Erfolgreiche Transformation ist Business-getrieben

Viele Unternehmen stecken in komplexen Business- und Technologie-Transformationen. Oft erkennen sie, dass eine schlichte Digitalisierung alter Business-Prozesse durch neue IT nicht ausreicht, um nachhaltig wettbewerbsfähig zu sein. Tatsächlich gilt es, zunächst einen Schritt zurückzutreten und zu klären, wie das Unternehmen in Zukunft Werte schaffen wird. Daran lassen sich die Transformation und die zukünftige, ganzheitliche Enterprise-Architektur strategisch ausrichten.

Aktuelle Marktbewegungen in vielen Branchen führen zu einer tiefgreifenden Veränderung von Geschäftsmodellen und den sich daraus ergebenden Produkt-/ Serviceportfolios. Man denke nur an die vorgelagerten Industrien der verbrennungsbasierten Mobilität, aber auch bei Handel und Finanzdienstleistungen sorgen disruptive Technologien für viel Marktdynamik und Potential. Kein Wunder, dass knapp 40 Prozent aktuell befragter globaler CEOs angeben, ohne transformatorische Veränderung bliebe die aktuelle Grundlage des kommerziellen Erfolgs nur noch für maximal zehn Jahre bestehen (vgl. PwC’s 26th Annual Global CEO Survey, 2023).

Technologie ist der Schlüssel zu einer ganzheitlich strategischen Transformation

Sie werden auch in Zukunft durch eine strategische Weiterentwicklung von Technologien getrieben. Sie spielt auf gleich zweierlei Weise eine wichtige Rolle: als technologische Unterstützung wesentlicher Business-Prozesse und als immanenter Teil des Werteversprechens.
Knapp die Hälfte der befragten CEOs sehen daher Disruptionen wie neue technologische Lösungen, künstliche Intelligenz (KI), Metaverse oder Blockchain als Treiber der Business-Fähigkeit. 76 Prozent der Befragten investieren in die weitere Prozessautomatisierung und IT-Systeme, um das bestehende Geschäft abzusichern und sich auf die Zukunft vorzubereiten.

Abbildung 1: Transformation der Enterprise-Business- und IT-Architektur durch ein Business-getriebenes Transformationsprogramm

Transformation an einem Business-getriebenen Zielbild ausrichten

Wichtiger ist, dass die Veränderung nicht als Pflicht verstanden wird, sondern als Chance für eine ganzheitliche Transformation. Neben professionellem Transformations- und Change-Management benötigen die Unternehmen vor allem eine klare, Business-getriebene und integrierte Vision der Enterprise-Architektur.
Dieses ganzheitliche, strategische Zielbild für die Business- und IT-Architektur muss im Mittelpunkt der Transformation stehen. Wie der Nordstern für die maritime Navigation bietet es eine Orientierung für die inhaltliche Ausrichtung und für alle verbundenen Aktivitäten. Damit die Transformation gelingt, sind die folgenden Punkte zu beachten:

  • Wie schafft das Unternehmen in Zukunft Wert für seine Kunden? Nur die Antwort auf diese Frage kann die Grundlage für das zukünftige Geschäft sein. Dazu gehört auch, das Geschäftsmodell zu vereinfachen und nicht wertstiftende Komplexität zu reduzieren, beispielsweise im Produkt- und Serviceportfolio, in der Produktarchitektur oder den Vertriebskanälen.
  • Daraus wird ein ganzheitliches, strategisches Zielbild für die Business- und Technologiearchitektur abgeleitet. Dabei spielen eine Reihe von Aspekten eine Rolle, beispielsweise Business-Archetypen, differenzierende Business-Fähigkeiten, End-to-End-Prozesse, Cybersecurity, Integration in Ökosysteme, Flexibilität und Skalierbarkeit.
  • Die Entwicklung und Umsetzung eines solchen Zielbilds erfordert ein Transformationsprogramm, das primär die Business-Bereiche vorantreiben. Es wird aber gemeinsam und in enger Zusammenarbeit mit der IT und Technologieexperten durchgeführt.
  • Die Transformation wird an diesem Zielbild ausgerichtet und in der Regel in mehrere Wellen untergliedert. Diese sind in Hinblick auf geschäftlichen Wertbeitrag, technologische Belange und transformatorische Anforderungen zu optimieren.

