Wir blicken in das Jahr 2026: Das Unternehmen aus dem produzierenden Gewerbe hat zwei schwere Jahre hinter sich: Märkte und Kunden wandelten sich rapide, Zu- und Verkäufe brachten viel Disruption und die IT hinkte hinterher. Aber die schwierigen Jahre wurden für eine vollständige Digitalisierung genutzt. In Entwicklung, Marketing, Vertrieb und Service arbeiten die Teams jetzt nahtlos zusammen und passen sich Marktveränderungen flexibel an. Die Einführung einer Enterprise Architektur (EA) spielte dabei eine entscheidende Rolle, da nur mit ihr Business und IT nahtlos verbunden werden konnten. Dies half bei der Anpassung der Unternehmensstrategie und trug so entscheidend zur Digitalisierung bei. In diesem Special zeigen wir anhand von Best Practices, Trends und Praxisbeispielen, wie Sie Ihr Unternehmen mit EA so vorbereiten, dass Sie bis 2026 Agilität steigern, Kosten senken und die Integration von Business und IT verbessern können.
Was leistet Enterprise Architektur?
Enterprise Architektur (EA) ist ein strategischer Ansatz zur Analyse und Gestaltung der Struktur und Prozesse eines Unternehmens. Sie verbindet Geschäftsstrategie, Informationstechnologie und organisatorische Abläufe und schafft Transparenz über Prozesse und Informationsflüsse. Der Nutzen von EA liegt in der verbesserten Entscheidungsfindung, schnellerer Anpassung an Marktveränderungen und Kostensenkung durch optimierten Ressourceneinsatz. EA fördert Innovationen und stärkt die Wettbewerbsfähigkeit sowie die langfristige strategische Ausrichtung eines Unternehmens. Eine „EA-Roadmap“ hilft dabei, künftige Entwicklungen besser zu planen und umzusetzen. Ähnlich einer Landkarte liefert sie „Navigationshinweise“ für die zielgerichtete Gestaltung von Unternehmensabläufen und konkret umsetzbare Handlungsempfehlungen.
Architekturkompetenz in der Organisation verankern
Innovative Unternehmen verteilen Architekturkompetenz über die gesamte Organisation und schaffen so ein starkes Netzwerk für kurz- und langfristige Maßnahmen. Traditionell haben sich Enterprise Architekten oft aus technischen Lösungsarchitekten entwickelt. Angesichts der zunehmenden Komplexität von IT-Landschaften und deren Verzahnung mit Geschäftsprozessen müssen Enterprise Architekten heute auch strategische und fachbereichsspezifische Aufgaben übernehmen. Besondere Bedeutung kommt dabei der Rolle des „Chief Architekten“ zu. Dieser agiert als „Primus inter Pares“ innerhalb des Architektenteams und plant die Architektur des gesamten Unternehmens bzw. eines großen Bereichs. Erste Unternehmen haben das Potenzial erkannt und positionieren den Chief Architekten parallel zum CIO oder in der Strategieabteilung. Spezielle Ausbildungsformate wie „Chief Architekten Labs“ oder Architektur-Bootcamps erhöhen die Produktivität und Qualität.
Herausforderungen bei der Erfolgsmessung
EA-Aktivitäten sollten immer auch messbar gemacht werden. Beispiel für Messgrößen (KPIs) sind: realisierte Kosteneinsparungspotenziale, Anzahl von Projekten ohne Architekten, Wiederverwendungsgrad von Architektur-Assets, Zahl an abteilungsübergreifenden Anwendungen, Anzahl und Qualifikation von IT-Architekten und EA-Reifegrad im Vergleich zum Branchen-Benchmark. Der EA-Reifegrad variiert im deutschsprachigen Raum stark. Während digitalisierungsfokussierte Unternehmen (z.B. Automobilhersteller, Energieversorger und Logistikunternehmen) stark auf EA setzen, ist EA in digital weniger entwickelten Branchen wie dem öffentlichen Sektor und dem Handel noch unterrepräsentiert. Dabei können Unternehmen und Institutionen aller Branchen von EA profitieren, wenn sie es als strategisches Instrument einsetzen, das weit über IT-Unterstützung hinausgeht.
Agilität und langfristige Planung in Einklang bringen
Während früher langfristige IT-Planungen Standard waren, werden heute Projektvorhaben viel iterativer und agiler umgesetzt. Diese Entwicklung stellt Architekten vor die Herausforderung, das „große Ganze“ im Blick zu behalten und gleichzeitig kurzfristig Ergebnisse liefern zu müssen. Genau hier liegt eine wesentliche Stärke einer EA, die es erlaubt, das Zusammenspiel zwischen agilen Teams und dem übergeordneten EA-Management über eine geeignete Governance zu steuern und mit passenden EA-Tools zu begleiten.
Nutzenpotenziale von EA mit modernen Tools ausschöpfen
Moderne EA-Tools liefern zusammen mit Unternehmensfähigkeiten („Capabilities“) eine umfassende Transparenz über die IT-Landschaft, identifizieren Gestaltungspotenziale und helfen, die gesamte IT über (KI-generierte) Roadmaps besser in die Unternehmensprozesse zu integrieren. Damit können Risikoabschätzungen über umfangreiche Projekte – wie z. B. große SAP-Transformationen oder M&A Aktivitäten – präziser getroffen werden. EA bietet dadurch eine End-to-End-Sicht auf alle relevanten Komponenten (IT und Business) und erzeugt eine Transparenz, die häufig durch fest verankerte Silos im Unternehmen verdeckt wird. Damit wird ein Gestaltungsspielraum geschaffen, der sonst nur durch aufwändige Reorganisationsmaßnahmen erreicht werden kann. Beispielsweise können Cloud-Aktivitäten, die oftmals unkoordiniert stattfinden, über solche Werkzeuge wesentlich effektiver realisiert werden.
