ERP und Business Apps: Chancen und Risiken im Zeitalter von Cloud und KI

Cloud Computing ist eine der Grundlagentechnologien für die Digitalisierung. Dank ihr sind viele neue Anwendungen erst möglich. Welche das sind und worauf Unternehmen bei der Cloudtransformation achten sollten.

Der Weg der Digitalisierung führt unweigerlich in die Cloud. Denn Cloudlösungen sind die technologische Grundlage, um im digitalen Raum neue Geschäftsmodelle umzusetzen und etablierte Geschäftsprozesse digital zu unterstützen. Beides erfordert zunehmend den Umgang mit riesigen Datenmengen – und die lassen sich in einer Cloud deutlich besser speichern und verarbeiten als auf lokalen Servern. Diese Entwicklung verstärken die Technologien 5G und Edge Computing: Sie versetzen Cloudlösungen in die Lage, noch größere Datenmengen zu verarbeiten und Anwendungen in Echtzeit bereitzustellen.
Deshalb ist die Cloud immer wichtiger für die IT-Strategie von Unternehmen, die aus der Geschäftsstrategie abgeleitet werden muss. Cloud-basierte Lösungen werden künftig auch verstärkt eingesetzt werden, um Modelle künstlicher Intelligenz (KI) bzw. Machine-Learning(ML)-Modelle zu trainieren und Anwendungen mit KI-Funktionen bereitzustellen. Gerade für Letztgenanntes – die Bereitstellung von Apps – ist die Cloud sehr gut geeignet.

Jede:r kann Apps entwickeln

Dies wird unterstützt durch einen weiteren IT-Trend: das sogenannte Citizen-led Development. Dabei entwickeln Nicht-IT-Fachleute Apps, die sie und ihre Kolleg:innen nutzen, um beispielsweise Arbeitsprozesse zu optimieren. Indem sie ihre Mitarbeiter:innen darin einbeziehen, gewinnen Unternehmen an Flexibilität und Agilität. Und wenn die Beschäftigten eigene Apps entwickeln können – und dürfen –, motiviert sie das potenziell stärker, weil sie enger in die Entscheidungsprozesse im Unternehmen eingebunden sind.
Apps programmieren können Nicht-IT-Fachleute mit sogenannten Low-Code-Entwicklungsplattformen – ebenfalls ein wachsender Markt: Das US-Unternehmen Gartner, das Analysen der IT-Entwicklung anbietet, geht davon aus, dass Low-Code-Entwicklungstechnologien im Jahr 2023 weltweit um rund 20 Prozent wachsen werden; das Marktvolumen würde dann knapp 27 Milliarden US-Dollar betragen. Der größte Anteil davon entfällt auf Low-Code-Applikationsplattformen. Auf ihnen müssen die Entwickler:innen keine klassischen textbasierten Programmiersprachen wie Python oder C++ beherrschen. Stattdessen können sie Apps mit visuellen Werkzeugen konzipieren und umsetzen. Vorteil: Unternehmen können mit Low-Code-Plattformen schnell auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter:innen in den verschiedenen Fachabteilungen reagieren.

Beeindruckende Praxisresultate

Low-Code-Plattformen werden auch deswegen immer beliebter, weil IT-Fachkräfte schwer zu rekrutieren sind. Low-Code hilft in vielen Fällen, diese Lücke zu schließen. Wie dies gelingen kann, illustriert folgendes Beispiel aus der Unternehmenspraxis: Ein Automobilzulieferer stand, typisch für die Branche, unter erhöhtem Druck, sein Unternehmen weiter zu digitalisieren und
zu automatisieren. Wegen des genannten Mangels an IT-Fachkräften setzte das Unternehmen auf eine Low-Code-Plattform. Das System schien geeignet, um einige der älteren IT-Systeme, Tools und Services abzulösen.
Was war erforderlich, um die Low-Code-Plattform und die damit verbundenen Veränderungen erfolgreich im Unternehmen zu etablieren? Der erste Schritt war, ein schlüssiges Gesamtkonzept für das Citizen-led Development im Unternehmen zu entwickeln. Dazu gehörten ein geeignetes Target Operating Modell sowie eine geeignete Governance, konkret umgesetzt unter anderem mit dem Aufbau eines Center of Excellence. Ebenfalls sehr wichtig war es, die Low-Code-Initiative im Unternehmen mit geeigneten Kommunikationsmaßnahmen bekannt zu machen, die Belegschaft darüber zu informieren und eine unternehmensinterne Citizen-Developer-Community aufzubauen. Und mit verschiedenen Umsetzungsmaßnahmen, darunter Hackathons sowie App-in-a-day-Workshops mit Gewinnerzeremonie, gelang es schließlich, rasch erste greifbare Resultate zu erzielen.
Einige der wichtigsten Resultate waren eine deutliche Zeit- und Kostenersparnis durch automatisierte, effizientere Prozesse sowie ein insgesamt gestiegenes Automatisierungs- und Digitalisierungslevel. Low-Code-Anwendungen erfordern außerdem immer auch Prototyping – also die Entwicklung von vorläufigen, aber bereits grundsätzlich funktionierenden Versionen einer Anwendung. Der Vorteil: Es wird rasch sichtbar, ob Lösungen funktionieren oder nicht. Und wenn Mitarbeiter:innen dieses Vorgehen häufiger einsetzen, steigert dies potenziell die Innovationsfähigkeit des Unternehmens, ebenso aber die IT-Fähigkeiten der Beschäftigten. Citizen-led Development mit Low-Code bedeutet also immer auch ein Upskilling der Belegschaft.
In dem Unternehmen gelang es außerdem, innerhalb kurzer Zeit viele der von den Nicht-IT-Mitarbeiter:innen entwickelten Anwendungen in den unterschiedlichen Fachbereichen umzusetzen. Letztlich brachte die Low-Code-Plattform weitere Zeit- und Kostenvorteile. Denn dank ihr sank der Aufwand für die Systemwartung, und weil die Mitarbeiter:innen nun viele Lösungen selbst entwickeln (können), entfallen auch Lizenzgebühren für die Software von Drittanbietern. Perspektivisch lassen sich die Anwendungen noch stärker durch KI anreichern, indem das Unternehmen beispielsweise ChatGPT in Teams nutzt.

