Letztendlich geht es um die Menschen

Die Energiewende stellt die Marktteilnehmer vor große Herausforderungen: Der Umstieg auf erneuerbare Energien, der ausfallsichere Transport von Strom, die steigende Nachfrage durch Elektroautos und Wärmepumpen sowie neue digitale Geschäftsmodelle erfordern erhebliche Investitionen und neue Unternehmensstrategien. Mit dem Abschluss der innogy-Transaktion im Jahr 2019 ordneten E.ON und RWE ihre Geschäftsportfolien neu, um diesen Herausforderungen effizient zu begegnen. Im Interview erklären Sebastian Weber und Nils Scheller, wie sich E.ON auf die Reise gemacht hat, zu einem digitalen Energieunternehmen zu werden, welche Rolle Digitalisierung und IT dabei spielen und wie diese Maßnahmen zu einer erfolgreichen Gestaltung der Energiewende beitragen.

Pankow: Herr Weber, die Energiewende ist Chance, Herausforderung und Verantwortung für unsere Gesellschaft – welche Rolle spielt E.ON dabei?

Weber: E.ON treibt die Energiewende maßgeblich voran und befindet sich selbst inmitten einer großen Transformation. Als einer der größten Betreiber von Energienetzen und Energieinfrastruktur in Europa sowie Anbieter innovativer Kundenlösungen für rund 47 Millionen Kunden, setzen wir uns für Nachhaltigkeit und Klimaschutz ein – und damit für die Zukunft unseres Planeten und unserer Kinder. Die Digitalisierung spielt dabei eine zentrale Rolle. Der Wandel des Energiesystems führt zu einer immer stärker fluktuierenden, wetterabhängigen und gleichzeitig steigenden Stromnachfrage. Zudem wächst die Anzahl von Energiespeichern, Elektrofahrzeugen und Wärmepumpen rapide. Dadurch steigen die Anforderungen an das System drastisch. Es wird zunehmend vielfältiger, anspruchsvoller und volatiler.

Die Transaktion zwischen E.ON und RWE mit der Übernahme und Integration der innogy war eine der größten und komplexesten Transaktionen in der deutschen Industriegeschichte und ein bedeutender Schritt in der Transformation des europäischen Energiemarkts.

Während sich die neue RWE auf Energieerzeugung und -handel konzentrierte, fokussierte sich die neue E.ON auf die Kernkompetenzen Energienetze und Energielösungen. Mittlerweile hat E.ON 47 Millionen Kunden in 15 Ländern und beschäftigt rund 75.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Obwohl es sich formal um eine Übernahme handelte, wurde die Integration als Fusion unter Gleichen (Merger of Equals) durchgeführt. Zwei der Integrationsprinzipien waren daher „Best-of-Both-Worlds“ und „Best-Person-for-the-Job“.

„Best-of-Both-Worlds“ ermöglichte es E.ON, die besten oder zukunftsträchtigsten Fähigkeiten beider Unternehmen zu erhalten und auszubauen, um eine neue Gesamtlösung zu schaffen. Dieser Ansatz erfordert viele Abstimmungen, aber der Aufwand hat sich gelohnt.
Durch „Best-Person-for-the-Job“ hat E.ON die besten Talente für Schlüsselrollen ausgewählt, um die Herausforderungen der Integration und Transformation zu meistern.
                              

Scheller: Der Ausbau und die Digitalisierung unserer Netze sind die zentralen Aspekte für das Gelingen der Energiewende. Dafür sind sinnvolle Investitionen in unsere Infrastruktur notwendig. Wir müssen die signifikant größeren Anschlussvolumina und höheren Kundenanforderungen in einem immer komplexer werdenden System beherrschbar halten.

                              Die Digitalisierung der Energienetze ist ­zentral für die Energiewende

Um die Energiewende für unsere Gesellschaft, die Industriekunden und die Endverbraucher wirtschaftlich effizient realisieren zu können, ist es notwendig, dass wir unsere Prozesse und Systeme standardisieren, digitalisieren und automatisieren. Nur so können wir beispielsweise Kunden und Unternehmen, die Energie durch erneuerbare Anlagen produzieren und in das Energiesystem einspeisen, einen effizienten Anschlussprozess ermöglichen.

Pankow: 2018 kündigten E.ON und RWE an, ihre Energiegeschäfte neu zu ordnen. Wie hat E.ON die innogy-Transaktion genutzt, um sich zu einem der großen Treiber der Energiewende zu transformieren?

