E-S, was…?

Eine ESG-Strategie bietet Chancen für Innovation, nachhaltiges Wachstum und mehr Wettbewerbsfähigkeit. Aber Achtung: Diese fünf Fehler sollten Unternehmen bei der Implementierung unbedingt vermeiden.

Ich verrate kein Geheimnis: Viele Unternehmen in Deutschland, auch junge, dynamische, tun sich immer noch schwer, wenn es darum geht, sich auf neues, unbekanntes Terrain zu begeben. Manchmal ist es die Angst vor Veränderung oder schlicht ein zu einseitiger Fokus auf das, wofür Unternehmen in der Vergangenheit hauptsächlich gegründet wurden: Umsatz machen, wachsen, Gewinne maximieren.
Es ist ein Glück, dass die meisten Unternehmerinnen und Unternehmer in Deutschland begriffen haben, dass es kurz-, mittel,- und langfristig Sinn macht, Verantwortung für Umwelt, Soziales und eine gute Unternehmensführung zu übernehmen.
Selbst wenn dieses Engagement nicht immer auf tieferen, moralischen Einsichten basieren sollte, helfen Gesetze und eine kritische Öffentlichkeit auch langjährigen Skeptikern auf die Sprünge. So wird ESG, sprich: Environmental, Social, Governance, immer mehr zu einem unverzichtbaren und selbstverständlichen Teil unseres Wirtschaftslebens.

Fallstricke, Fettnäpfchen, offene Fragen

Doch wo sich die Dinge dynamisch entwickeln, gibt es auch Verunsicherung und Fragezeichen.  Erst Anfang Juli sorgte das EU-Parlament für eine Überraschung mit der Entscheidung, Gas und Kernkraft in die sogenannte Taxonomie-Verordnung aufzunehmen. Taxonomie ist ein wesentliches Instrument, mit dem Milliardeninvestitionen in grüne Energien angekurbelt  werden sollen. Gas und Kernkraft als Klimaretter? Schon in dieser Frage zeigt sich: Wer sich mit Umwelt- und Klimaschutz befasst, darf keine Angst vor Kontroversen oder Widersprüchen haben.
Was heißt das für die Wirtschaft? Was, wenn ein Unternehmen noch wenig Berührungspunkte mit dem Thema ESG aufzuweisen hat? Zum Beispiel, weil es so rasant gewachsen ist, dass es sich mit seiner neuen Größe plötzlich neuen Anforderungen von Gesetzgebern, Investoren, Kunden und Öffentlichkeit konfrontiert sieht?
Hier lauern Fallstricke, Fettnäpfchen und Umwege, gerade dann, wenn man immer noch glaubt, man könne sich beim Thema ESG mit Absichtserklärungen, hübschen Bildchen und einem Nachhaltigkeitsbericht auf holzfreiem Papier aus der Affäre ziehen. Wer Zeit und Geld sparen sowie die eigenen Nerven bei der Implementierung einer ESG-Strategie schonen möchte, dem empfehle ich dringend, die folgenden fünf besonders beliebten Fehler zu vermeiden:

Fehler 1: ESG und geschäftlichen Erfolg gegeneinander ausspielen

Eine tragfähige ESG-Strategie gibt es nicht zum Nulltarif. Sie erfordert Zeit, Geld und personelle Ressourcen. Gleichzeitig kann ein klarer ESG-Fahrplan dafür sorgen, Prozesse zu optimieren, die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens insgesamt und den Umsatz zu steigern sowie Kosten zu senken.

Fehler 2: Stellenwert von ESG falsch einschätzen

Wer ESG mit Esoterischem-Softie-Gedöns übersetzt, mag damit am Dinosaurier-Stammtisch begeisterte Zuhörer finden. Für alle anderen ist aber klar, dass wir bei ESG nicht mehr über einen kurzfristigen Marketingtrend, sondern über langfristige und gesetzlich geregelte Verpflichtungen für Unternehmen sprechen. Sich hier frühzeitig und mit Nachdruck als Unternehmen zu positionieren, stärkt nicht nur die Reputation, sondern es hilft dabei, sich und seine Prozesse zukunftssicher aufzustellen und Kunden eine Alternative zu bieten.

