Low-Code-Plattformen: „Es zeichnet sich ein Wandel in der Softwarewelt ab“

Weltweit nutzt laut Marktforschungs-Unternehmen IDC jedes zweite Unternehmen Low-Code für die Bewältigung komplexer IT-Aufgaben. In Deutschland setzten bereits ein Drittel der Unternehmen auf visuelles Programmieren durch Low-Code. „Wir erwarten hier einen Wandel in der Softwarewelt insgesamt“, erklärt im folgenden Interview Sebastian Schrötel, Vice President SAP SE und Head of Low-Code Products.

Herr Schrötel, worin liegt der entscheidende Mehrwert einer Low-Code-Plattform?

Schrötel: Laut Bitkom hat jedes vierte Unternehmen in Deutschland nicht genug Entwickler:innen für die Umsetzung ihrer Digitalisierungsprojekte – Tendenz steigend. Gleichzeitig stehen IT-Abteilungen unter massivem Druck, immer mehr Lösungen in kürzerer Zeit vor allem den Fachbereichen liefern zu müssen. Diesem Umstand können durch Low-Code nicht nur professionelle Entwickler:innen, sondern vor allem auch Mitarbeiter:innen aus den Fachabteilungen entschieden entgegenwirken und Softwarelösungen selbst entwickeln.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen, bei dem die Fachabteilung eine Softwarelösung umgesetzt hat?

Schrötel: In vielen Unternehmen ist der Antrag auf Elternzeit nicht standardisiert, Mitarbeiter:innen müssen Formulare auf Papier ausfüllen, scannen und per E-Mail verschicken. Das ist nicht nur ineffizient, sondern oft genug fehlerhaft. Mit Low-Code können Personal-Mitarbeiter:innen den Prozess relativ einfach digitalisieren und automatisieren – ja sogar eine mobile Applikation bauen, in der die Mitarbeiter:innen auf dem Weg ins Büro das Formular ausfüllen können.
Ein anderes Beispiel ist die Bestellung von Geräten wie Laptops und Smartphones. Häufig erfolgt dieser Prozess noch manuell und mit enorm hohem Verwaltungsaufwand. Unser Kunde Freudenberg hat mit Low-Code durch wenige Schritte den Bestell- und Auslieferungsprozess automatisiert und sowohl in das Personalsystem als auch das IT-Inventar integriert.

Eine Weiterbildung für diese Mitarbeiter ohne IT-Kenntnisse braucht es aber trotzdem?

Schrötel: Ja. Zum einen sollten Mitarbeiter:inen sich durch Online-Angebote selbst schulen – bei SAP nutzen bereits 300.000 Entwickler:innen unsere kostenlosen Online-Kurse, über 60.000 davon sind nicht-technische Nutzer, die wir mit einer eigenen Learning Journey versorgen. Unsere lebhafte Community mit über drei Millionen Nutzern bietet einen Umschlagplatz, auf dem Tipps und Tricks ausgetauscht werden. Durch unsere Partnerschaft mit der Lernplattform Coursera wollen wir Online-Learning weiter fördern. Zum anderen sollten Unternehmen auch interne Schulungen durchführen, die im Einklang der IT-Strategie stehen.

Wie ist es möglich, dass Fachabteilungen solche Aufgaben von professionellen Entwickler:innen übernehmen?

Schrötel: Anstelle von textbasiertem Codieren setzt Low-Code auf visuelles Programmieren. Das lässt sich mit der Erstellung einer Powerpoint-Präsentation vergleichen. Anstatt die Text- und Bildelemente zu programmieren, können diese graphisch mit Drag-and-Drop kombiniert werden. Diese Idee übertragen wir auf die Welt der Softwareentwicklung. Auch bei Low-Code sind der Schlüssel vorgefertigte Bausteine, die mit Hilfe einer visuellen Oberfläche zu neuen Anwendungen zusammengebaut werden. Somit können auch Mitarbeiter:innen ohne größere Programmierkenntnisse Softwarelösungen erstellen und erweitern.

Wie verändert sich die Rolle des professionellen Entwicklers durch Low-Code?

