Digitalisierung und Zukunft der Arbeit: Herausforderungen für das Personalmanagement

Die Zukunft der Arbeit und die Digitalisierung sind untrennbar miteinander verbunden. Für Personalabteilungen besteht die Herausforderung sowohl in der disruptiven  Veränderung klassischer HR-Services wie Training und Talent-Akquisition als auch in der Weiterentwicklung oder Neuaufstellung zugehöriger Technologielandschaften. Die Investitionen in HR-Technologie und HR-Transformation nehmen kontinuierlich zu, aber parallel gestiegene Erwartungen und technische Innovationen erfordern andere Vorgehensweisen und eine d igitale Innovationsstrategie für HR.

Die Beiträge dieses Specials zeigen exemplarisch auf, welche Herausforderungen sich für die Personalabteilungen deutscher Unternehmen durch die Digitalisierung ergeben und wie sie sich diesen stellen. Weiterhin geben wir Einblick, wie innovative Anbieter von digitalen Lösungen neue Formen der Arbeit und Zusammenarbeit ermöglichen und ihren Kunden dabei helfen, den digitalen Wandel erfolgreich zu gestalten.

Status der Digitalisierung in deutschen Personalabteilungen

Digitalisierung betrifft Personalabteilungen in vielfältiger Weise und bietet neben steigenden Erwartungen auch enormes Potenzial für einen unmittelbareren Beitrag zum Unternehmenserfolg. So wird einerseits die Weiterentwicklung der klassischen HR-Dienstleistungserbringung mit digitalen Technologien erwartet, während darüberhinausgehend die Verantwortung von HR als aktiver Gestalter der digitalen Transformation des Unternehmens an Bedeutung gewinnt. Grundlage – sowohl als Enabler und vielfältig auch als Treiber – für beide Aufgabenbereiche stellen neue Technologien dar.

Spätestens mit Verfügbarkeit der Cloud-Technologie für HR-Anwendungen – zunächst im Talentbereich und später auch für die HR-Administration etc. – stellt sich zunehmend die Frage nach der geeigneten HR-Technologielandschaft. Diese wird insbesondere durch zwei disruptive Veränderungen im Umfeld der Personalabteilungen beeinflusst: veränderte Erwartungen und technische Innovationen.

Veränderte Erwartungen

Externe Faktoren im Geschäftsumfeld wie Globalisierung, Digitalisierung oder Fachkräftemangel erfordern es, zunehmend und mit steigender Geschwindigkeit bestehende Geschäftsmodelle permanent zu hinterfragen und anzupassen. Die Rolle und auch das Dienstleistungsspektrum von HR gerät dadurch selber in besonderem Maße in den Fokus. HR ist aufgefordert, sowohl die eigenen Services auszubauen und zu digitalisieren –  etwa in Hinblick auf das Management von sogenannten Contingent Workers – sowie als Unterstützer und Treiber die Veränderungsprozesse des Unternehmens zu ermöglichen, insbesondere im Hinblick auf Agilität, Kultur und Leadership im Rahmen der Digitalisierung.

Ein weiterer Faktor, der zunehmend auch die Erwartungen an die Dienstleistungen aus dem Personalbereich prägt, ist die Employee Experience. Diese wird sowohl hinsichtlich ihres Ursprungs als auch in Bezug auf die Lösung durch die digitale Komponente geprägt. Entsprechend vielfältig und ambitioniert sind die Erwartungen an HR.

Technische Innovationen

Im gleichen Maße wie sich Erwartungen an HR verändern, registrieren wir eine exponentielle Innovationsgeschwindigkeit für digitale HR-Anwendungen. Aktuell entwickeln mehr als 1400 HR-Technologie-Anbieter Lösungen für nahezu sämtliche HR-Dimensionen – Tendenz steigend. Basierend auf neuen Technologien wie künstlicher Intelligenz, Robotics Process Automation (RPA), Blockchain oder Spracherkennung erweitern sowohl etablierte Cloud-Anbieter als auch Startups permanent das Spektrum der HR-Anwendungen.

Auch die schon zu Beginn des Internet-Hypes stark promoteten Mitarbeiterportale erfuhren nun dank der Verfügbarkeit neuer technischer Möglichkeiten eine Renaissance. Unter dem Stichwort „Unified Engagement Plattform“ wird Nutzern ein singulärer rollenbasierter Zugang für eine Vielzahl von Systemen angeboten. Über diesen Ansatz drängen auch originär nicht dem Spektrum der HR-Anwendungen zuzuordnende Anbieter wie ServiceNow in den erweiterten Markt der HR-Anwendungen. Weitere Lösungen wie zum Beispiel Service Management kommen auf diesem Wege gleich mit ins Portfolio. Das macht aus Anwendersicht unbedingt Sinn, da der normale Mitarbeiter und Manager nicht differenzieren möchte, welchen Zugang er für die Erledigung seiner vielfältigen Aufgaben wählt (HR oder Sonstiges).