Abbildung 2: Wesentliche Architekturebenen für End-to-End-Transformationen

Produktarchitektur ist ein wesentliches Element der Enterprise-Architektur

Folgt man Lehrbüchern und den am Markt etablierten Methoden, fokussiert die Enterprise-Architektur vorwiegend auf Prozesse, die dazugehörige Organisation sowie auf die IT und Technologie. Mit Digitalisierung, zunehmender Komplexität und Nutzenmaximierung muss dieses Verständnis erweitert werden: Die Produktarchitektur kommt als Basis der operativen Prozesse und als Erfolgsfaktor gegenüber dem Markt hinzu.
Einer der zentralen Bausteine der Unternehmensvision sollte die Wertschöpfung für den Kunden sein und kann direkt in das angebotene strategische Produktportfolio übersetzt werden. Um die Produkte effizient herstellen und effektiv vermarkten zu können, ist neben der Optimierung des Produktportfolios auch die zugrunde liegende Produktarchitektur entscheidend: neben den Kundenbedarfen müssen auch Anforderungen wie ESG, Dekarbonisierung oder Compliance berücksichtigt werden. Die Wertschöpfungskette über alle Bereiche im Unternehmen muss konsistent in der Business-getriebenen Architektur abgebildet werden.
Bei der Integration der Produkte in die Enterprise-Architektur können verschiedene Wirkungsfelder entstehen:

  1. Anpassung des Produktportfolios
  2. Reduktion der Produkt-Varianten und Komplexität
  3. Optimierung der operativen Prozesse, speziell Intralogistik und Produktion
  4. Unterstützung schlanker Prozesse durch IT und Technologie
  5. Strukturierung der Daten für Produkte und Prozesse

Wichtig bei der Umsetzung der Maßnahmen ist es vor allem, die richtige Dosierung zu wählen. In wenigen Fällen macht die Umsetzung aller Wirkungsfelder, über alle Produktgruppen und zeitgleich zur Gesamt-Transformation Sinn. Die aufgeführten Aspekte sind aber im Transformationsprogramm zwingend in der Enterprise-Architektur über das Design der Prozesse, Systeme und vor allem den Aufbau der künftigen Daten-Strukturen und Semantik zu berücksichtigen. Dadurch können die Potentiale später ohne größere Eingriffe und überwiegend über standardisierte Stammdaten-Mechanismen realisiert werden. Eine Verprobung in neuen Produkten (Greenfield) ist empfohlen, um die Synergien für die bestehende Produkt-Landschaft (Brownfield) einfacher zu heben.

Daten und Datenanalyse sind für die Zukunftssicherheit entscheidend

Informationen in Form von Daten sind als zunehmend tragendes Vehikel von Geschäftsmodellen und Betriebsmodellen für erfolgreiche und zukunftssichere Unternehmen entscheidend. Fähigkeiten wie KI, Datenanalyse und Internet of Things (IoT) lassen sich nur mit einem konsistenten und modernen Datenmodell verwirklichen, das die Business-Prozesse entlang der Wertschöpfungskette unterstützt. Eine Enterprise-Lösung wie das Configuration Lifecycle Management (CLM) kann zum Beispiel ihr volles Potenzial nur in einer Architektur entfalten, die ein integriertes Datenmodell ermöglicht.
Die Details sowie das „Warum“ der Business-Prozesse sowie deren Verankerung in der Organisation sind in einem Business-getriebenen Architekturansatz von besonderer Bedeutung. Das Product Change Management hat beispielsweise Überschneidungen mit den meisten Einheiten des Unternehmens. Im Design der Architektur ist es sinnvoll, solche Prozesse als Quick Wins zu priorisieren. Dadurch können viele Unternehmen frühzeitig alle Stakeholder in den Definitionsprozess einbinden, Abhängigkeiten identifizieren und gemeinsam die beste Lösung auf Basis von Industrie- und Technologiestandards erarbeiten.

Einheitliches Datenmodell hilft bei Reduktion der Produktkomplexität

Mit ihrem Einfluss auf die Business-getriebene Architektur spielt die Produktkomplexität eine weitere Schlüsselrolle. Einen Ansatz, um sie zu reduzieren und zu kontrollieren, bietet ein einheitliches Datenmodell, das Module und Komponenten des Produktes mit den Funktionen zusammenbringt. Die dabei entstehende Transparenz ist entscheidend für eine Produktarchitektur, die sich am Markt und am Geschäftsmodell orientiert. Sie muss sich auf der Ebene der Enterprise-Architektur auf die Businessprozesse sowie Daten-Architektur auswirken.
Die IT-Architektur mit schlankem Core sowie stark ausgestaltete und voll integrierte Systeme der Differenzierung bleiben bei optimalem Design über die Daten-Struktur von der Produktarchitektur entkoppelt und unterstützen durch Design-Flexibilität und Daten-Auswertungen bei permanenter Optimierung und Veränderung.
Um Daten optimal nutzen zu können, ist es wichtig, Geschäftsbereiche zu harmonisieren. Während eine Divisions-basierte Definition der Business-Prozesse nicht immer zielführend ist, stellt eine Business-getriebene Betrachtung die unterschiedlichen Geschäftsmodelle als Strukturierungselemente für die Enterprise-Architektur in den Fokus. So werden die Business-Perspektive und Strategie der gesamten Enterprise-Architektur harmonisiert und sich ergebende Implikationen für Prozesse und Technologien divisionsübergreifend abgeleitet.

