Energiekosten entscheiden, ob die Wasserstoffwirtschaft kommt

Als Reaktion auf die Energiekrise hat die Europäische Union mit der RePowerEU-Initiative die Ziele für die Wasserstoffökonomie deutlich angehoben. Um die entsprechenden Projekte realisieren zu können, braucht es vor allem drei Dinge: die Verfügbarkeit grüner Energie zu niedrigen Preisen, eine wasserstofffähige Infrastruktur und deutliche Verbesserungen bei den Investitionskosten. Falls Grünstrom in Deutschland zu teuer bleibt, helfen nur die Verlagerung der Wasserstoffproduktion und Pipelines.

Die bisherigen Hauptanwendungsgebiete von Wasserstoff lagen in der Chemieindustrie (Düngemittel/Ammoniak, Methanol) und im Raffineriebereich (z. B. Treibstoffentschwefelung). Inzwischen ist es breiter Konsens, dass das Marktpotential von Wasserstoff weitaus größer ist. Er kann als Energieträger (Brennstoff für Wärme und Mobilität), Energiespeicher für erneuerbare Energien oder zur Dekarbonisierung weiterer Industrieprozesse zum Einsatz kommen, z.B. in der Stahlerzeugung und zur Herstellung synthetischer Treibstoffe, sogenannter e-fuels. Blauer Wasserstoff (in Verbindung mit CO2-Abscheidung und -Einlagerung) oder grüner Wasserstoff (mit erneuerbaren Stromquellen elektrolytisch hergestellt) können den Weg zur dekarbonisierten Produktion und Energiebereitstellung in vielen Wirtschaftsbereichen ebnen.

Herausforderung Wasserstoff-Produktionskosten

Doch die Unternehmen in diesen neuen Anwendungsgebieten unterliegen internationalen Wettbewerbsbedingungen. Stark gestiegene Produktionskosten in Folge der Nutzung von teurem grünen oder blauen Wasserstoff können nur zum Teil über höhere Preise weitergegeben werden. Daher ist es zwingend notwendig, die Produktionskosten von Wasserstoff zu reduzieren. Im Falle des grünen Wasserstoffs ist der Strompreis der mit Abstand wichtigste Parameter in der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung.

Stromkosten entscheiden

Die Kosten für erneuerbare Energien sind auf einem Rekordniveau. Ihre Verfügbarkeit ist trotz aller bisherigen Bemühungen immer noch begrenzt. Mehr als 60 Prozent der Herstellungskosten für grünen Wasserstoff wurden bereits vor dem Ukraine-Krieg durch den Stromverbrauch definiert. Mit den deutlich gestiegenen Stromkosten liegt dieser Anteil heute noch einmal weit höher.
Ausgelöst durch die Ukraine-Krise sind die Strompreise für Industriekunden in Deutschland  rapide von fünf bis sieben Cent auf etwa 20 Cent pro kWh gestiegen. Unter diesen Umständen beläuft sich allein der Stromkostenanteil an den Herstellungskosten für Wasserstoff auf 10 Euro pro Kilogramm (kg). Das entspricht einer Vervierfachung des Stromkostenanteils, der heute zwischen 75 und 80 Prozent der Gesamtkosten von grünem Wasserstoff ausmacht. Es ist nicht möglich, einen solchen Kostensprung allein mithilfe reduzierter Investitionskosten zu kompensieren.

Einfluss der Investitionskosten gering

Selbst wenn wir annehmen, dass die Elektrolyse-Stack-Hersteller über die Automatisierung ihrer Produktion und die Anlagenbauer über System- und Anlagenkostenreduktionen in den nächsten Jahren Einsparungen von um die 40 Prozent realisieren können, ließe sich der Cap-Ex-Anteil an den Herstellkosten von grünem Wasserstoff lediglich von heute rund 2,70 Euro auf etwa 1,70 Euro pro kg reduzieren.
Angesichts der gegenwärtigen Kostenexplosion infolge von Lieferkettenengpässen ist dies eine durchaus ambitionierte Annahme. Und dennoch würde eine solche Ersparnis auf der CapEx-Seite bereits durch eine Strompreiserhöhung von lediglich 2 Cent je kWh zunichte gemacht. Die Stromkosten haben die deutlich größere Hebelwirkung bei der Wirtschaftlichkeit von grünem Wasserstoff.
Dieses Ungleichgewicht können weder die Hersteller von Elektrolyse-Systemen noch die jeweiligen Anlagenbauer kompensieren, auch wenn auf beiden Seiten erhebliche Anstrengungen unternommen werden, mit modernsten Produktionsmethoden und smarten Maßnahmen zur Kostendegression im Anlagenbau die CapEx-Kosten zu senken (siehe Grafik).