Im Kontext veränderter Erwartungen an HR stellen insbesondere die technische Innovationsgeschwindigkeit der HR-Lösungsanbieter an sich und die zunehmende Intransparenz hinsichtlich Funktionalität und Eignung zur Abbildung unternehmerischer Anforderungen Entscheider in HR und IT vor Herausforderungen.

Wo stehen deutsche Unternehmen bei der Bewältigung der digitalen Herausforderung?

Die HR-Cloudsuiten führender Anbieter wie z. B. Oracle, SAP und Workday bilden häufig die Grundlage einer zukunftsweisenden HR-IT-Landschaft. Diese subskriptionsbasierten Lösungen sind bereits in vielen Unternehmen zum Standard geworden, werden jedoch nachhaltig im Wettbewerb um die jeweils beste Lösung von spezialisierten Startups herausgefordert. Dieses gilt sowohl für jene häufig in einer ersten Welle implementierten Talent Management Prozesse und Konzepte als auch für die klassischen HR-Administrationsprozesse.

Wie die Human Capital Trendstudie 2019 von Deloitte zeigt, bilden die HR-Technologien und Employee Experience den zweitwichtigste HR-Trend in Deutschland. 73 Prozent der hierzulande befragten Unternehmen bewerten das Thema als wichtig oder sehr wichtig. Bemerkenswert hierbei ist jedoch, dass die mit der Einführung von HR-Cloudsuiten verbundenen Erwartungen auch deutscher Unternehmen häufig nur unvollständig erfüllt werden konnten.

Bei Betrachtung der lokalen Daten fällt auf, dass deutsche Unternehmen sich tendenziell besser gerüstet für die Erfüllung der Business Anforderungen sehen als ihre internationalen Pendants (siehe Abbildung).

Selbsteinschätzung deutscher und globaler Unternehmen im Vergleich: Wie gut die HR-Technologie aufgestellt ist, um Business-Anforderungen zu erfüllen. Quelle: Deloitte, Human Capital Trendstudie 2019

Die  Selbsteinschätzung globaler Unternehmen fällt hierbei deutlich geringer aus. Dies ist insbesondere deshalb bemerkenswert, als dass die Adaption technischer HR-Innovationen im deutschen Markt traditionell mit einem zeitlichen Versatz von mehreren Jahren erfolgt und somit der Reifegrad im Durchschnitt entsprechend niedriger zur internationalen Peergroup zu bewerten ist. Da bei dieser Erhebung sowohl HR- als auch Business-Verantwortliche befragt wurden, liegt die Vermutung nahe, dass auch die Formulierung von Erwartungen hinsichtlich digitaler Unterstützung für und durch HR seitens der geschäftsverantwortlichen Manager weniger entwickelt ist. Trifft diese Interpretation zu, wären Inspiration und das gezielte Entwickeln eines digital Mindsets für Führungskräfte dringend nötig.

Während auf der Habenseite – neben anderen Zielen – zweifelsohne die Schaffung einer globalen und geschäftsbereichsübergreifenden HR-Datenbasis mit einem einheitlichen User-Interface als wesentlicher Meilenstein für viele Unternehmen zu verbuchen ist, konnten andere wichtige Ziele häufig nur unvollständig erreicht werden. Insbesondere Erwartungen hinsichtlich der Verbesserung der Employee Experience, der Effizienz und Effektivität der HR-Services zugunsten strategischer Aufgaben sowie vielfältige Aspekte im Bereich der Adaption von HR- Innovationen blieben hinter den Erwartungen zurück.

Hier drängt sich die Frage nach den Ursachen und nach den Lehren bei weiteren Investitionen in digitale Technologie für HR-Anwendungen auf.

Zum einen liegt der mangelnden Zielerreichung häufig eine unrealistische Erwartungshaltung zugrunde. Für die vielfältigen digitalen HR-Bedarfe heutiger Unternehmen – insbesondere vor dem Hintergrund der hohen Innovationsgeschwindigkeit im Anbietermarkt und den sich fortlaufend entwickelnden Erwartungen der Mitarbeiter und Führungskräfte – können HR- Suiten nur eine, wenn auch sehr solide Basis bilden. An der Einbettung dieser Suiten in ein digitales Ökosystem führt kein Weg vorbei.

Weitere wichtige Elemente dieses Ökosystems bilden neben traditionellen „Enabling Technologies“ wie Dokumenten-Management-, Archivierungs- Briefschreibungs- und Case Management-Systemen insbesondere AI- und Robotics-Anwendungen sowie Kommunikationslösungen mit intelligenter Spracherkennungssoftware. Es ist offensichtlich: Die funktionale Zusammenstellung der verschiedenen Komponenten basierend auf den Anforderungen unterschiedlicher Stakeholdergruppen sowie die technische Integration gewinnen hierbei eine zusätzliche Komplexität.

