Intelligente Prozessautomatisierung erfolgreich skalieren

Das Beispiel Linde zeigt, wie sich in einem dezentral organisierten Unternehmen Prozesse durch ein Center of Excellence erfolgreich automatisieren lassen. Dabei kommt es zum einen auf das richtige Zusammenspiel von operativen Geschäftseinheiten, Center of Excellence und IT-Abteilungen an. Zum anderen bestimmen die Reihenfolge und Auswahl der Technologien den Erfolg auf dem Weg zur Hyperautomation.

In den letzten vier Jahren haben Automatisierungstechnologien die Abläufe in den Büros der Linde plc nachhaltig verändert. Roboter, die bisher eher mit Fertigungsprozessen in Verbindung gebracht wurden, übernehmen immer mehr Aufgaben in Verwaltungsprozessen der Finanz-, Personal- und Einkaufsabteilung. Aber auch entlang der Wertschöpfungskette kommen sie überall dort zum Einsatz, wo strukturierte Daten nach sich wiederholenden Mustern und Regeln elektronisch verarbeitet werden. Dabei handelt es sich nicht um physische Maschinen, sondern um Softwareanwendungen (Robotic Process Automation – RPA), die an einem Computerarbeitsplatz Tätigkeiten verrichten, die ansonsten Menschen mit Maus und Tastatur erledigen.

Ergänzt werden RPA Bots mit intelligenten Anwendungen und kognitiven Fähigkeiten, wie zum Beispiel Intelligent Document Capturing, Conversational AI, Process Mining oder Machine Learning. Erst durch das Zusammenspiel der verschiedenen Technologien lässt sich das ganze Potenzial der Prozessautomatisierung erschließen, was heute unter dem Begriff Hyperautomation zusammengefasst wird.

Ein zentrales Team für Prozessautomatisierung

Linde startete 2017 mit dem Einsatz von RPA, weil diese Technologie leicht zugängig ist und schnelle Produktivitätssteigerungen bei überschaubaren Kosten verspricht. Linde hat sich dafür entschieden, ein zentrales Team zu schaffen, das als Center of Excellence zunächst alle Kompetenzen zu Prozessautomatisierung bündelt und eine zentrale Plattform zur Verfügung stellt. Dieses Team hat sich aus der globalen Shared Service Center Organisation entwickelt, da sich gerade in diesem Umfeld viele Automatisierungsmöglichkeiten finden lassen.

Mittlerweile ist aus dem Bereich Digital & Business Services (DBS) ein Anbieter digitaler Services für das gesamte Unternehmen geworden, bei dem die jeweiligen Geschäftsbereiche unterschiedliche Servicemodelle zu den zuvor genannten Automatisierungstechnologien beziehen. Hierbei sind eine frühzeitige Einbindung und enge Zusammenarbeit mit der IT unerlässlich.

Die erfolgreiche Identifikation von weiteren Use Cases ist substanziell für eine erfolgreiche Skalierung von RPA. Linde ist es gelungen durch verschiedene Initiativen wie beispielsweise Awareness Sessions mit allen Funktionen und Regionen oder mehrtägigen Informationsveranstaltungen mit internen oder externen Sprechern eine Pipeline mit stetig mehr als 100 Ideen aufzubauen. Das erfolgreichste Projekt in diesem Bereich war eine globale Process Automation Challenge bei Linde. 126 neue RPA-Ideen konnten in einem mehrwöchigen Wettbewerbsprozess identifiziert werden.

Process Mining als zweiter Schritt

Erst nachdem die RPA Plattform und die dazugehörige Organisation etabliert waren und erfolgreich skalierten, wurde mit Process Mining die nächste Schlüsseltechnologie eingeführt. Process Mining analysiert Transaktionsdaten der IT- Systeme und rekonstruiert daraus die dazugehörigen Geschäftsprozesse. So entsteht ein reales Bild davon, wie etwa Bestellungen das Unternehmen durchlaufen, an welchen Stellen sie hängen bleiben und ob sie unnötige Umwege oder unerlaubte Abkürzungen nehmen. Anhand dieser Daten lassen sich leicht Verbesserungspotentiale im Unternehmen identifizieren, die sich unter anderem auch mit RPA realisieren lassen.