Strompreis entkoppeln oder Produktion verlagern

Um die Stromkosten zu senken und das beschriebene Ungleichgewicht zu entschärfen, bietet sich ein radikal beschleunigter Ausbau der Kapazitäten für erneuerbar erzeugten Strom an. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, den Strompreis für sogenannte Power-to-X-Anlagen vom allgemeinen Strommarkt zu entkoppeln. Sollte diese Maßnahme politisch nicht umsetzbar sein, bleibt nur die Option, die Elektrolyseanlagen dorthin zu verlagern, wo der Strom günstiger ist. Dafür wäre wiederum eine Anbindung der Erzeugungsstandorte an die Verbrauchsstandorte über ein Pipelinesystem erforderlich.

Kostengünstiger Transport mit vielen Vorteilen

Führende europäische Erdgasnetzbetreiber haben in ihrer gemeinsamen European-Hydrogen-Backbone-Initiative eine Studie vorgelegt, wie sich bis 2040 in 21 Ländern Europas ein Wasserstoff-Übertragungsnetz entwickeln lässt. Der Transportpreis würde dabei zwischen 11 und 21 Cent pro Kilogramm reinen Wasserstoffs und pro 1.000 Kilometer Strecke liegen. Ein solches Netz wäre die effizienteste und ökologischste Lösung, um Erzeuger und Verbraucher miteinander zu verbinden. Den Erzeugern von grünem Wasserstoff würden die Pipelines die nötige Flexibilität bieten, an den Orten zu produzieren, die nachhaltig erzeugten Strom zu günstigen Preisen und in den erforderlichen Mengen zur Verfügung stellen können. Gleichzeitig könnte blauer Wasserstoff aus Erdgas dort produziert werden, wo die CO2-Abtrennung und die Möglichkeit zur sicheren geologischen Speicherung (Sequestrierung) nahe beieinander liegen und regulatorisch möglich sind.
Zusätzlich bietet das Pipelinesystem auch die Chance, nachhaltig erzeugten Strom in Phasen eines Überangebots in Form von grünem Wasserstoff kostengünstig zu speichern. Geeignete unterirdische Kavernen können die Speicherkapazität noch einmal erweitern. Ein Netz mit erheblichem Grünstromanteil könnte so zuverlässig stabilisiert, das Abregeln von Öko-Strom-Anlagen und der damit verbundene volkswirtschaftliche Schaden vermieden und Energieimporte reduziert werden.

Die entscheidenden Hebel für die Kostendegression auf der Anlagenseite: Automatisierung und Modularisierung. 1

Pipelines als Rückgrat der Energiewende

Das staatenverbindende Wasserstoffgasnetz schafft in vielerlei Hinsicht die Voraussetzungen für eine kostenschonende Dekarbonisierung und eine beschleunigte Energiewende. Es ermöglicht eine echte Kopplung vieler wirtschaftlicher Sektoren, die für die erfolgreiche Energiewende als unverzichtbar betrachtet werden darf. Erste Teilabschnitte dieses Gasnetzes entstehen bereits. Der niederländische Fernleitungsnetz-Betreiber Gasunie zum Beispiel plant eine Versorgungsleitung, die Nordholland mit wichtigen Industrie-Clustern wie Hamburg, Salzgitter und dem Ruhrgebiet verbindet. RWE und OGE arbeiten zusammen mit Partnern an einer Verbindung zwischen Lingen in Niedersachsen und dem Ruhrgebiet. Solche Projekte sollten in beschleunigter Form mit den richtigen politischen und regulatorischen Maßnahmen ausgeweitet werden.

