Digitalkompetenz auf der Führungsebene: Der CIO als Zukunftsmacher

Die Digitalisierung ist eines der zentralen Themen unserer Zeit. Für viele Unternehmen ist die Transformation ihres Geschäftsmodells entscheidend, um mittel- und langfristig im Wettbewerb bestehen zu können. Um die betriebliche Organisation zukunftsfähig zu machen und gleichzeitig unternehmerische und gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, gilt es, Technologie, Unternehmenskultur und Business in Einklang zu bringen und die Transformationsreise gezielt zu steuern. Digitales Know-how auf der obersten Führungsebene ist dafür entscheidend.

Digitalisierung jenseits des Selbstzwecks

„Wo fangen wir an?“ – insbesondere Unternehmen, die noch am Beginn ihres digitalen Wandels stehen, sind häufig von dieser Frage überwältigt. Die Pandemie hat der Digitalisierung zwar einen Schub verliehen, für viele Unternehmen jedoch den Fokus ihrer Transformationsvorhaben verschoben. Vielfach konzentrieren sie sich noch heute insbesondere auf infrastrukturelle Fragestellungen, wie die Ausstattung der Mitarbeiter*innen in New-Work-Arbeitsumgebungen. Das greift jedoch zu kurz, um das Potenzial von Technologie und Daten für die unternehmerische Zukunftsgestaltung auszuschöpfen. Vielmehr müssen Digitalisierungsinvestitionen in Personal, Technologie und Daten immer als ganzheitliche Business-Transformation für eine gesellschaftlich relevante Markt- und Wettbewerbsberechtigung der Unternehmen ausgestaltet werden. Die Digitalisierung dient somit nicht allein dazu, die ökonomische Zukunft der Unternehmen sicherzustellen. Sie bietet auch Chancen, um positiv auf wichtige gesellschaftliche Fragen zu wirken: Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit, ethische Fragestellungen und die Art, wie Unternehmen heute geführt werden – der Wirkungsgrad der digitalen Transformation greift weit über rein wirtschaftliche Interessen hinaus. Indem sie dem Zielsystem einer formal beschriebenen ESG-Compliance
dient, wird die Digitalisierung vom Selbstzweck entrückt und eher Weg und Vehikel als Ziel.

OTTO: Von Tradition zur Transformation

Ein anschauliches Beispiel für eine ganzheitliche Transformation ist die Marke OTTO. Der ehemalige Kataloghandel profitierte bereits in den späten 1990er Jahren von der Weitsicht des Eigentümers Prof. Dr. Michael Otto. Unter seiner Ägide machte sich das Unternehmen konsequent immer neue technologische Entwicklungen zunutze: Vom damals „neuen“ Internet als Vertriebsweg und der Digitalisierung von Arbeitsabläufen hin zum Umbau technologischer Infrastrukturen in der Cloud. Vor wenigen Jahren erreichte OTTO so einen weiteren Meilenstein in seiner Transformationsreise: Das tradierte Handelsgeschäftsmodell wurde um einen digitalen Marktplatz erweitert, auf dem heute mehr als 5.000 Partner ihre Produkte anbieten. Kunden*innen profitieren von einer Auswahl aus mehr als 14,5 Millionen Artikeln.

Zukunftsfähigkeit ist auch eine Kulturfrage

Um die Zukunftsfähigkeit der Organisation zu prüfen, betrachtet OTTO Leistung und Leistungsfähigkeit
gleichermaßen. Quelle: OTTO