Erfolgreich in die Cloud – mit diesen drei Faktoren

Ob KI, Machine Learning oder Low-Code-Plattformen: Solche zeitgemäßen und chancenreichen Anwendungen können Unternehmen nur mit Mehrwert nutzen, wenn ihnen die Cloudtransformation gelingt. Die drei wichtigsten Erfolgsfaktoren sind:

1. Innovationen nutzen
Die Wartungszeiträume für ältere ERP-Systeme, etwa Navision oder SAP, laufen aus. Nutzen Unternehmen die Möglichkeiten von Cloudsoftware, entlastetet dies die Unternehmens-IT und Innovationen werden automatisch eingespielt. So kann sich die IT-Abteilung stärker auf strategische Themen wie Citizen-led Development konzentrieren und ist nicht so stark damit beschäftigt, das Tagesgeschäft am Laufen zu halten. Gleichzeitig sind, insbesondere unter dem inflationsbedingt erhöhten Kostendruck, die Kosten durch Pay-per-Use-Lizenzmodelle bei Public-Cloud-Software kalkulierbar und skalierbar.

2. IT-Sicherheit erhöhen
Ein weiterer wichtiger Faktor ist die IT-Sicherheit. Die Bedrohungslage durch Cyberangriffe ist derzeit so hoch wie nie zuvor, schreibt beispielsweise das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik in seinem aktuellen Bericht. Wirtschaftsunternehmen drohen besonders Angriffe durch Ransomware. Auch Schwachstellen auf offenen oder falsch konfigurierten Online-Servern stellen Risiken dar, ebenso wie Abhängigkeiten in der IT-Supply Chain. Opfern von Cyberattacken drohen hohe finanzielle Verluste und Reputationsschäden.
Solche Gefahren lassen sich verringern, indem Unternehmen auf größere Cloudanbieter setzen. Diese investieren deutlich mehr in die Sicherheit als kleinere Unternehmen und können in aller Regel schneller auf Cyberattacken reagieren. Folgerichtig ist es daher, dass die IT-Sicherheit künftig noch mehr als ohnehin schon zum Auswahlkriterium wird – Unternehmen werden verstärkt auf Anbieter und Cloud-basierte Lösungen setzen, die hohe Sicherheitsstandards erfüllen und ihre Daten gewissenhaft und zuverlässig schützen.

3. Komplexität managen
Schließlich geht es auch darum, die Komplexität, die mit den unterschiedlichen (Cloud-)Anwendungen einhergeht, erfolgreich zu managen. In der Praxis ist dies meist die Aufgabe von CFOs bzw. dem Programmmanagement. Erforderlich sind klare Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten, ausreichende personelle und finanzielle Ressourcen sowie eine klare Kommunikation der IT-Strategie durch die Führungsebene. Konkret geht es darum, Wartungskosten zu minimieren und darum, eine Balance zu finden aus neuen, fortschrittlichen Funktionen und dennoch schlanken Lösungen, nach dem Motto: „Keep the core clean“

