Als größter Stromnetzbetreiber Deutschlands stellt die Energiewende E.ON vor große Herausforderungen, aber auch vor große Wachstumschancen. Der „Anschlussboom“ im Verteilnetz in Deutschland ist historisch einmalig. Seit 2020 hat sich die Anzahl der Anschlussanfragen bei E.ON fast verfünffacht. Konzernweit konnten 2023 mehr als eine halbe Million Neuanschlüsse an das E.ON-Verteilnetz realisiert werden. Das entspricht einem Anstieg um mehr als 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Erfahren Sie in diesem Artikel welche Bedeutung Enterprise Architecture und Digitalisierung in diesem Zusammenhang haben.
Angesichts dieser Größenordnungen wird deutlich, dass die Komplexität der Energiewende nicht allein durch den Zubau von Netzinfrastruktur gelöst werden kann, sondern vor allem durch eine digitalisierte und effiziente Netzsteuerung sowie durch eine flexible Steuerung von erneuerbaren Energie-Anlagen und Elektroautos.
Darüber hinaus verändert der Umbau des Energiesystems das grundlegende Konsumverhalten von Kunden und Erzeugern, die neue digitale Produkte zur Energieeffizienz und deren Vernetzung erwarten.
Enterprise Architecture Management (EAM) als Teil der Digitalisierung spielt eine zentrale Rolle, um die Herausforderungen der Energiewende effektiv zu bewältigen. E.ON setzt diese Methodik gezielt ein, um den Herausforderungen der Energiewende und Dekarbonisierung zu begegnen.
Eine gesamtheitliche Bebauungsplanung treibt die gezielte Modernisierung von Technologie und Applikationslandschaft voran, wodurch Kosteneffizienz und Prozeßoptimierung ermöglicht werden. Der Einsatz von Cloud Technologie lässt die Einbindung von Kundenanlagen in das Energiesystem und die Nutzung neuer Produkte, wie bi-direktionales Laden oder flexible Stromtarife, Realität werden lassen. Durch die stärkere Fokussierung auf Daten und deren effiziente Nutzung mittels AI wird die Digitalisierung und Automatisierung der Netzinfrastruktur vorangetrieben. Durch die Implementierung von digitalen Zwillingen können wesentliche Schritte der Infrastrukturplanung automatisiert werden. Dabei ist der umfassende Schutz der digitalen Landschaft und die laufende Optimierung der Cyber-Sicherheit Teil des ganzheitlichen Architekturansatz.
Der Wandel zu einer „All-Digital“ Company ist daher für E.ON die logische Konsequenz und wird damit ein wesentlicher Bestandteil der Geschäftsstrategie. Für den Vorstand von E.ON ist Enterprise Architecture Management zum Werkzeug geworden, die digitale Transformation erfolgreich zu gestalten.
Wie E.ON der Digitalisierung im Unternehmen einen neuen Stellenwert gibt
Kaum eine Branche in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren so stark verändert wie die Energiewirtschaft. Europa braucht eine intelligente Energieinfrastruktur für nachhaltige, sichere und bezahlbare Energie. E.ON hat darauf reagiert und das Unternehmen neu ausgerichtet. Mit einer klaren Strategie fokussiert sich E.ON auf drei klare Prioritäten: Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Wachstum. Als eines der entscheidenden, systemrelevanten Unternehmen in Europa, ist E.ON wie kein anderes europäisches Energieunternehmen imstande, die Dekarbonisierung unserer Gesellschaft maßgeblich mitzugestalten. Wir investieren massiv, um den stark wachsenden Bedarf an Energieinfrastruktur zu decken.
Der Tatsache, dass Entscheidungen zur Digitalisierung von fundamentaler Bedeutung für die Wertschöpfung und die langfristige Wettbewerbsfähigkeit des E.ON-Konzerns sind, wurde durch die Schaffung eines eigenen Vorstandsbereichs in die Tat umgesetzt. Dieser wird seit mehr als drei Jahren von Dr. Victoria Ossadnik geleitet. Damit werden nun richtungsweisende Architektur- und IT-Fragestellungen auf Vorstandsebene diskutiert und entschieden.
Modernisierung und Rationalisierung der Applikationslandschaft
In der Vergangenheit fokussierte sich die IT-Organisation darauf, Synergien zu schaffen und die Effizienz zu steigern. Eine Modernisierung der Anwendungslandschaft hatte dabei eine untergeordnete Priorität.
Dies hat sich im Rahmen der Digitalisierungsstrategie durch die Einführung der „Common Technology Platform“ (CTP) grundlegend geändert. Diese legt für den Konzern Referenzarchitekturen und Standards auf allen Ebenen der Wertschöpfung fest. Auf Basis dieser Referenzen entwickeln alle IT-Einheiten des Konzerns Zielarchitekturen und konkrete Pläne für die Modernisierung von Systemen und Applikationen. Ziel ist es, die IT-Landschaft der jeweiligen Geschäftsbereiche auf Kosteneffizienz, Agilität, Innovation und Resilienz auszurichten.
Besonderes Augenmerk legt E.ON auf die „Cloudifizierung“ der Applikationslandschaft. Innerhalb von zwei Jahren wurden alle Applikationen in die Cloud migriert und die 5 E.ON-eigenen Rechenzentren geschlossen. Obwohl nicht alle Applikationen für den Betrieb in der Cloud optimiert waren, konnten nach dem „Lift and Shift“ bereits Vorteile für die E.ON-Geschäftsbereiche in Bezug auf Verfügbarkeit, Flexibilität und Cyber-Resilienz erzielt werden. Im nächsten Schritt werden die Applikationen sukzessive mit Hilfe der verfügbaren Cloud Services optimiert.
