Humanisierung der Personalfunktion durch Technologie: Widerspruch, Wahnsinn oder Vision?

Vier Mitarbeiter des Bereichs „HR Digital & Innovation“ beugen sich über ein Tablet – abwechselnd kämpfen sich die Kollegen in verschiedenen Mini-Spiele durch immer mehr Schwierigkeitsgrade. Erst Gelächter. Dann Neugier: Was sagt die Künstliche Intelligenz über Potenziale und Fähigkeiten der Mitarbeiter?

Auf den ersten Blick wirkt es wie eine Zocker-Pause Jugendlicher mit Smartphone auf dem Schulhof. Der zweite Blick offenbart den Wandel: Hier wird Personalarbeit ins digitale Zeitalter katapultiert. Die Kollegen testen einen Prototyp für ein Handy-Spiel, mit welchem zukünftig neue Mitarbeiter bei der Deutschen Telekom rekrutiert und nach Fähigkeiten wie strategischem Denken, Empathie, Kooperationsbereitschaft oder Innovationsfreude getestet werden sollen. Seit Sommer 2018 sind verschiedene Mini-Spiele ein Bestandteil des Auswahlverfahrens für das Trainee-Programm der Deutschen Telekom.

Innovation und Personalfunktion wird oft als Gegensatz dargestellt. Auch Digitalisierung, moderne Technologien und der HR-Bereich scheinen nicht ganz so gut zusammenzupassen. Um dies bei der Deutschen Telekom zu ändern und den HR-Bereich von innen heraus zu transformieren, haben wir vor einigen Jahren ein Innovationslabor gegründet und zwar innerhalb von HR. Das Team von „HR Digital & Innovation“ sitzt nicht in einem hippen Industrie-Loft in Berlin Kreuzberg, sondern in der Zentrale der Deutschen Telekom im beschaulichen Bonn. Möglichst nah dran zu sein an der Organisation hat sich als wichtig herausgestellt, denn um Veränderung anzustoßen, muss man wissen, wo die Probleme liegen.

Das Team besteht aus Menschen verschiedenster Disziplinen von Designern über Psychologen, von Change Managern und ehemaligen Beratern bis hin zu richtigen Nerds. Dieses interdisziplinäre Team hat die Aufgabe, die Digitalisierung des HR-Bereichs mitzugestalten. Inzwischen beschränkt sich der Bereich längst nicht nur auf HR, sondern unterstützt den Wandel der Telekom in eine digitale und agile Arbeitswelt. Beispielhaft stellen wir nachfolgend eine Auswahl an HR-Tech Projekten vor.

Virtual Reality Onboarding

Dass der erste offizielle Interaktionspunkt neuer Leitender Angestellter der Telekom ein nicht-inspirierender Papierstapel war, passte nicht zum Bild einer digitalen Telekom. Unter Federführung des HR-Innovationsbereichs wurde eine Virtual Reality Lösung entwickelt. Das Onboarding-Erlebnis der Führungskraft beginnt zuhause auf dem Sofa, wenn sie die magenta Kartonbox auspackt, die persönliche VR-Brille aufsetzt und von unserem CEO Tim Höttges im Karohemd begrüßt wird. Man erhält einen ersten Einblick in die grundlegenden Bausteine der Telekom: Shop, Service Center, Führungsprinzipen und Geschäftsstrategie.

Mitarbeiter App

Bei klassisch administrativen HR-Prozessen, regierte bis vor kurzer Zeit noch viel Papier wie bei der Einreichung von Krankmeldungen oder der Reisekostenabrechnung. Alle diese für Mitarbeiter nervigen administrativen Zeitfresser wurden in eine nutzerfreundliche App migriert. Darüber hinaus unterstützt eine Künstliche Intelligenz bei der Raumbuchung in Desksharing-Umgebungen. Die Mitarbeiter-App zeigt, wie Technologie zur Entlastung von Mitarbeitern beiträgt und Freiraum für wertschöpfende Tätigkeiten schafft.

