Intelligent-Automation wird zur Strategiekomponente für ambidextre Organisationen

Die Corona-Pandemie zwingt viele Unternehmen ad-hoc Liquidität freizulegen und starre Prozessstrukturen flexibel zu adaptieren. Gerade diese Umstände verhelfen Robotic Process Automation (RPA) aufgrund seiner leichtgewichtigen Eigenschaften zu einem enormen Bedeutungsgewinn. Durch die Symbiose mit weiteren Technologien des Intelligent-Automation (IA) Stacks, einer geschäftsorientierten Governance sowie einer flexiblen und modularen Denkweise bietet RPA das Potenzial, sich zu einem strategischen Schlüsselelement für dynamische Fähigkeiten einer ambidextren Organisation zu entwickeln.

Der durch die Corona-Pandemie ausgelöste Digitalisierungsschub in Gesellschaft und Industrie spiegelt sich seit Mitte 2020 verstärkt auch in der strategischen und organisationalen Ausgestaltung von IA-Initiativen wider. Im Windschatten von Personalabbau, Liquiditätssicherung sowie staatlichen Subventionen treiben Organisationen radikalen Wandel im Bereich der IA voran. Die durch den Deckmantel der Krise legitimierten Änderungen konnten hierdurch um ein Vielfaches schneller und mit weitaus weniger Widerstand seitens der Betriebsräte oder Shareholdern durchgesetzt werden. Als größten Profiteur innerhalb des IA-Stacks lässt sich besonders RPA hervorheben, dessen Stellenwert im Vergleich zu vollintegrierten Workflow-Systemen aufgrund seiner flexiblen und leichtgewichtigen Eigenschaften signifikant zugenommen hat.

Auf Basis empirischer Forschung und longitudinaler Organisationsbeobachtungen lassen sich drei zentrale Trends erkennen, die sich pandemiebedingt intensivieren und das Potenzial aufweisen, sich ex-post zu verfestigen. Als Datenbasis dienen zahlreiche Interviews mit Entscheidungsträgern und Fachexperten sowie Sekundär material in Form von Strategie-Roadmaps, Umsetzungs plänen etc.

Trend 1: Flexibilität und Modularität vor Genauigkeit und Vollintegration

Im Zuge dieser Entwicklungen wurde vielen Unternehmen erstmals vor Augen geführt, dass eine flexible Adaption der Prozesse an externe Umstände sowie eine gewisse Umsetzungsgeschwindigkeit elementare Wettbewerbsvorteile bringen können. Monatelange Anpassungen an vollintegrierten Workflow-Systemen kommen in solchen Fällen häufig zu spät. Desweiteren eröffnet RPA die Möglichkeit, Anpassungen an atomaren Teilprozess schritten nach einem Scrum-basierten Trail-and-Error zu implementieren, zu adaptieren oder wieder schnell zu annullieren.

Die hierdurch erlangten Erkenntnisse verankern sich gegenwärtig immer intensiver in den strategischen Planungen der IA-Programme, denn neben einem dynamischen Umfeld spielt gerade auch die Innovationsrate in dieser Technologiedomäne eine komplettierende Rolle, weil
vollintegrierte monolithische Systeme Gefahr laufen, bereits kurz nach Inbetriebnahme überholt zu sein.

Trend 2: RPA verschmilzt zu Intelligent-Automation

Entscheidungsträger bevorzugen auf Basis des Innovationsdrucks daher verstärkt einen MultiVendor-Ansatz mit Best-of-Breed-Strategie, was in einer Technologiefusion aus RPA, Process Mining, Workflow-Systemen sowie künstlicher Intelligenz (KI) resultiert. Das Ziel hierbei ist, die Prozessanalyse mit der Prozessausführung zu verschmelzen. Process Mining und KI übernehmen hierbei die analytische Komponente, wohingegen RPA und Workflow-Systeme mit der Ausführung befasst sind.

Als zentrales Verbindungselement dient ein leichtgewichtiges Workflow-System, welches die Arbeit zwischen klassischen prozessorientierten Systemen wie ERP, CRM oder SCM und dezentralen RPA-Robotern orchestriert und protokolliert. Mit KI angereichertes Process Mining triggert auf Basis der Logdaten intelligent Aktionen, die wiederum als Impulse für RPA oder anderweitig angeschlossene Systeme dienen.