Als Betreiber kritischer Infrastrukturen ist die Systemverfügbarkeit eine zentrale Kennzahl, an der sich die IT bei E.ON messen lässt. Verfügbarkeit und wesentliche Störungen der IT-Landschaft werden dem Vorstand in Quartalsreports erläutert. Dabei zeigte sich sehr schnell, dass der Betrieb in der Cloud durch das hohe Maß an Standardisierung und Automatisierung die Verfügbarkeit deutlich erhöht.
Die moderne Infrastruktur der Cloud Provider erhöht nicht nur die Verfügbarkeit, sondern verbessert auch die Cyber-Sicherheit, indem kritische Sicherheitslücken schneller geschlossen werden können oder direkt durch die Cloud Provider gelöst werden.
Automatisierung durch konsequente Standardisierung von Daten und Systemen
Aufgrund unterschiedlich ausgeprägter Regulierungen in den verschiedenen EU-Märkten ist das Geschäft von E.ON stark regionalisiert und wird von eigenständigen Konzerngesellschaften mit eigenen Prozessen und Systemen betrieben. Um die ambitionierten EU-Klimaziele einheitlich zu erreichen, müssen Prozesse übergreifend standardisiert werden, um den Umbau der Energiesysteme in der vorgegebenen Zeit bewältigen zu können. Eine Standardisierung der Prozesse ist jedoch nur durch eine Harmonisierung und Konsolidierung der dafür eingesetzten Anwendungssystemen und Daten möglich. Nur so können Digitalisierung und Automatisierung effizient umgesetzt und die notwendige Skalierung und Geschwindigkeit beim Netzausbau erreicht werden. Schlussendlich ist die Standardisierung auch die Voraussetzung für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI), die weiteren Möglichkeiten zur effizienten Digitalisierung bietet.
Zu diesem Zweck wurden bereits wesentliche Weichenstellungen in Bezug auf die Business Architektur und die gemeinsamen IT-Ziellandschaften auf Vorstandsebene diskutiert und beschlossen.
Dank dieser Entscheidungen konnten bereits erste digitale und KI-gestützte Lösungen umgesetzt werden. Ein Beispiel dafür ist der Einsatz eines Digitalen Zwillings: Mit seiner Hilfe können Anschlussanfragen, etwa für Photovoltaikanlagen oder Ladestationen im Niederspannungsnetz, wesentlich schneller ausgewertet und bearbeitet werden. Das ermöglicht es, Kundenanfragen in Echtzeit zu beantworten. Auch bei der konkreten Beauftragung eines Netzanschlusses verkürzt das Tool die Bearbeitungszeit von mehreren Tagen oder Wochen auf nur wenige Tage.
„Make or Buy“-Entscheidungen
Viele Jahre lang reichte es für E.ON aus, Software zu kaufen und die IT-Infrastruktur von externen Anbietern betreiben zu lassen, da IT im Energiemarkt kaum als Wettbewerbsvorteil diente. Doch inzwischen ist klar: Ohne konsequente Digitalisierung wird die Energiewende nicht gelingen. Deshalb ist es für E.ON strategisch wichtig, welche digitalen Lösungen zukünftig selbst entwickelt und betrieben werden, da sie neue Geschäftsfelder erschließen und Wettbewerbsvorteile schaffen können. E.ON setzt daher verstärkt auf die Entwicklung eigener Software und Produkte – entweder durch das eigene Software-Team oder durch den Zukauf von IT-Unternehmen.
Ein Beispiel dafür ist die XENON-Plattform von E.ON, die verschiedene dezentrale Energiequellen wie Wallboxen, Batterien oder Wärmepumpen miteinander vernetzt und überwacht. Dabei kommt eigens entwickelte Hardware zum Einsatz, die die Anlagen der Kunden mit E.ONs Home Energy Plattform in der Cloud verbindet, um diese individuell steuerbar zu machen.
Neben der Übernahme erfolgreicher Start-ups setzt E.ON auch beim Betrieb und der Entwicklung eigener Produkte Wert auf ein modernes Betriebsmodell. Derzeit stellt E.ON das IT-Betriebsmodell auf agile Produktteams um und baut wichtige Kernkompetenzen wie Software-Engineering deutlich aus. Dies betrifft nicht nur die Softwareentwicklung, sondern soll auch die Entscheidungsfindung in der Enterprise Architecture bis hin zur Vorstandsebene unterstützen.
IT- und Architekturkompetenz im Vorstand
Diese Beispiele zeigen, dass Enterprise Architecture und strategische IT-Entscheidungen auf C-Level-Ebene verstanden oder sogar getroffen werden müssen, damit die Potenziale der Digitalisierung vollumfänglich realisiert werden können. Nur so kann E.ON den steigenden Kundenanforderungen und dem globalen Wettbewerb erfolgreich begegnen. E.ON verfolgt dabei das klare Ziel, technologische Innovationen wie Künstliche Intelligenz frühzeitig zu adaptieren und strategisch zu integrieren, um die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.
Der Autor:
Markus Rink, Head of Technology and Engineering bei E.ON Digital Technology, ist verantwortlich für die Digitalstrategie, Enterprise Architektur und das Software-Engineering bei E.ON und hat in den letzten Jahren die digitale Transformation des Unternehmens maßgeblich mitgestaltet. Er arbeitet seit mehr als 20 Jahren bei E.ON und hatte dort verschiedene Führungspositionen in der IT und im Digitalbereich des Konzerns inne.