Einblicke in die agile Evolutionsreise von AXA Deutschland

Der Versicherungskonzern AXA Deutschland vollzieht derzeit die Transformation in eine agile Organisation. Mit einer Mischung aus individueller Evolution und gemeinschaftlicher Zielausrichtung hat er bereits einen wesentlichen Teil dieser Transformation erfolgreich gemeistert. Der aktuell stattfindende Konzernumbau in eine Tribe-Organisation ist der Lohn für einen frühzeitigen Aufbruch auf eine agile Evolutionsreise.

Als bei AXA Deutschland 2016 die ersten Teams in eine agile Arbeitsweise wechselten und kleine agile Gruppen, die „Squads“, bildeten, erkannten wir den Wert der richtigen Mischung aus Individualität und abgestimmter Kollaboration in diesen cross-funktionalen Teams. Dies ist bis heute der Schlüssel zu unserem Erfolg.
Bis 2020 war bereits die Mehrheit der IT-Teams nach agilen Prinzipien aufgestellt und handelte danach. In diesen Teams ging es bewusst dynamisch zu, dezentral und evolutionär. Teams, Führungskräfte und die zugehörigen Stakeholder wählten die Schritte und das Tempo in Richtung Agilität. Agile Master und Product Owners wurden bestimmt und agile Methoden eigenständig eingeführt – von simplen Kanban Boards bis hin zu disziplinierten Scrum-Abläufen. Die Pioniere sollten später zum Gestalter der Organisation werden.
Wo notwendig erhielten Teams auch mehr zeitlichen Spielraum für ihre Entwicklung. Wir verzichteten bewusst auf einen Masterplan zur synchronen Umstellung der Teams. Vielmehr bot uns unsere „Aligned Autonomy Guidance“ Unterstützung in verschiedenen Formen. Dahinter steht die Überzeugung, dass sich agile Reife unter anderem aus dem Team selbst heraus entwickeln muss, um Nachhaltigkeit in den Fähigkeiten und Überzeugungen der Teams abzusichern.
Sehr spannend war auch die darauffolgende Phase, die stark von der Ausrichtung der Organisation an der Unternehmensstrategie geprägt war und schließlich in die aktuelle Transformation mündete. Denn spätestens mit der Einführung des vierteljährlichen Big Room Plannings zur Allokation aller Projektressourcen gab es Handlungsbedarf in allen Teams. So mussten auch die später gestarteten Teams ihre Arbeitsweise an die übergreifenden agilen Rituale anpassen und Ressourcen in kürzeren Zeitfenstern dynamischer allokieren. In dieser Phase wurde die Agile Master Gilde gegründet, in der die agilen Master Erfahrungen austauschten und sich auf einheitliche Prinzipien verständigten.

Die Interne Revision als agiler Vorreiter

Es mutet exotisch an – doch wir haben als einen der ersten Bereiche die Interne Revision agil aufgestellt. Die Revision gilt traditionell als beständig und fremdbestimmt von regulatorischen Vorgaben – nicht gerade der optimale Nährboden für agile Transformation, sollte man meinen.
Der Schlüssel zum Erfolg lag vor allem darin, dass wir fachlich eine neue Sichtweise entwickelten und dadurch unsere Einsätze situativ koordiniert und gesteuert haben – in einer Form, dass die geforderte Risikorelevanz und Vollständigkeit hinsichtlich der zu prüfenden Felder dynamisch abgedeckt wurden. Die klassische Revisionsaufstellung nach Prüfungsfeldern brachten wir in die Chapter- und Squad-Struktur, die es für cross-funktionale Arbeit brauchte. Unsere Revisionsressourcen und -themen organisierten wir fortan über ein eigenes „Small Room Planning“.
Die neue Organisationsweise brachte große Vorteile: Sie ermöglichte eine höhere Prüffrequenz sowie eine bedarfs- bzw. risikoorientierte Allokation unserer Kapazitäten. Dies ist insbesondere in sich schnell entwickelnden Themen wie z.B. der IT-Sicherheit wichtig, wo die Kapazitäten nach klassischer Arbeitsweise lediglich einen Drei-Jahres-Prüfungszyklus erlaubten. Die klar am Outcome orientierte Arbeitsweise führte überdies zu deutlich mehr Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Revisionsarbeit bei den geprüften Fachbereichen, was wiederum die Akzeptanz und damit den Wirkungsgrad der Internen Revision deutlich steigerte.
Ursprünglich galt die Revision als der Teil des Unternehmens, in dem die wenigsten eine agile Transformation erwartet hätten. Die Erfolge in ausgerechnet diesem Bereich hatten den besonderen Nebeneffekt, dass sie die generelle Akzeptanz agiler Arbeitsweise unternehmensweit steigerte – getreu dem Motto: „Wenn selbst die Interne Revision agil wird, dann ist das überall möglich”.