Digitalisierung ist der wichtigste Treiber von Resilienz und ESG

Bedingt durch veränderte makro- und mikroökonomische Rahmenbedingungen rücken Resilienz und ESG als strategische Ziele in den Fokus. Als wichtigster Treiber dieser Ziele hat die Digitalisierung für CEOs an Priorität gewonnen (vgl. Global Digital Trusts Insight 2023). Neue Business-Modelle machen bestehende Prozesse komplexer und fordern ein kontinuierliches Streben nach Vernetzung mit Stakeholder-Ökosystemen wie Lieferanten und Kunden. Viele CEOs haben längst erkannt, dass diese Ziele nur mit einer robusten digitalen Strategie zu erreichen sind, die Daten zur Schlüsselkomponente macht (vgl. PwC CEO Survey 2023).

Das ERP-System steht im Mittelpunkt der Transformation

Aus technologischer Sicht spielt das ERP-System (Enterprise Resource Planning) eine Schlüsselrolle in der gesamtheitlichen Unternehmensarchitektur. Durch seine tiefe Integration in der Applikationslandschaft steht es als Architekturbaustein im Mittelpunkt der Transformation. Sie kann nur dann erfolgreich verlaufen, wenn es gelingt, die Ausprägung der Kern-Applikationen mit der Strategie fest zu verbinden. In produzierenden Unternehmen erweitern Product Lifecycle Management (PLM) und Manufacturing Excecution Systeme (MES) das zentrale Ökosystem, in dem Innovations- und Produktionsinformationen entlang der Wertschöpfungskette als intellektuelles Eigentum verwaltet und bewahrt werden. Dabei kristallisiert sich mehr und mehr heraus, dass Unternehmensdaten in drei Kategorien unterteilt werden können: Innovation treibende Daten (PLM), Kundendaten (CRM) und Daten für Planung, Produktion und Supply Chain (ERP, MES/MOM, SCM).

Unternehmen setzen zunehmend auf IT-Outsourcing, Cloud und SaaS

Unternehmen entscheiden sich immer mehr für ein Outsourcing ihrer IT-Infrastruktur (vgl. Global Digital Trusts Insight 2023). Zunehmend verbreitet sich als Betriebsmodell die Cloud-gehostete Unternehmenssoftware, wozu neben dem ERP-System immer öfter auch die Differenzierungssysteme wie PLM, MES/MOM oder SCM zählen (vgl. HBR Digitizing isn’t the same as digital Transformation 2022). Die Cloud bietet mehrere Vorteile: Unternehmen können dabei nicht nur die TCO und Nutzungskosten effizienter steuern, die sogenannte „SaaS-ifizierung” erlaubt es außerdem, bei Cybersecurity und Technologie immer auf dem neuesten  Stand zu sein (vgl. Global Digital Trusts Insight 2023). Auch wenn der Weg in die Cloud nicht ohne Hindernisse ist, überwiegen die Chancen. Unternehmen haben einen leichteren und schnelleren Zugang zu modernen Technologien und können sich mit den Technologie-Dienstleistern und -Champions effizienter synchronisieren. Die Entwicklung hin zu daten- und informationsgetriebenen und dadurch resilienten, nachhaltigen Unternehmen kann somit beschleunigt oder sogar erst ermöglicht werden.

Neuordnung der Datensemantik und der Datenarchitektur

Mit teils umfassenden Transformationsprogrammen und teils Einzelmaßnahmen arbeiten viele
Unternehmen daran, datengetrieben zu werden. Die Definition und Strukturierung der vier genannten Architekturebenen bieten dafür die Grundlage. Wurden die Prozesse aus Produktperspektive gestaltet, um daraus ein technologisches Zielbild und eine passende Organisation abzuleiten, existiert eine hervorragende Basis, um auch die Datensemantik und Datenarchitektur neu zu ordnen.
Im Mittelpunkt stehen dabei mehrere Aspekte: die Datenhoheit definieren, die Datenanlage und -speicherung redundanzfrei strukturieren und die Daten durch Vernetzung dort verfügbar machen, wo sie benötigt werden. Digitalen Champions gelingt das nicht nur innerhalb einer Betriebsstätte, sondern auch übergreifend. Dann können Smart-Factory-Anwendungsfälle, moderne Steuerungskonzepte für Finanz-Controlling und andere datengetriebene Prozesse wie ein Supply Chain Control Tower implementiert werden – auch ergänzt um Innovationen wie KI.
Darüber hinaus wird der Datenzugang auch im Hinblick auf externe Partner im Ökosystem der Organisation erweitert. Transparenz und Resilienz der Supply Chain leben vor allem vom Informationsaustausch entlang der Wertschöpfungskette. Das bezieht neben den unternehmensinternen Prozessen und Daten ausdrücklich Kunden, Lieferanten sowie weitere Datenquellen mit ein.