Neben der Anerkennung, dass die zielführende HR-IT-Landschaft einen multiplen Charakter haben muss, zeichnen sich erfolgreich eingeführte HR-IT-Anwendungen durch eine hohe Akzeptanz und Anwenderfreundlichkeit im Sinne einer integrierten Employee Experience aus. Und hier liegt ein weiterer wesentlicher Erkenntniszuwachs aus den bisherigen Erfahrungen der Digitalisierung von HR-Prozessen. Aktuell bewertet in Deutschland nur jeder vierte Befragte das HR-Team als (sehr gut) vorbereitet, um auf den Verbesserungsbedarf bei der Employee Experience zu reagieren, und bringt hiermit insbesondere auch die Defizite der Einführung von HR-Anwendungen zum Ausdruck.

Strategien und Handlungsempfehlungen

Die große Frage an dieser Stelle ist, wie Organisationen es schaffen können, sich der Digitalisierung der HR-Funktion zu stellen. Dabei sollte es zwar im ersten Schritt darum gehen, die Digitalisierung und ihre Auswirkungen zu verstehen, aber auch darauf basierend mehr als nur isolierte Digitalisierungsinitiativen zu starten. Für eine zukunftsgerichtete Aufstellung muss es das Ziel sein, ein ganzheitliches Vorgehen zu entwickeln und ein Stadium des „Digital-Seins“ anzustreben.

Mit folgenden vier Schritten als Leitfaden kann man sich diesem Ziel erfolgreich annähern:

  • Explore. Im ersten Schritt ist es elementar zu verstehen, was Digitalisierung allgemein und für die HR-Funktion im spezifischen bedeutet. Dazu gehört die Entwicklung eines Verständnisses, welche aktuellen Trends sowie internen und externen Rahmenbedingungen diese bedingen und prägen sowie ein Verständnis der damit einhergehenden Einschränkungen und Risiken. Zusätzlich werden im ersten Schritt ebenfalls die aktuellen Möglichkeiten im Rahmen der Digitalisierung anhand von Use Cases oder konkreten technologischen Anwendungen kennengelernt und erörtert. Hier geht es noch nicht darum, Überlegungen hinsichtlich der eigenen Organisation anzustellen, sondern sich vielmehr auf die aktuelle Umwelt der Digitalisierung einzulassen.
  • Visioning. Basierend auf diesem Wissen können Organisationen den zweiten Schritt starten. Im Visioning geht es darum, das erworbene Wissen auf die eigene Organisation zu übertragen und in einer gedanklichen Welt ohne Rahmenbedingungen und Barrieren die Zukunft der eigenen Organisation zu beschreiben. In diesem Schritt ist es entscheidend, die Entscheidungsträger für eine spätere digitale HR Roadmap an den Tisch zu bekommen. Im Workshop/Lab Format und unter Nutzung von Design Thinking-Methoden wird so auch die Employee Experience von Beginn an in den Mittelpunkt gestellt und fließt als zentrales Design-Kriterium in die Vision der zukünftigen digitalen HR-Funktion ein. Damit ist ein Bild für die künftige, digitale HR-Funktion geschaffen. Für die Umsetzung fehlt jetzt noch die Definition eines geeigneten Aufsetzpunktes.
  • Digital Maturity Assessment. Entlang der zuvor beschriebenen Elemente der Digitalisierung sowie des Mitarbeiterzyklus werden zunächst der Reifegrad der Organisation und folgend anhand konkreter gewichteter Businessprioritäten Zielszenarien definiert. Ein weiterer Gegenstand dieses Schrittes ist auch die Erarbeitung einer Indikation über den benötigten Aufwand und den Zeitrahmen zur Umsetzung der identifizierten einzelnen Initiativen.
  • Definition der HR Roadmap. Im Rahmen der Definition der digitalen HR-Roadmap werden nun die konkreten Digitalisierungsinitiativen hinsichtlich ihrer funktionalen und technischen Abhängigkeiten analysiert und konkret hinsichtlich Datenmodell, Umsetzungszeitrahmen, Ressourcenbedarf und Budget geplant. Der Erarbeitung einer integrierten zukünftigen technischen Landschaft kommt hierbei besondere Bedeutung zu. Alternative Planungen sind hier bewusst erwünscht und helfen, weitere Abhängigkeiten und Restriktionen zu berücksichtigen.

Die beschriebenen Schritte können im Rahmen von Workshops oder Labs in relativ kurzer Zeit und mit geringem Ressourcenaufwand getätigt werden und geben HR- und IT-Organisationen einen ganzheitlichen Fahrplan an die Hand, um die Digitalisierung innerhalb der eigenen Funktion voranzutreiben und damit bedarfsgerecht die Digitalisierung der Gesamtorganisation zu begleiten.

Der Autor: Markus Böing ist Partner der Service Line Human  Capital Advisory bei Deloitte in Deutschland. Seit mehr als 20 Jahren tätig in führenden Positionen globaler Consulting-Unternehmen fokussiert er branchenübergreifend auf Strategie- und Umsetzungsprojekte sowohl für HR-Technologie als auch HR-Transformationsprojekte. Als verantwortlicher Partner für „Digital HR“ inspiriert und gestaltet er mit seinem Team die digitale Komponente der Zukunft der Arbeit.