HR Tech Room

Ein leerstehendes Vorstandsbüro wurde kurzerhand von uns gekapert und in eine Zukunftswerkstatt umgebaut. Dort kann man seit jüngstem erleben, wie in Zukunft die „Reise“ eines Mitarbeiters aussehen könnte. Virtuelles Onboarding, digitales Assessment Center, Skill-Analyse durch Künstliche Intelligenz, innovative Zusammenarbeitstools, digitaler Karriere-Coach, Interaktion mit Robotern, Holoportation (3D-Zusammenarbeit im virtuellen Raum) sind nur einige der vielen Stationen.

People Analytics

Was haben Segelbedingungen an der Adria, Hotelbau in Griechenland und die Arbeitslosenquote der EU mit der Workforce Planung der Telekom zu tun? In einem mehrere Personalfunktionen (Business Partner, HR Planung, HR Controlling, HR Innovation u. a.) umfassenden Projekt haben wir mittels Big Data Analytics und Künstlicher Intelligenz, konkret Machine Learning, uns dieser Frage gestellt. Die Verarbeitung von fast einer Milliarden Datenpunkten über Zeitreihen-Analysen, selbstoptimierenden Algorithmen und strategischen Trends verdeutlicht die umfängliche Veränderung in der strategischen wie auch operativen Personalplanung. Die hier gewonnenen Erkenntnisse z. B. zu Skill Planung oder Personalkosten, wären ohne digitale Technologien nicht möglich gewesen.

Unsere Empfehlungen und Erfahrungen

  • Start small, but start: Statt Hochglanz-Präsentationen auf Vorstandsebene mit Mitarbeitern und Führungskräften, lieber an echten Arbeitsherausforderungen arbeiten und neue Dinge ausprobieren. Eine Vision setzt man nicht durch die 63. Version einer Powerpoint um, sondern durch Machen, Scheitern, Lernen und dann: besser machen.
  • Ein HR-Lab mittendrin: Ein Lab muss integraler Bestandteil der Personalfunktion sein und sollte die Realität eines Konzerns kennen. Denn wenn man nicht aus erster Hand die Herausforderungen und Einschränkungen des Unternehmens und der Belegschaft erlebt, wird man keine guten HR-Lösungen beisteuern können.
  • HR braucht Tech: Während viele HR-Bereiche die IT gedanklich und im Tun auslagern, glauben wir an das Upskilling von HR. Wir brauchen ein tiefes Verständnis von IT wie auch Design, um die Digitalisierung und Automatisierung vieler HR-Produkte möglichst nutzerfreundlich, intuitiv und einfach zu gestalten – und um bewusst zu entscheiden, wo die menschliche Interaktion unabdingbar ist. HR muss sich unserer Meinung nach mit Digitalisierung und Technologie auseinandersetzen, aber nicht als Selbstzweck – sondern vielmehr, um den Menschen noch besser in den Mittelpunkt zu rücken.
  • Pull statt Push: Moderne Personalarbeit lebt nicht von Governance und Prozessorientierung, sondern von überzeugenden Angeboten, die aus Mitarbeitersicht Mehrwert schaffen.
  • Weder schön noch Kunst: Auch Innovationsbereiche, gerade in HR, müssen sich die Hände schmutzig machen und sich mit den Tiefen der Implementierung auseinandersetzen. Dazu gehören auch Themen wie Arbeitsrecht, Datenschutz, Mitbestimmung und IT-Machbarkeit.
  • „Can do“-Mentalität: Die vermutlich schwierigste und gleichzeitig essenziellste Empfehlung, die wir aussprechen können, hat mit der Haltung und Einstellung der Mitarbeiter zu tun. Leidenschaft und Überzeugung spürt man in den Produkten, der Beratung und der Gestaltung der „moments that matter“.

Die Autoren:

Elisa Binzberger arbeitet im Bereich HR Digital & Innovation bei der Deutschen Telekom. Sie konzeptioniert und implementiert innovative HR-Konzepte und  begleitet die agile Transformation des Konzerns.  

  

 

Dr. Reza Moussavian ist SVP HR Digital & Innovation bei der Deutschen Telekom. Rezas Auftrag ist es, die Digitalisierung von HR voranzutreiben, sowie übergreifend die (digitale) Zusammenarbeit und Innovationsfähigkeit im Konzern zu verbessern. Davor hat er bei PWC, IBM und Detecon in Zentral- und Ost-Europa, Mittlerer Osten, Asien und Afrika die Internationalisierung und den Aufbau neuer Geschäftsfelder begleitet.