Abbildung 3: Strategische Enterprise Architektur unterstützt die Transformation zum datengetriebenen Unternehmen über alle Prozesse.

Jetzt Digitalisierungsschulden abbauen und Transformation beschleunigen

Das aktuelle disruptive wirtschaftliche Klima und Engpässe in Versorgungsketten und Produktion werden als Katalysator der digitalen Transformation dienen. Denn damit werden global neue Denk- und Handlungsweisen angestoßen. Unternehmen sollten die Chance nutzen, ihre „Digitalisierungsschulden“ abzubauen und ihre Transformationsprogramme zu beschleunigen. Kern ist nach wie vor das ERP-System, doch Unternehmen, die heute transformieren wollen, sollten auch die Transformation der Differenzierungssysteme (SRM, PLM, MES, CLM) in Betracht ziehen.
Produzierende Unternehmen können erfolgreich die neuen Herausforderungen meistern und zukunftssicherer werden, wenn sie diese klaren Ziele verfolgen:

  • Priorisierung der Differenzierungssysteme wie Supplier Relationship Management (SRM), Manufacturing Execution System (MES) oder Configuration Lifecycle Management (CLM) auf Basis des Geschäftsmodells und mit starker Integration in die Kernsysteme wie Enterprise Ressource Planning (ERP) und Product Lifecycle Management (PLM)
  • Harmonisierung der Business-Prozesse – mit klaren Verantwortlichkeiten in den Abteilungen über Prozess-Owner
  • Neuordnung von Unternehmensdaten als Schlüsselfaktor
  • Voraussetzungen schaffen, um die Potenziale von Betriebsdaten aus den Bereichen wie Entwicklung, Produktion, Einkauf, Planung, Logistik, Vertrieb und Services/Instandhaltung durch advanced Analytics zu heben und damit das Unternehmen resilienter zu machen (beispielsweise mit einem Supply Chain Control Tower)
  • IT-Infrastruktur und -Architektur als Unternehmensfunktion stärken, um diese Assets zu schützen (Cybersecurity) und aktuell zu halten (Cloud- und Supplier-Kollaboration)
  • Die Transformation als Chance nutzen, um das Unternehmen für Mitarbeiter nachhaltig attraktiv zu machen (moderne Technologie, moderne
    Prozesse und Arbeitsmethoden)

Für den Erfolg der Gesamttransformation zählt das Zusammenspiel aller Gewerke

Entscheidend für den Erfolg sind Zusammenspiel sowie Integration aller genannten Bereiche und Themen. Bildhaft gesprochen ist hierfür neben dem „Bauherren“ – dem Management sowie den Business- und IT-Vertretern – auch eine starke „Bauleitung“ nötig. Alle Gewerke werden miteinander entlang der Geschäftsstrategie abgestimmt und in eine Gesamtarchitektur integriert. So werden künftige Business-Fähigkeiten fokussiert. Ohne dieses gemeinsame Zielbild und Rahmenwerk ist keine nachhaltige und wertstiftende Transformation möglich – selbst wenn die Projektfassade auf den ersten Blick glänzend erscheint.

Der Autor:
Jens Fath, Herausgeber dieses Specials, ist Partner bei PwC Deutschland und verantwortet die Themen Smart Manufacturing und Business-led Enterprise Architektur innerhalb der Practice Group Operations Transformation. Business-getriebene Gesamttransformationen in produzierenden Unternehmen stehen in seinem Fokus.

 

 

Dieser Artikel wurde aufgrund der End2End-Betrachtung von Transformationsprogrammen gemeinsam mit dem folgenden Autorenteam verfasst:
Jochen-Thomas Morr, Partner im Bereich R&D bei PwC Deutschland.
Thomas Krüger, Partner im Bereich Operations bei PwC Deutschland.
Dr. Wael Chibani, Manager im Bereich R&D bei PwC Deutschland.
Jan Janetzko, Senior Associate im Bereich Smart Manufacturing bei PwC Deutschland.