Evolutionär, revolutionär oder visionär: Digitale Geschäftsmodelle in der Industrie

Industrieunternehmen unter Druck: Wirtschaftliche Entwicklungen, teilweise bedingt durch die Covid-19-Pandemie, trüben die Aussichten der Branche auch noch 2021 ein. Wie die aktuelle Global Pricing Study von Simon-Kucher & Partners herausfand, konnten im vergangenen Jahr 40 Prozent der Industrieunternehmen ihre Gewinne nicht steigern. 39 Prozent sehen die Gründe dafür bei der andauernden Pandemie.

Wie können sich die Firmen aus dieser Abwärtsspirale befreien? Die Antwort sind neue, digitale und datengetriebene Geschäftsmodelle. Digitalisierung und Daten sind in einigen Branchen bereits das „New Normal“. Und auch in der Industrie finden sich Vorreiter: Datengetriebene Lösungen durch u. a. künstliche Intelligenz, Servitization auf Basis von APIs – all das kann Firmen dabei helfen, neue Umsatzquellen zu erschließen. Doch welcher Weg ist ebenso machbar wie profitabel? Bislang haben die meisten Digitalisierungsinitiativen eine dieser drei Stoßrichtungen:

  1. Evolutionär: eine schrittweise Weiterentwicklung bestehender Prozesse, um sie effizienter zu machen, die Produktivität zu steigern und Margen zu verbessern
  2. Revolutionär: die Erkundung von neuen Wegen zur Zielgruppe (etwa über digitale Vertriebsansätze und -kanäle) mit dem Ziel, ein bestehendes Umsatzplus stärker oder effizienter wachsen zu lassen
  3. Visionär: die Entwicklung von datenbasierten Lösungskonzepten oder erweiterten Geschäftsmodellen zur Erschließung vollständig neuer Umsatzquellen unabhängig vom Kerngeschäft

Industrie agiert eher evolutionär statt visionär

In den letzten Jahren lag der Fokus von Digitalisierungsprojekten in Technologie- und Industrieunternehmen eher auf der Verbesserung bestimmter (Teil-)Prozesse. Aufgrund der immer dringlicheren Suche nach neuen Erlösquellen erkennt die Branche jedoch zunehmend das Potenzial von Digitalisierung als Wachstums-Enabler, den es zu monetarisieren gilt.

Nach Angaben des Zentralverbands Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) stiegen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in der deutschen Industrie in den vergangenen Jahren stetig. Die Elektroindustrie erhöhte u. a. ihre F&E-Kosten von 11,9 Milliarden Euro im Jahr 2010 auf 19,6 Milliarden Euro in 2019. Das zeigt: Die Industriebranche in Deutschland weiß, wie wichtig Innovationen sind.

Insbesondere die Nutzung von vorhandenen oder neu generierten Daten sowie die Evolution weg vom Hardware-Provider hin zum Software- und Lösungsentwickler stehen dabei ganz oben auf der Agenda. Diese Punkte bilden bei vielen Unternehmen den gemeinsamen Nenner bei der Neuausrichtung ihres Geschäftsmodells.

Monetarisierung von Anfang an mitdenken

Doch Studien von Simon-Kucher & Partners zeigen regelmäßig, dass mehr als 70 Prozent der Innovationen nicht ihr angestrebtes Profitziel erreichen. Um das zu verhindern, müssen Industrieunternehmen von vornherein bestimmte Vertriebsaspekte, etwa den Kundenfokus oder das Monetarisierungspotenzial, in ihre F&E-Projekte miteinbeziehen.

Wichtig ist, dass Firmen die Marktseite nicht vergessen. Die Entwicklung des Angebots muss kunden- und marktorientiert sein und auch der Heterogenität der einzelnen Kundensegmente, der Wertschöpfungskette sowie der eigenen Fähigkeiten im Bereich Digitalisierung Rechnung tragen. Der „One Size Fits All“-Ansatz ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt.

Erfolg durch Attraktivität, Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit

Es gilt, nicht länger nur im eigenen Saft zu schmoren und nur das möglich zu machen, was die Technologie hergibt. Erfolgsversprechender ist es, wenn Industrieunternehmen die Erweiterung ihres Geschäftsmodells auf drei Aspekte hin analysieren:

  1. Attraktivität der Lösung: Welche Wertversprechen bietet die Lösung meinen Kunden und gibt es bereits eine nachweisliche Kundennachfrage dafür?
  2. Machbarkeit der Umsetzung: Welche (digitalen) Fähigkeiten und Erfahrungen besitzt mein Unternehmen in der Entwicklung dieser Lösungen und welche Wettbewerbsvorteile kann ich entlang der Wertschöpfungskette ausnutzen?
  3. Wirtschaftlichkeit des Geschäftsmodells: Welchen Markt adressiere ich, wie sehen die erwarteten Umsätze und das Monetarisierungsmodell aus? Mit welchen Kosten muss ich im Rahmen der Skalierung rechnen?

Die nachfolgenden Texte aus der Praxis zeigen, dass es in der Branche bereits funktionierende Beispiele gibt, wie Unternehmen Daten als Wachstums-Enabler einsetzen und damit erfolgreich ihr Geschäftsmodell erweitern. Dies ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Viele Indust rieunternehmen stehen heute noch vor der Herausforderung, ihre Position zu finden und neue Umsatzquellen durch die Nutzung von Daten zu erschließen.

Die Autoren:

Grigori Bokeria ist Partner in der globalen Technology & Industrials Practice bei Simon-Kucher & Partners. Sein Schwerpunkt sind Wachstumsstrategien für Industrienternehmen.

 

 

 

 

Conrad Heider ist Leiter der Digital Practice bei Simon-Kucher und Managing Partner des Berliner Büros. Er berät Kunden zu digitaler Transformation und Wachstum durch Daten und Technologie.