Die Business-Transformation bei OTTO ist nicht das Ergebnis einer einjährigen Projektanstrengung, sondern das Produkt eines kontinuierlichen Investments in die Zukunftsfähigkeit – die „Future Readiness” – des Unternehmens. Diese ist jedoch nicht allein durch die eingesetzte Technologie bedingt. Auch die Organisation musste und muss zukunftsfähig werden. Um diese „Organisational Readiness“ zu erreichen, durchläuft OTTO ein mehrjähriges Kulturwandel-Programm. Die notwendigen Veränderungen durchziehen die gesamte Hierarchie, beginnend auf der Vorstands- und Geschäftsführungsebene. Diese muss die Belegschaft auf der Transformations-Reise mitnehmen, transparent Ziele, Erwartungen, Erfolge und Misserfolge kommunizieren und sich gleichzeitig für Feedback, Anregungen und Kritik öffnen.
Die datengetriebene Organisationsentwicklungsmethodik „High5“ unterstützt die gesamte Organisation bei der Optimierung der Führungsstrukturen sowie der Team-Zusammenarbeit: Durch regelmäßige Befragungen der Belegschaft schafft OTTO eine faktenbasierte Feedback-und
Diskussionskultur. Die gesammelten Informationen erlauben dem Plattformbetreiber, die organisatorische Fitness anhand von Mitarbeiter*innen-Zufriedenheit, Freude an der Arbeit, Work-Life-Balance etc. zu eruieren und darüber in den Dialog zu treten. Daraus leitet das Unternehmen gezielt Maßnahmen ab. Zu diesen zählen auch die Leitlinien für das unternehmerische und soziale Handeln. Diese „Leading Principles“ bieten der Unternehmensführung und der Belegschaft gleichermaßen Orientierung im Transformationsprozess.

„Digitalisierung wird von und für Menschen gemacht. Sie erlaubt es uns, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und diese in den Mittelpunkt unternehmerischen Handelns zu
stellen.“
Dr. Michael Müller-Wünsch

Technologie am Puls der Zeit

Diese Organisationsmodernisierung wird bei OTTO flankiert von einem systematischen Technologie-Umbau von monolithischen Alt-Systemen hin zu cloudbasierten, föderativ strukturierten, autonom interagierenden Anwendungssystemlandschaften. Diese erlauben eine höhere Veränderungsgeschwindigkeit, die wiederum auf technologischer Ebene die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens steigert. Die neue Architektur ermöglicht es, zeitnah auf Neu- und Weiterentwicklungen am Markt zu reagieren. So können Schlüsseltechnologien wie beispielsweise das Internet of Things (IoT), generative Künstliche Intelligenz oder Quantencomputing in der Business-Transformation direkt mitgedacht und implementiert werden.

Der datengestützte Organisationsentwicklungsansatz ‚High5’ erlaubt es OTTO, anhand regelmäßiger interner Umfragen seine organisatorische Fitness zu messen und Optimierungspotenziale zu identifizieren. Quelle: OTTO

CIO als Business-Transformator

Sämtliche Aspekte des Transformationsvorhabens wirken auch auf die Nutzer*innen und Kund*innen der Digitalplattform OTTO. Es entsteht ein Wirkzusammenhang zwischen der Digitalisierung und den sich verändernden Business Journeys von Konsument*innen, Lieferant*innen, Partner*innen und Mitarbeiter*innen. Erst wenn dieser dauerhaft aufrechterhalten wird, hat die Organisation die Fähigkeit zum kontinuierlichen Change erreicht.
Die kritische Auseinandersetzung mit dem operativ eingeschlagenen Kurs erfolgt in den Governance-Gremien der Unternehmen: Aufsichtsrat und Beirat. Durch die richtige, kompetente Besetzung dieser Gremien und ein entsprechendes Agenda-Setting können die relevanten Handlungsfelder der Digitalisierung identifiziert und priorisiert werden. Gemeinsam können Aufsichtsrat und Beirat, Vorstand und Geschäftsführung sowie IT- und Digital-Entscheider dann einen entscheidenden Beitrag zur Zukunftsfähigkeit der Organisation leisten.
Neben den Governance-Gremien kommt bei dieser unter Umständen disruptiven Geschäftsmodell-Entwicklung der oder dem Chief Information Officer (CIO) eine besondere Bedeutung zu. Der CIO verkörpert die höchste fachliche Instanz bei der Bewertung und Gestaltung der Technologie-Architektur und dient im Digitalisierungsprozess der Gesamtunternehmung als Sparringspartner*in und Entscheidungsträger*in. Die entsprechenden Persönlichkeiten sind nicht mehr allein der interne IT- und Technologie-Lieferant, sondern wesentliche Mitgestalter*innen einer ökologisch ausgerichteten Zukunft der Gesamtorganisation.