Schrötel: Professionelle Entwickler:innen werden nach wie vor aufwendige Aufgaben übernehmen müssen, die Nachfrage bleibt hier ungebrochen hoch. Durch Low-Code-Entwicklungen durch Fachabteilungen werden sie aber entlastet. So können sie sich auf komplexere Programmieraufgaben fokussieren. Wir empfehlen darüber hinaus, über multidisziplinäre Teams nachzudenken, in denen Fachexperten:innen und professionelle Entwickler:innen IT-Projekte gemeinsam vorantreiben.

SAP hat im November bei der TechEd ein neues Low-Code-Angebot namens „SAP Build“ vorgestellt. Was genau verbirgt sich dahinter?

Schrötel: Mit SAP Build können Unternehmen dank integrierter Low-Code-Tools hochwertige Lösungen schneller und effizienter entwickeln. SAP Build Apps ermöglicht die Entwicklung von leistungsstarken Applikationen für mobile Endgeräte und für das Web. SAP Build Process Automation dient der Automatisierung von Verwaltungs- und Geschäftsprozessen. SAP Build Work Zone unterstützt bei der Erstellung von Portalseiten, die Prozesse und Applikationen abbilden und nutzbar machen.

Können Sie bereits von Erfahrungen mit SAP Build berichten?

Schrötel: Die Resultate, die unsere Kunden erzielen, sind beeindruckend. Das Experience-Management-Unternehmen Qualtrics hat innerhalb von drei Monaten eine komplexe Kunden-App mit über 100 UI-Screens entwickelt – ohne zu codieren. Diese Entwicklung betrug ein Zehntel des Aufwandes eines herkömmlichen IT-Projektes in diesem Umfang.
DHL Freight hat innerhalb weniger Wochen eine Applikation entwickelt, mit der Mitarbeiter:innen Schäden an den Paketfahrzeugen während der Arbeit melden können. Das Ganze wurde von wenigen Fachbereichsmitarbeitern:innen initiiert und erfolgreich weltweit in mehreren Sprachen ausgerollt.

Worin liegen die besonderen Merkmale von SAP Build?

Schrötel: Die über 1300 vorgefertigten Programmierbausteine wie Bots, Services und Workflows für zahlreiche Programmier- und Integrationsszenarien sind ein zentraler Bestandteil von SAP Build. Zudem erlaubt unser starkes Partnernetzwerk, Erfahrungen und Best Practices für die Fachbereichsmitarbeiter:innen bereitzustellen, um die Entwicklung mit Low-Code zu beschleunigen. Grundlage von SAP Build ist die SAP Business Technology Platform, auf der all unsere Low-Code-Tools unter einer Benutzeroberfläche verlässlich laufen und mit „Code-First“ Tools wie SAP Business Application Studio integrierbar sind.

Geben Sie uns einen Ausblick. Was kann mit Low-Code Tools wie SAP Build erreicht werden?

Schrötel: Wir erwarten einen Wandel in der Softwarewelt insgesamt: Weltweit werden in jedem zweiten Unternehmen bereits heute komplexe IT-Projekte durch Low-Code angegangen. Low-Code wird sich in Zukunft als eine Standardentwicklungsexperience etablieren. Letztlich wird Low-Code die Cloud-Transformation schneller vorantreiben – und Unternehmen darüber hinaus in die Lage versetzen, auf sich verändernde Marktbedingungen durch effizientere Softwareentwicklung schneller zu reagieren.

Der Autor:
Sebastian Schrötel, MBA, Vice President SAP SE, verantwortet die Low-Code-Strategie der SAP SE. Während seiner 14 Jahre bei SAP arbeitete er kontinuierlich an modernen Technologie- und Forschungsprojekten. Er zählt zu den Gründungsmitgliedern der SAP-Initiative für maschinelles Lernen und integrierte Robotic Process Automation (RPA) in die SAP Business Technology Platform (BTP). Sein Schwerpunkt liegt auf der Schaffung von Mehrwert für Kunden durch Geschäftsprozessautomatisierung und Low-Code-Lösungen.