Stand nach sechs Jahren agiler Transformation

Nach gut sechs Jahren sukzessiver Transformation werden aktuell alle im Change-Umfeld tätigen IT-Teams Bestandteil eines Tribes, das heißt einer Gruppe, in der mehrere Squads zu einem übergeordneten Team zusammengefasst sind. Konkret sind circa 1.600 Menschen in 15 Tribes organisiert, die jeweils zu etwa einem Drittel aus IT- und zu zwei Dritteln aus Fachkolleginnen und -kollegen bestehen.
Auch wenn es gemeinsame Designvorgaben für diese Tribes gibt, so wurde auch hierbei der Spielraum zur individuellen Adaption der Agilität gegeben. So erlaubt das Tribe-Design neben Squad- und Chapter-Strukturen auch die Integration von Centers of Excellence, die eher klassischere Arbeitsweisen nutzen. Manche Tribes beinhalten bereits sehr cross-funktional gestaltete Squads, während andere sich aus reinen IT- und Fachbereichs-Squads zusammensetzen. Allen gemeinsam ist dabei die durchgängige Betreuung durch Agile Master sowie durch eine Tribe-Führung, die aus einem Tribe Lead aus dem Fachbereich, einem IT Area Lead sowie einem Tribe Agile Master besteht. Letzterer hat insbesondere die Aufgabe, das Zusammenspiel tribe-übergreifend zu sichern und weiterzuentwickeln.

Zentrale methodische Unterstützung

Um die passende zentrale Unterstützung zu gewährleisten und alle Teams in ihrer Entwicklung zu begleiten, gilt es den evolutionären Fortschritt zu beobachten und zu verstehen. Wir haben sehr lange ohne einen zentralen Roll-out-Plan gearbeitet. Daher ist es hier wichtig, eine Coaching- und keine Top-down-Philosophie zu ermöglichen.
Aus zentraler Sicht sehen wir zum einen auf die agile Aufbauorganisation: den Product Owner aus dem jeweiligen Fachbereich, einen Agile Master aus der Agile Master Area sowie den Chapter Lead als disziplinarischen Vorgesetzten je Berufsgruppe. Zum anderen nehmen wir die Ablauforganisation in den Blick, in der diese drei Personen zusammen mit Experten die Squads ergeben, die wiederum einen Tribe bilden.
Der Schlüssel für unsere erfolgreiche agile Evolutionsreise war und ist die Cross-Funktionalität – also das Zusammenspiel ungleicher Parteien. Dies funktioniert durch Offenheit für die unterschiedlichen Sichtweisen und dadurch, dass an den relevanten Prozessabschnitten Einigkeit über das Zusammenspiel herrscht. Das wiederum gründet auf zwei wesentlichen Einflussfaktoren: Zum einen respektieren wir die Individualität und insbesondere das individuelle Tempo in den Teams. Zum anderen achten wir gemeinsame Prinzipien in der Zusammenarbeit, die sich an relevanten Aspekten von Prozessen und agilen Ritualen zeigen.
Die Phase der „Aligned Autonomy“ mit ihrem offenen Ansatz brachte uns vor allem die Pioniere unserer Transformation, die mutig in unbekanntes Land vorgestoßen sind und wertvolle Erfahrungen für die ganze Organisation sammelten. Unsere Transformation zu „Agile at Scale“ bietet nun den Vorteil, dass wir die Stärken der Agilität wie Adaptionsfähigkeit, Ergebnisorientierung und Geschwindigkeit jenseits der Teamebene gemeinsam im Konzern in einem ungekannten Maßstab für uns nutzen können.

Der Autor:
Marco Becker, Executive Director IT Governance, Enablement & Operations, ist seit 2009 für die AXA Konzern AG in Deutschland tätig. Zu seinen Stationen zählten Finanzfunktionen wie das Risiko-Management sowie verschiedene Controlling-Abteilungsleitungen. 2016 übernahm er die Leitung der Internen Revision, die in seiner Zeit agil aufgestellt wurde. Seit 2019 leitet er den Bereich IT Governance, Enablement & Operations mit inzwischen rund 300 Mitarbeitenden.