Quelle: Deloitte
Handlungsempfehlungen für eine erfolgreiche Implementierung von EA
Aus zahlreichen Projekten zur Einführung und Weiterentwicklung von Enterprise Architektur (EA) haben sich einige wesentliche Handlungsempfehlungen herauskristallisiert:
1. EA ist „Chefsache“ und Teil der Unternehmensstrategie:
Der klassische Ansatz, EA in der IT zu verankern, ist überholt. EA sollte aus Sicht des CxO oder des Geschäftsbereiches gestaltet werden und in den jeweiligen Geschäftsbereichsstrategien oder vorstandsnah verankert sein. Nur so kann eine Digitalisierungsstrategie ganzheitlich geplant und umgesetzt werden. Anschließend erst wird das Zusammenspiel mit der IT festgelegt.
Tipp: Legen Sie Key Stakeholder fest und binden Sie diese Gruppe regelmäßig ein, um kurz- und langfristige Ziele gemeinsam zu reflektieren. Integrieren Sie EA-Ziele in die jährliche Strategieplanung der Geschäftsbereiche.
2. EA schnell, schlank und iterativ umsetzen:
Gehen Sie iterativ vor: Definieren Sie, was Sie mit EA erreichen wollen, bis wann und mit welchem Aufwand. Ermitteln Sie den Status Quo (Reifegrad über Prozesse, Organisation,
Business, Capabilities) und erstellen Sie ein kompaktes EA-Framework, das als Leitmotiv alle Aktionen abdeckt.
Tipp: Nutzen Sie agile Architektur-Methoden und planen Sie Ihre Aktivitäten in monatlichen Sprints.
3. EA als „Spinne im Netz“ verstehen:
EA übersetzt zwischen Business und IT. Nutzen Sie es, um Silos aufzubrechen und Wertschöpfungsketten im Hinblick auf Prozesse, Capabilities und IT-Assets zu optimieren. Entscheidend ist es, den richtigen Freiheitsgrad zwischen zentralen Vorgaben und dezentraler Flexibilität zu finden.
Tipp: Definieren Sie übergreifende Guidelines (z. B für Cloud-Strategien), während Teams individuelle Präferenzen eigenständig festlegen können.
4. Verankerung im Management:
Enterprise Architektur muss im Management „gelebt“ werden. Führungskräfte sollten die EA-Gestaltungsprinzipien kennen und in ihre Arbeit integrieren. Dies kann über spezielle Trainings initial verankert werden und bedarf danach einer kontinuierlichen Governance. Tipp: Führen Sie regelmäßige Schulungen und Workshops für Führungskräfte durch, um die Prinzipien von EA zu vermitteln.
5. Einsatz von IT-Werkzeugen:
Bei der Einführung von EA sollte immer auch ein IT-Werkzeug genutzt werden. Die Komplexität steigt exponentiell mit der Anzahl an Anwendungen, Prozessen, Daten und Akteuren. Leistungsfähige KI-gestützte Werkzeuge können hier unterstützen.
Tipp: EA-Werkzeuge können innerhalb von Wochen nutzbar gemacht werden und lassen sich mit wenig Aufwand an vorhandene Daten-quellen anschließen.
6. Quantifizierung des EA-Erfolgs von Anfang an:
KPI-Frameworks erlauben es, EA im Spannungsfeld zwischen „Optimierung“ und „Innovation“ richtig zu steuern. Dadurch können viele Fragen hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit von EA von Anfang an adressiert werden.
Tipp: Entwickeln Sie ein Dashboard mit KPIs wie Kostenreduktion, Prozessoptimierung und Innovationsrate.
7. Klar definierte Governance:
Die Zusammenarbeit in einer virtuellen, übergreifenden und agilen Organisation kann nur dann erfolgreich sein, wenn eine dedizierte EA-Governance eingeführt und kontinuierlich angepasst wird. Diese umfasst Regeln für die Zusammenarbeit und Entscheidungsfindung, egt die Kommunikation fest und integriert EA in alle relevanten Entscheidungs- und Gestaltungsprozesse.
Tipp: Etablieren Sie ein Governance-Board, das regelmäßig die Einhaltung der EA-Prinzipien überprüft und Anpassungen vornimmt.
Fazit
Richtig eingeführt ist Enterprise Architektur ein unentbehrliches Mittel, um die steigende Komplexität von Unternehmenslandschaften erfolgreich zu managen. Unternehmen, die EA strategisch nutzen, gewinnen an Agilität, Innovationskraft und Effizienz, wie die folgenden Beispiele in eindrücklicher Weise zeigen.
Die Autoren:
Dr. Volker Barent ist Wirtschaftsinformatiker und leitet den Bereich Architektur bei Deloitte. Er ist Experte für Enterprise Architecture, Cloud, Software-Architektur sowie IT-Strategie und Digitalisierung. Als Engagement Partner verantwortet er große Transformationsprojekte in der Automobil- und Energiebranche sowie im öffentlichen Sektor.
Jochen Fauser ist Informatiker und Lead Alliance Partner für ServiceNow bei Deloitte und verantwortet Geschäftsbeziehungen zu weltweit führenden Unternehmen. Er berät Mandanten bei technologiegetriebenen Businesstransformationen von der Strategie bis zur Umsetzung, indem er Branchenwissen mit modernen Technologietrends kombiniert.