Der Mensch im Fokus: Die Digitalisierung verändert die Business Journeys sämtlicher Stakeholder im
E-Commerce-Ökosystem. Quelle: OTTO

Daten als Vermögensgegenstand

Dabei geht es dann nicht mehr allein darum, Geschäftsfunktionen digital zu unterstützen, sondern darüber hinaus zusätzliche, oftmals auf Daten basierende Geschäftsmodelle zu etablieren. Wenn diese Daten als Vermögen des Unternehmens verstanden werden, fällt auch das Generieren neuer Umsatz- und Ergebnisströme in den Kompetenzbereich der oder des CIOs. Mit dieser zunehmenden Bedeutung von Technologie und Daten tragen CIOs ebenso Verantwortung für die ESG-Compliance und den CO2-Footprint des Unternehmens. Der Infrastrukturbedarf – und damit indirekt auch der Energiebedarf – werden durch umfängliche Datenvolumina und daraus resultierende Rechneranforderungen auf einen neuen Prüfstand gestellt: Datenminimalismus und Berechnungseffizienz der Algorithmen und Software-Architekturen stellen ein neues Ziel der gesamtunternehmerischen Leistung dar.

Die Key Takeaways:

  • Digitalkompetenz in der Führungsetage und in den Governance-Gremien ist für den Transformationserfolg entscheidend.
  • CIOs sind nicht länger interne IT- und Technologie-Lieferant*innen, sondern wesentliche Mitgestalter*innen einer ökologisch ausgerichteten Zukunft der Gesamtorganisation.
  • Digitalisierung ist kein Selbstzweck: Sie bietet Chancen, um positiv auf wichtige gesellschaftliche Herausforderungen zu wirken und ökologische sowie soziale Verantwortung zu übernehmen.
  • Die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens wird nicht allein durch Technologie bestimmt, sie ist auch maßgeblich eine Frage der Kultur.

Zukunft wird von Menschen gemacht

Für Mitarbeiter*innen leiten sich hieraus interessante, werteorientierte Gestaltungsperspektiven ab, die das Unternehmen als zukunftsfähig ausgerichtete Organisation auch attraktiv für Bewerber*innen machen. So begegnen Unternehmen zentralen Herausforderungen wie dem wachsenden Fachkräftemangel. Durch neue Talente wird zudem die Innovationskraft des Unternehmens auch langfristig sichergestellt. Gemeinsam mit Aufsichtsrat und Beirat wirkt der oder die CIO somit ganzheitlich als Zukunftsmacher*in für Organisation und Gesellschaft.

Der Autor:

Dr. Michael Müller-Wünsch ist seit 2015 OTTO Bereichsvorstand Technology (CIO) und verantwortet dort die Weiterentwicklung der IT-Landschaft und der Digitalplattform. Nach seinen Studien zur Informatik und Betriebswirtschaftslehre promovierte er Anfang 1991 zum Thema Künstliche Intelligenz (KI). In jüngster Zeit beschäftigt er sich insbesondere mit dem praktischen und verantwortungsbewussten Einsatz dieser Basistechnologie im Unternehmen. Er ist ehrenamtlich als Vorstands-, Präsidiums- und Beiratsmitglied in unterschiedlichen Tech-Initiativen tätig und fördert die Vernetzung, den Austausch und Ausbau von IT-Experten*innen und Tech-Wissen. Zudem setzt er sich aktiv dafür ein, mehr Frauen für Tech-Berufe zu begeistern und diese zu fördern.