstandards und Sicherheitsrichtlinien.
Ergänzt wird das CoE dann durch Innovationsmanagement, Anforderungsmanagement, agiles Projektmanagement, Wissensmanagement, Schulungs- und Lernpfade, welche die CoP aktiv vorantreibt. Diese Community ist dabei häufig in virtuellen Teams organisiert und arbeitet abteilungsübergreifend zusammen.
Auch bei KPMG verfolgen wir eine Kombination aus den beiden genannten Ansätzen. Zunächst wurde ein CoE für Low-Code etabliert, um die notwendigen Standards, Innovations- und Entwicklungsprozesse, Technologien sowie die Zusammenarbeitsmodelle mit den KPMG-eigenen Fachbereichen zu definieren. Ergänzt wurde das CoE durch weitere Disziplinen wie Data & Advanced Analytics, Robotic Process Automation und Artificial Intelligence, um ein ganzheitliches Beratungsangebot sowohl innerhalb der KPMG als auch gegenüber unseren Kunden anbieten zu können.
Bedingt durch immer höhere Bedarfe an Low-Code-Kompetenzen wurde im nächsten Schritt eine CoP etabliert, in der Interessierte über ein Expertennetzwerk , Online-Trainingsplattformen sowie regelmäßige Community Calls, Hackathons und Projektbörsen Zugang zu den neuesten Entwicklungen und Better Practices erhalten.

KPMG Community of Practice für Low-Code

 

Fazit

Trotz der vielen neuen Möglichkeiten, die sich durch den Einsatz von Low-Code-Plattform und Citizen Developer für Unternehmen ergeben, tun sich Unternehmen in der Realität immer noch schwer, umfangreiche Business-Applikationen umzusetzen. Die Komplexität wird häufig unterschätzt, neue Risiken entstehen und das Potential von Low-Code-Plattformen wird nicht vollständig genutzt.
Citizen Developer sollten außerdem nicht als Ersatz für die breitere IT-Funktion betrachtet werden, sondern als Chance, dem Ressourcenmangel entgegenzuwirken, indem sie Seite an Seite mit IT-Abteilungen in CoPs innovative Lösungen entwickeln.
Spezialisierte Beratungsunternehmen können dabei helfen, das Potential von Low-Code zu heben und die Digitalisierung in den Unternehmen zu beschleunigen und gleichzeitig Risiken, die in der Entwicklung entstehen, zu managen. Dabei kann häufig auf bestehende Better Practices, Softwareartefakte sowie die entsprechenden Fachexperten zurückgegriffen werden, was die IT- und Fachabteilungen noch zusätzlich entlastet. Auch beim Aufbau eines CoE oder CoP ist eine Unterstützung durchaus sinnvoll, da auch hier bereits auf bestehendes Know-how zurückgegriffen werden kann und Fehler in den neuen Organisationsformen oder Zusammenarbeitsmodellen vermieden werden können.
Sofern die Vorteile von Low-Code als Technologie und von Citizen Developern im Rahmen des Entwicklungsprozesses mit der richtigen Governance genutzt werden, wird die digitale Transformation der Unternehmen deutlich beschleunigt und die Innovationskraft immens erhöht werden können.

Die Autoren:
Björgvin Magnússon ist Head of KPMG’s Low-Code Center of Excellence Germany und als Partner in Consulting im Bereich Digital Lighthouse für die Entwicklung digitaler Assets und Durchführung digitaler Transformationsprojekte verantwortlich. Dabei stützt er sich auf über 20 Jahre Erfahrung aus komplexen Beratungsprojekten in allen wesentlichen Geschäftsprozessen eines Unternehmens.

 

 

 

Tom Köhler kam im Januar 2020 als Partner und Head of Digital Risk Platform zu KPMG, seit 2021 ist er Global Head of Citizen Developer Program und Chief Business Technology Officer von KPMG NL. Er ist darauf spezialisiert, agile Managementinstrumente für die Governance der Digitalisierung auf der Ebene der Unternehmensführung zu entwickeln.