Auch ERP-Systeme gehen mehr und mehr in die Cloud

Eine logische Konsequenz der Cloudtransformation ist es, dass auch ERP-Systeme zunehmend Cloud-basiert werden. Dabei geht es nicht allein um das Hosting, sondern um ein Software-as-a-Service-Modell (SaaS). Von Vorteil ist die mühelose Skalierbarkeit, auch die Kosten sind verlässlich planbar – unter der Voraussetzung, dass sich Unternehmen mit ihrem ERP-System weitgehend an den Standardprozessen des jeweiligen Anbieters orientieren. Vergleichen lässt sich SaaS mit dem Bezug einer vollmöblierten Wohnung in einem Mehrfamilienhaus mit umfangreichen Services, für die die „Vermieter“, also die Cloudanbieter, eine monatliche Miete mit Servicegebühr verlangen. Vom Unternehmen selbst installierte und betriebene Software entspricht hingegen dem Bau eines Architektenhauses mit individuellen Kundenwünschen.
Individuelle Anpassungen ziehen in der Regel hohe Kosten nach sich, die kritisch zu hinterfragen sind. Insofern ist es wichtig, den jeweiligen Anbieter gewissenhaft und möglichst passend zu den eigenen Bedürfnissen auszuwählen. Dabei sollte unterschieden werden zwischen
Standardprozessen wie im Accounting und solchen Prozessen, die für das Unternehmen marktdifferenzierend sind und einen hohen Anteil zur Wertschöpfung beitragen. Gerade dieses Verständnis und die Unterstützung aller Beteiligten sind essenziell für den Erfolg einer solchen Umstellung.
Fest steht: Die Nachfrage nach Cloud-basierten Lösungen steigt – und dies erhöht zwangsläufig den Wettbewerb zwischen den Anbietern. Es ist außerdem davon auszugehen, dass künftig neue Anbieter auf den Markt kommen werden, die spezifische Lösungen für bestimmte Branchen und/oder Anwendungen anbieten – eine spannende Entwicklung! Für Unternehmen bedeutet die zunehmende Cloudnutzung, dass sich Arbeitsprozesse weiter wandeln und beispielsweise noch mehr Anwendungen ortsunabhängig verfügbar sein werden. Dies hat unserer Ansicht nach das Potenzial, Unternehmen, ihre Geschäftsmodelle und vielleicht sogar ganze Branchen tiefgreifend zu verändern.
Mehr zu den unterschiedlichsten Aspekten rund um die Cloudtransformation erfahren Sie in diesem Special. Lesen Sie unter anderem, inwiefern Unternehmen von zeitgemäßen ERP-Systemen profitieren können und warum sie im Zuge der Cloudtransformation die Aspekte Sicherheit, Compliance und Data Governance beachten sollten.
Wir wünschen Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre!

Die Autoren:

Christian Bartmann, Herausgeber dieses Specials, ist Partner bei PwC Deutschland und Co-Head des PwC Center of Excellence für Process Intelligence. Als Teil des Führungsteams der internationalen Expertengruppe bei PwC ist er für Fragen rund um die Transformation der Finanzfunktion verantwortlich und einer der führenden Experten bzgl. transaktionaler Exzellenz für Geschäftsprozesse.

 

 

Jörg Botsch, Herausgeber dieses Specials, ist Partner bei PwC Deutschland, Leiter der IT Reliability & Compliance Practice und Teil des Cloud Transformation Center of Excellence. Er ist verantwortlich für Fragen rund um den zuverlässigen, resilienten und regelkonformen IT-Betrieb unter Einsatz von Cloud-Diensten sowie in hybriden Szenarien mit eigener IT-Infrastruktur.

 

 

Alexander Hartwig, Herausgeber dieses Specials, ist Partner bei PwC im Bereich SAP & Finance Transformation mit mehr als 16 Jahren Beratungserfahrung auf dem Gebiet von SAP-Transformationsprojekten. Er ist SAP S/4HANA Cloud (Public Edition) Leader bei PwC Deutschland und EMEA und verantwortet unter anderem die Kundenprojekte und Teamaktivitäten im Bereich SAP S/4HANA Public Cloud. Das internationale S/4HANA Cloud, Public Edition Team bei PwC fokussiert seit 2019 auf den deutschen sowie den internationalen Markt.

 

Jörg Waschkowitz, Herausgeber dieses Specials, ist Partner bei PwC im Bereich Advisory mit mehr als 18 Jahren Beratungserfahrung auf dem Gebiet der Finanztransformation. Er leitet bei PwC Deutschland die Workday Finance and Workday Adaptive Planning Practice und unterstützt seine Kunden bei ihrer IT enabled Business Transformation. Vor der Fokussierung auf Workday hat er umfangreiche ERP-Transformationsprojekte geleitet und Digitalisierungsthemen wie Hyperautomation und Robotic Process Automation vorangetrieben.

 

Mitautor:
Manuel Tietje, Director, PwC Deutschland