Intelligent Automation: RPA und KI erfolgreich skalieren

Seien wir ehrlich: Die Pandemie hat ihre Finger in die Wunden der Digitalisierung gelegt. Angesichts einer Antragsflut für Förderungen und Forderungen, Finanzierungen und Erstattungen versinken Unternehmen und Behörden in Dokumenten und Belegen. Jetzt rächt sich, dass wir zwar an vielen Stellen Digitalisierung gepredigt haben, aber letztlich nur eine Elektrifizierung alter analoger Vorgehensweisen dabei herausgekommen ist. Denn die Erfassung, inhaltliche Prüfung und Verarbeitung von Dokumenten und E-Mails erfolgt fast überall von Hand.

Liefernachfragen im Handel, Erstattungsanträge im Reiseverkehr, Förderanträge: Nur ein Bruchteil der Papierflut kann zeitnah erfasst und verarbeitet werden. Nicht nur in der öffentlichen Verwaltung, sondern auch in Unternehmen besteht ein akuter Bedarf an maschineller – und vor allen Dingen – kontextueller Verarbeitung von Dokumenten und Belegen.

Schätzungen zufolge werden jedes Jahr rund 40 Milliarden Anfragen und Anträge abgewickelt – alleine in Deutschen Versicherungen sind es fast 5 Milliarden. Für die Mitarbeiter in Service und Back Office deutscher Unternehmen beginnt mit jedem Vorgang eine Reise durch unterschiedliche CRM- und Vorgangssysteme. Robotic Process Automation (RPA) unterstützt bei der Übertragung von strukturierten Vorgangsdaten. So gelangt die neue Kundenadresse automatisch ins CRM und die Objektdaten zur Finanzierung in die Sachbearbeitung. RPA-Bots arbeiten schnell, präzise und zuverlässig. Der große Vorteil: Die Robots arbeiten auf den bestehenden Desktop-Oberflächen der jeweiligen Applikationen. So lassen sich Systeme sehr schnell miteinander verbinden.

Doch RPA scheint ab einem gewissen Punkt an ihre technischen und wirtschaftlichen Grenzen zu stoßen. Die hauptsächliche Ursache: Die relevanten Daten aus Dokumenten, E-Mails und Belegen verstecken sich in Fließtexten. Und da wirkt RPA nicht.

80 Prozent der relevanten Inhalte sind unstrukturiert

Relevante Daten stecken in Rechnungen, Schadensmeldungen, Verfahrensakten und Bescheinigungen. Fälschlicherweise glauben viele Managerinnen und Manager, dass traditionelle „Wenn-Dann-Regeln“ diese augenscheinlich strukturierten Inhalte automatisch übertragen. Ein teurer Trugschluss. Denn auch wenn in jeder Ordnungswidrigkeit (um ein anschauliches Beispiel aus dem Alltag heranzuziehen) die gleichen Vorgangsdaten enthalten sind: Sie stehen abhängig vom Versender immer an unterschiedlichen Stellen und in unterschiedlichem räumlichem Kontext. Daher: bitte suchen und abtippen.

Längst gibt es moderne, integrative Softwarelösungen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an PC-Arbeitsplätzen passend zum jeweiligen Kontext eines eingehenden Vorgangs mit relevanten Daten versorgen. Denn kognitive Lösungen können mit Beispielen trainiert (oder auch „annotiert“) werden und entwickeln dann automatisch die Fähigkeit, aus dem räumlichen Umfeld von Personen- oder Fallinformationen präzise die richtigen Daten zu extrahieren. Ein Blick in die Gegenwart lohnt.

Robotics & KI befreien Mitarbeiter von Routineaufgaben

Der Einsatz kognitiver Datenextraktion erfolgt auf Basis des Maschinellen Lernens (Machine Learning oder „ML“) und bietet einen entscheidenden Hebel bei der Skalierung des RPA Betriebs. Denn ML ist in der Lage, relevante Fachdaten auch aus unstrukturierten Datenquellen zu verarbeiten, weil der erwähnte „räumliche Kontext“ erlernt wird. So entwickeln Algorithmen ein menschenähnliches Verständnis von Informationen – und wie diese zusammengehören. Aber kognitive Assistenzsysteme verstehen natürlich nicht wie Menschen. Doch sie ziehen Schlüsse aus dem beobachtetem „Output“ des Antragsprozesses.

Während RPA-Anwendungen die Datenlogistik vereinfacht, kann KI – ähnlich wie Menschen – auch aus unstrukturierten Service-Mitteilungen die relevanten Fachdaten erkennen und Service-Workflows automatisch ausführen.

KI ist daher eine logische (im besten Wortsinne) Erweiterung, die im Zusammenspiel mit RPA Bots den Wirkungsgrad und die Skalierung von RPA-Lösungen entscheidend erhöht. Während RPA die Anwendung einer Tastatur automatisiert, bringt KI die inhaltliche Kompetenz, das Wissen in die Anwendung. In Kombination entsteht im Fachjargon: „Intelligent Process Automation IPA“.

Intelligente Automatisierung und Dunkelverarbeitung

RPA löst das große Dilemma der häufigen Anwendungswechsel, indem Medienbrüche überbrückt und das Arbeitsumfeld der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vereinfacht wird. Doch ohne die kognitive Extraktion (AI) bleibt RPA eine temporäre Brückentechnologie des digitalen Wandels. In einigen Jahren werden die Tugenden der Copy & Paste Roboter im Geschäftsalltag nicht länger relevant sein.

Aber Intelligente Automatisierung und KI ermöglichen schon heute disruptive Innovation in vielen Branchen. Erste Banken und Finanzdienstleister setzen Intelligent Automation für die Erfassung und Dunkelverarbeitung von Hypotheken- und Darlehensanträgen ein und senken so die Bearbeitungsdauer um gut 40 Prozent – gerade im margenschwachen Kreditgeschäft ein willkommener Effizienzgewinn. KI kann schon heute Lieferlisten und Transportaufträge positions genau erfassen, Mietverträge auslesen und prüfen, Personalakten inhaltlich erschließen, Anträge auf Er stattung und Reiserücktritt erfassen.

Diese automatische Erfassung von geschäftsrelevanten Informationen aus unstrukturierten Quellen heißt im Fachjargon „Dunkelverarbeitung“ (shadow processing) und bezeichnet den nächsten großen Schritt der Intelligenten Automatisierung. Der Bund wird die Digitalisierung von Unternehmen und Behörden bis 2025 im Übrigen mit rd. 4,3 Milliarden Euro fördern. Es wäre wünschenswert, wenn die Organisationen die zu erwartenden Förderanträge nicht von Hand erfassen müssten.

Der Autor: Andreas Klug gilt als Evangelist für Intelligente Automatisierung und KI. Als Co-Founder der ITyX Gruppe setzt er sich mit Datenextraktion und Dunkelverarbeitung von Dokumenten und E-Mails auseinander. Er leitet den Arbeitskreis „Artificial Intelligence“ im Digitalverband Bitkom und produziert den AI Business Podcast „KI-Board“.