Fehler 3: Zuständigkeiten einseitig vergeben

Unternehmen, die das Thema ESG kurzentschlossen an denjenigen vergeben, der nicht schnell genug weglaufen kann, übersehen, dass die Entwicklung und Implementierung einer ESG-Strategie tiefgreifende Veränderung für das Unternehmen nach sich ziehen. Darum muss ESG Chefsache und Teamarbeit sein und sollte grundsätzlich im (erweiterten) Top-Management getrieben und im gesamten Unternehmen verankert werden.
Wie ist die Situation bei AUTODOC? Als das Unternehmen 2008 von Max Wegner, Alexej Erdle und Vitalij Kungel gegründet und innerhalb von 14 Jahren zu Europas führendem E-Commerce-Unternehmen für Autoersatzteile mit einem jährlichen Umsatz von über einer Milliarde Euro heranwuchs, spielte ESG keine hervorstechende Rolle. Erstaunlich in der Rückschau ist jedoch, dass das Geschäftsmodell auf einem Prinzip basiert, das man auf Gründer-Panels heute als Circular Economy beklatschen würde. Also: Einem Prinzip, welches darauf setzt, Ressourcen zu schonen und den Lebenskreislauf von Vorhandenem (in unserem Fall Autos) durch Reparatur und den Einbau von bezahlbaren Ersatzteilen zu verlängern. Wir bei AUTODOC könnten es uns einfach machen:
„Wir verhindern, dass Autos frühzeitig auf dem Schrottplatz landen und leisten damit einen wichtigen Beitrag für den sparsamen Umgang mit Ressourcen. Hiermit wären wir bei Fehler Nummer 4.

Fehler 4: Impact herbeireden, anstatt echte Veränderung zu wagen

Die Versuchung ist groß, sich beim Thema ESG an den wahren Themen vorbeizudefinieren. Darum kommt es darauf an, sich nicht vorschnell auf naheliegende Gewissheiten zu verständigen, sondern die Überlegungen auf sämtliche Unternehmensbereiche auszuweiten: Wie kann der Logistikprozess im Sinne einer CO2-Reduktion optimiert werden? Wie und wo lässt sich Müll durch zeitgemäßes Packaging reduzieren? Wie können Büros im Sinne von niedrigen Verbräuchen bis hin zu Emissionsfreiheit ausgestattet werden? Es wird deutlich: Eine tragfähige ESG-Strategie steht am Ende des Prozesses, nicht an ihrem Beginn.

Fehler 5: Sich bei ESG einseitig auf E konzentrieren.

In Zeiten von Klimawandel und Energieknappheit ist es richtig, das Thema E (Environment) in besonderer Weise zu gewichten. Doch dabei sollten die Bereiche Social und Governance nicht aus dem Blickfeld geraten. Bei AUTODOC war das Thema Governance der Ausgangspunkt der ESG-Überlegungen: Hierbei spielte die Entwicklung eines konzernweit gültigen Code of Conduct eine zentrale Rolle. Der Code of Conduct regelt, wer und wie wir sein wollen und wie wir unsere Zusammenarbeit innerhalb des Unternehmens sowie mit unseren Kunden und Geschäftspartnern gestalten. Der Code gibt damit die Leitlinien vor und definiert unsere Rolle als Unternehmen auch in Richtung Umwelt und Gesellschaft.

Fazit:

Jedes Unternehmen muss eigene Antworten bei der Entwicklung einer ESG-Strategie finden. Wer diesen Weg als lästige Pflichterfüllung oder Reputations-Politur begreift, verpasst das Beste und verspielt die Chancen für nachhaltiges Wachstum und Innovation.

Der Autor:
Christian Gisy (55) ist CEO der AUTODOC AG. Vor seinem Engagement für Europas größte E-Commerce-Plattform für Autoersatzteile war er unter anderem für die Scout24 AG, die Kinokette Cinemaxx und den Fernsehsender Viva Media AG tätig.