Weber: Die Transaktion ermöglichte E.ON, sich auf den Transport von Strom und Gas sowie den Verkauf von Energie und Dienstleistungen zu konzentrieren. Im Zuge der Integration konnten wir Synergien nutzen und das jeweils Beste aus beiden Unternehmen kombinieren. Das ermöglichte uns, sowohl unsere technologischen als auch unsere geschäftlichen Prozesse zu optimieren und eine starke Plattform für die zukünftigen Herausforderungen der Energiewende zu schaffen.

                              Mit der Integration konnten wir das Beste beider Unternehmen kombinieren

Pankow: Herr Scheller, Sie haben die Fusion im Bereich Digitalisierung und IT der Energienetze seit Beginn an begleitet. Wie haben Sie es geschafft, die unterschiedlichen Fähigkeiten der beiden Unternehmen in einem Zielbild zu vereinen?

Scheller: Wir haben bei der Transaktion von Beginn an mit beiden Unternehmen im Tandem gearbeitet. Von Tag eins an bis hin zur Umsetzung haben wir gemeinsam am IT-Zielbild 2019 und an der Transformation gearbeitet. Dies beinhaltete die enge Zusammenarbeit der IT-Teams beider Firmen, um sicherzustellen, dass wir von den besten Arbeitsweisen und Technologien profitieren konnten. Wir haben dabei sowohl die bestehenden IT-Infrastrukturen als auch die kulturellen Unterschiede zwischen den beiden Unternehmen berücksichtigt, um ein gemeinsames, neues Unternehmen aufzubauen. Im weiteren Verlauf kam es darauf an, die richtigen Kolleginnen und Kollegen für die anstehenden Aufgaben zu finden und zu befähigen, um alle Transformationsprojekte über die Ziellinie zu bringen. Ohne sie hätten wir z.B. das Netzgeschäft nicht zusammenführen und die Versorgung der Kunden nicht sicherstellen können. Ohne sie hätten wir den Kundenservice und das Kundenportfolio nicht nahtlos weiterführen und schließlich in eine effiziente und einheitliche Struktur zum Nutzen unserer Kunden überführen können.

                              Wir haben abgewogen, wo wir direkt ins Zielbild springen und wo Zwischenschritte sinnvoll sind

Pankow: Wo lagen die Herausforderungen bei der Umsetzung eines gemeinsamen Zielbildes 2019, welche Schritte waren dabei nötig?

Scheller: Wir haben die verschiedenen Dimensionen wie Organisation, Technologie und Verträge analysiert und abgewogen, ob wir das IT-Zielbild direkt verfolgen oder Zwischenschritte einlegen. Zwischenschritte waren z.B. sinnvoll, um unsere großen Partnerverträge effizient zu gestalten. Zunächst haben wir das Zielbild definiert und dann bestehende Verträge angepasst. So verringerten wir Komplexität, erhöhten Flexibilität und schufen Synergien für unseren gemeinsamen Weg nach der Integration. Danach führten wir umfassende Ausschreibungen durch, änderten das Liefermodell und passten den Leistungsumfang an, um mit neuen Partnern zusammenzuarbeiten.

Pankow: Herr Weber, seit 2021 gestalten Sie als CIO von E.ON die digitale Transformation. Wie sieht die IT-Modernisierungsreise von E.ON konkret aus?

Weber: Digitalisierung ist die Basis für die Energiewende, um Effizienz, Sicherheit, und schnellere Skalierung zu generieren. Das Thema ist heute einer unserer drei strategischen Eckpfeiler. Bei der ersten Phase der Neuausrichtung in 2021 haben wir den Fokus auf die Modernisierung der Kern-IT-Landschaft gelegt. Diese umfasste den Betrieb der Rechenzentren, die Netzwerk-Infrastruktur, sowie die Ausstattung unserer Arbeitsplätze. Die Modernisierung haben wir in weniger als drei Jahren umgesetzt.

                              Moderne IT-Platt­formen sind die Grund­lage für unsere Business-Transformation

Neben der „Digital Foundation“ haben wir strategische Programme, wie den Aufbau eines konzernweiten Data Lakes, erfolgreich vorangetrieben. Die Modernisierung der technischen Grundlage war notwendig, um die kritische Business-Transformation zu ermöglichen. Wir standardisieren konzernweit die Geschäftsprozesse, automatisieren Abläufe und setzen zunehmend künstliche Intelligenz (KI) und Robotik ein, um die Energiewende zu realisieren.