Die mit Abstand größte Herausforderung ist dabei die Kombination und Aufbereitung aller Daten entlang der gesamten End-to-End-Prozesskette. Bei richtiger Anwendung gelingt es somit, Projekte von einzelnen Technologien zu abstrahieren und stattdessen einem anwendungsfallbezogenen Paradigma zu folgen.

Trend 3: Governance-Strukturen mit Geschäftsorientierung

Dieses anwendungsfallgetriebene Denken verstärkt sich pandemiebedingt und verschiebt Zuständigkeiten zwangsläufig in Richtung der Geschäftsseite, die sich zunehmend von den IT-Departments emanzipiert. In der Praxis geschieht dies vermehrt durch die Etablierung von dem CFO oder CIO unterstellten Kompetenzzentren (CoE), die technologie- und applikationsbezogenes Wissen im Bereich IA bündeln.

Projekte werden aber dezentral von den Fachbereichen initiiert, die sich aus dem CoE-Pool an Experten bedienen und, unter Konsultation von IT- und Daten-Architekten, die eigenen Anwendungsfälle umsetzen. Das Ergebnis manifestiert sich in multidisziplinären und agilen Teams, die nahezu unabhängig von starren IT-Roadmaps Werte generieren. Das CoE steuert und überwacht das Projektportfolio unter Betrachtung der gesamten End-to-End Prozessketten. Der Fokus auf Prozessketten und ein Mangel an Fachexperten führen dazu, dass verstärkt auf Umsetzungstiefe geachtet wird. Dies bedeutet, dass beispielsweise primär alle Automatisierungspotenziale im Purchase- To-Pay-Prozess gehoben werden, bevor in die Breite gegangen wird.

Mit Intelligent-Automation zur ambidextren Organisationen

Die Krise hat Organisationen erkennen lassen, dass RPA mehr als nur ein reines Kosteneinsparinstrument repräsentiert; vielmehr hilft es, flexibel und iterativ auf Veränderungen zu reagieren. Nichtsdestotrotz, nur als Komplementär innerhalb des IA-Stacks, unter Einbettung in eine geschäftsorientierten Governance und einer Abkehr vom Perfektionsdenken monolithischer Vollintegration in Richtung flexibler und modularer Denkweisen, vermag es sich in ein strategisches Schlüsselelement für dynamische Fähigkeiten einer ambidextren Organisation zu transformieren. Diese sogenannte Beidhändigkeit zwischen Exploitation und Exploration gilt als entscheidender Wettbewerbsvorteil in einer zunehmend dynamischeren und unberechenbareren Welt.

Die Auswirkungen einer solchen Strategie sind enorm, denn IA verändert die Arbeitswelt. Sachbearbeiter und Fachexperten verlieren an Relevanz, denn ihre Arbeit wird intelligent automatisiert. Mit IA vertraute Generalisten hingegen werden zum heißbegehrten Asset. Für Führungskräfte ist es daher erfolgsentscheidend, die Transformation des Personalwesens Jahre im Voraus zu antizipieren und im Einklang mit dem Hochfahren der IA-Initiativen abzustimmen. Die Folgen dieser Disruption der Arbeitswelt haben Auswirkungen weit über Organisationsgrenzen hinaus: Es bedarf eines gesellschaftlichen Umdenkens in den Bereichen Bildung, Anpassungsbereitschaft und Fehlerkultur.

Der Autor: Lukas Pfahlsberger ist Wissenschaftler an der Wirtschaftsuniversität Wien und forscht im Bereich der strategischen und organisationalen Anwendung von Process Mining, RPA und Workflow-Systemen. In seiner Forschung untersucht er die Auswirkung dieser Technologien auf die Ambidextrie, die Ressourcenbasis sowie die dynamischen Fähigkeiten einer Organisation. Des Weiteren ist er Mitgründer und Co-Geschäftsführer bei der Noreja Intelligence GmbH, die multidimensionales Process Mining anbietet.