Preisparität zwischen Erdgas und Wasserstoff

Prozess- und Haushaltswärme wurde bislang zum überwiegenden Anteil mit Erdgas erzeugt. Es war nicht nur in großen Mengen verlässlich verfügbar, sondern obendrein auch preiswert. Entsprechend hoch war die Nachfrage. Deutschland besitzt eine über Jahrzehnte ausgebaute Übertragungs- und Verteilnetzinfrastruktur von rund 500.000 Kiometer Länge. Dieses Leitungssystem sicherte eine höchst effiziente Bereitstellung des gefragten Energieträgers. Erdgas wird allerdings dauerhaft teuer bleiben. Vor der Ukraine-Krise waren Industriekunden an einen Gaseinstandspreis von 6 Euro pro Million British Thermal Units (MMBTU) oder umgerechnet ca. 20 Euro pro MWh gewöhnt. In der Spitze der letzten Monate wurden mehr als 300 Euro pro MWh verlangt.

50 mal X
Für die elektrolytische Erzeugung von einem Kilogramm Wasserstoff wird im Schnitt 50 kWh Strom benötigt. Der Anteil der Stromkosten an den Gesamtkosten von grünem Wasserstoff beträgt heute zwischen 75 und 80 Prozent. Die Gesamtkosten lassen sich also mit der Formel „50 mal Stromkosten“ grob überschlagen. Wichtig ist hier: Selbst eine kleine Änderung bei den Stromkosten hat eine große Wirkung. Keine noch so wirksame Maßnahme bei den Investitionskosten kann einen solchen Sprung bei den Stromkosten kompensieren.

Wo sich der Gaspreis nach Aufbau neuer und verlässlicher Lieferketten einpendeln wird, ist offen. Allerdings wird genau dieses Preisniveau die Frage entscheiden, ob grüner Wasserstoff auch als Heizgas wirtschaftlich eingesetzt werden kann.
Nehmen wir an, der Gaspreis läge zukünftig um den Faktor 5 höher als vor der Ukraine-Krise, also rd. bei 100 EUR pro MWh. Dann dürfte der Strompreis 5 ct pro kWh nicht überschreiten, um zwischen Wasserstoff als Substitut und Erdgas wenigstens annähernd eine Preisparität erreichen zu können, die Transportkosten noch nicht eingerechnet. Solange der Strompreis an den Gaspreis gekoppelt ist, ist diese Art von Preisparität kaum möglich.

Blick von oben: Elektrolyse-Anlage von Linde in Leuna.

Der Gesetzgeber ist gefragt

An unterschiedlichen Stellen dieser Überlegungen wird klar, dass ohne den entschiedenen Willen der Politik und die entsprechenden regulatorischen Maßnahmen die Wasserstoffwirtschaft sich nur schwer in den ambitionierten Dimensionen von RePowerEU und der Nationalen Wasserstoffstrategie – geschweige denn als wirtschaftliches Substitut für den etablierten Energieträger Erdgas – entwickeln kann.
Für eine kostengünstige Erzeugung von grünem Wasserstoff könnte die temporäre Entkopplung des Strompreises neben einem radikal beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energiekapazitäten einen Beitrag leisten. Auch die von der EU vorgelegten Kriterien zum Strombezug für die Herstellung von grünem Wasserstoff müssen deutlich flexibler und einfacher gestaltet werden, um einen weiteren Kostenanstieg auf der Herstellerseite zu vermeiden. Die Schaffung einer dezidierten Wasserstoff-Infrastruktur, allem voran eines europäischen Pipeline-Netzes, würde eine wesentliche Grundlage bilden, um einen Handelsplatz für blauen und grünen Wasserstoff zu ermöglichen.
Es steht außer Frage, dass die Hersteller von Elektrolyse-Systemen und die Anlagenbauer ihren Teil zur Kostenparität beitragen müssen. Nur haben die Ingenieure in diesem Markt vorerst leider nur einen begrenzten Einfluss auf die Kosten. Die entscheidenden Hebel liegen in den Händen der Politik. Sie sollte sie möglichst rasch nutzen.

Die Autoren:

Michael Schaeffer, Vice President Hydrogen & Synthesis Gas, Linde Engineering

 

 

 

 

 

Andreas Rupieper, Managing Director ITM Linde Electrolysis GmbH