Dadurch liegt der Schluss nahe, Process Mining zuerst einzuführen, um so leichter Anwendungsfälle für RPA zu identifizieren. Die Erfahrungen bei Linde zeigen aber, dass die umgekehrte Reihenfolge durchaus sinnvoll ist. Prozessverantwortliche und Fachkräfte kennen die offensichtlichen Schwachstellen ihrer Prozesse, sie wissen welche Routineaufgaben aufwändig oder fehleranfällig sind. Diese lassen sich in wenigen Wochen mit einem RPA Bot automatisieren und so schnell erste Erfolge realisieren. Die Kosten für die Entwicklung eines RPA Bots amortisieren sich in der Regel schon in den ersten drei bis sechs Monaten.

Lizenzen für Process Mining sind hingegen vergleichsweise teuer und es benötigt einen gewissen Vorlauf, bis Datenquellen angebunden und die Daten richtig zugeordnet sind. Daraus lassen sich zunächst nur neue Erkenntnisse ziehen, die erst im zweiten Schritt in Verbesserungsmaßnahmen umgesetzt werden. Hierbei kann eine bereits etablierte RPA-Plattform helfen.

Einstieg in die Künstliche Intelligenz

Dabei stößt RPA vor allem dort an seine Grenzen, wo Daten nicht elektronisch und strukturiert vorliegen oder Entscheidungen getroffen werden müssen, die keinen klaren Wenn-Dann-Regeln folgen. Hierbei kann künstliche Intelligenz (KI) helfen, um zum Beispiel Schriftstücke zu erfassen, Texte zu interpretieren oder relevante Informationen aus großen Datenmengen zu extrahieren.

Dabei machte Linde die Erfahrung, dass KI oftmals einer Inselbegabung gleicht, die zwar nach entsprechendem Training eine spezifische Aufgabe gut lösen kann, aber erst im Zusammenspiel mit anderen Services und Automatisierungslösungen zur vollen Geltung kommt. Darüber hinaus ist die Entwicklung anspruchsvoller und verlangt in der Regel spezifische Programmierungs- und Datenanalyse-Kenntnisse. Allerdings gibt es vermehrt Lösungen, die die Einbindung von zum Teil vorkonfigurierten KI-Services in die eigene Automatisierungslandschaft unterstützen und somit leichter zugänglich machen.

Conversational AI Anwendungen wie Chatbots haben hingegen mittlerweile einen hohen Reifegrad erreicht, weshalb sich Linde für den Aufbau einer solchen Plattform entschieden hat. Verlangten Chatbots in der Vergangenheit noch technisches Knowhow, gibt es jetzt eine Reihe von Plattformen, die sich ohne große Vorkenntnis auch von Anwendern aus den Geschäfts- und Fachbereichen erstellen und pflegen lassen. Somit kann die Verantwortung für das Datenmodell im Fachbereich verbleiben, während sich ein Center of Excellence um die Chatbot-Plattform kümmert. Diese No-Code- oder Low-Code-Anwendungen eignen sich dabei im ersten Schritt vor allem, um den eigenen Mitarbeitern Hilfestellungen anzubieten. In weiteren Ausbaustufen können dann auch gesprochene Dialoge und Interaktionen mit externen Kunden und Lieferanten erfüllt werden.

Die Autoren:
Jens Knoblauch, Executive Director Digital & Business Services, verantwortet bei Linde die Themen Intelligent Process Automation, Process Mining und Conversational AI sowie Shared Services im Bereich Finance & Accounting, HR und Procurement.

 

 

Martin Felder, Head of Process Automation Center, leitet bei Linde das Process Automation Center, das als globales Center of Excellence die Entwicklung und den Betrieb von Intelligent Process Automation und Conversational AI Lösungen verantwortet.