Pankow: Herr Weber, warum war die Cloud-Transformation für Ihr Unternehmen so zentral und welche Erfolge und Impacts wurden dadurch erzielt?

Weber: Eine umfassende Cloudifizierung ist die Basis, um die Energiewende zu ermöglichen und ein rundum digitales Unternehmen zu werden. Die Verlagerung in die Cloud ist der konsequente Schritt, um dies sicherzustellen. Durch einen „Lift-and-Shift“-Ansatz überführten wir die gesamte Infrastruktur der IT-Rechenzentren in die Cloud, nun folgt die Modernisierung dieser Anwendungen. Wir haben die größte Cloudifizierung der Industrie für 47 Mio. Kunden durchgeführt, unsere eigenen acht globalen Rechenzentren geschlossen, die Netzwerk-Infrastruktur an über 100 Bürostandorten grundlegend überarbeitet und mehr als 75.000 moderne Arbeitsplätze ausgerollt. Die Ergebnisse waren schnell erkennbar: Die Stabilität der IT-Landschaft haben wir um über 70 Prozent verbessert und die Anwenderzufriedenheit erzielt Spitzenwerte.

Pankow: Was waren aus Ihrer Sicht die wichtigsten Learnings auf E.ON‘s Transformationsreise?

                              Es sind die Menschen, die die Transaktion und Transformation zum Erfolg führen

Weber: Das Wichtigste für eine erfolgreiche Transformation ist der Einsatz der richtigen Technologien und die Fähigkeit, die Menschen dabei mitzunehmen. Ob ein Team am Ende funktioniert, hängt sehr stark von menschlichen Faktoren ab.

Scheller: Die richtigen Menschen an den richtigen Stellen machen den Unterschied: Entscheidend ist, dass Talente mit der passenden Einstellung transformative Positionen übernehmen. Ich hatte in meiner Karriere schon viele interessante Aufgaben, aber dies ist die spannendste Tätigkeit, die ich je hatte. Ich glaube, dass die E.ON-innogy-Integration ein Glücksfall für das Gelingen der Energiewende war und dass sie vielen Menschen eine Plattform geschaffen hat, auf der sie wirksam daran arbeiten können. Heute – vier Jahre nach der Transaktion – ist der Anspruch von uns bei E.ON: „It’s on us to make new energy work“. Die Transaktion hat dafür den Grundstein gelegt.

                              Die E.ON-innogy-Integration war ein Glücksfall für das Gelingen der Energiewende

Pankow: Mit Blick nach vorne, Herr Weber, eine gute Basis hilft, was steht heute auf dem IT-Zielbild für die nächsten Jahre?

Weber: Unser IT-Zielbild fokussiert sich auf folgende Schlüsselbereiche: die Transformation in eine DevOps-Organisation und den Übergang in ein Cloud Operating Model, den verstärkten und fundierten Einsatz von Daten und KI und die Weiterentwicklung unserer digitalen Plattformen. Diese Schwerpunkte werden uns helfen, nicht nur die Effizienz zu steigern, sondern unsere Systeme abzusichern, flexibel und future-ready zu gestalten und neue Geschäftsmöglichkeiten zu erschließen. So bieten wir unseren Kunden aktive Beteiligungsmöglichkeiten und treiben gemeinsam die Energiewende voran.

Die Autoren:

Mit 20+ Jahren Erfahrung in der Software- und Energiebranche gestaltet Sebastian Weber als CIO die digitale Transformation der E.ON SE. Seit 2021 verantwortet er die IT-Strategie, den IT-Betrieb und die IT-Governance, sowie die Entwicklung digitaler Kundenlösungen. Zuvor hatte er internationale Managementpositionen bei Microsoft inne. Sein fundiertes Verständnis für die verschiedenen IT-Dimensionen hat er in Start-ups und bei der Boston Consulting Group erworben.

 

 

Nils Scheller, Vice President Energy Networks Digital & IT bei E.ON SE, verantwortlich für die Digitalisierung und IT der Energienetze, hat die Transformation der beiden Unternehmen seit 2016 mitgestaltet. Mit dem Ziel, einen Beitrag an der Energiewende zu leisten, kam er 2016 als Leiter der IT-Infrastruktur zur RWE. Er hat dort zuerst die Separierung der innogy von der RWE unterstützt und im Anschluss an der Zusammenführung von innogy und E.ON im Bereich IT gearbeitet.