Digitalisierung in der Lufthansa Group

Dieses Interview gibt einen umfassenden Einblick in die digitale Transformation in der Lufthansa Group und die entscheidende Rolle des Digital Hangar. Der Fokus liegt auf agilen Zusammenarbeitsmodellen, Enterprise Architektur und Cloud-Technologien, die die kulturelle und technologische Basis für zukünftige Innovationen schaffen. Der Digital Hangar ist das Herzstück dieser Transformation und wird maßgeblich zur langfristigen Wettbewerbsfähigkeit der Lufthansa Group beitragen.

Christoph Fuchs: Herr Spannbauer, können Sie uns etwas über den Kontext des Digital Hangar erzählen und wie es dazu kam, dass die Lufthansa Group diese Einheit ins Leben gerufen hat?

Christian Spannbauer: Die Lufthansa Group hat den Digital Hangar, um die Digitalisierung ganzheitlich und strategisch voranzutreiben. Die Pandemie war ein disruptiver Einschnitt, der uns zwang, noch schneller zu handeln und einen klaren, fokussierten Ansatz für die Digitalisierung zu entwickeln – einen Ansatz, der die Fluggäste noch stärker in den Mittelpunkt stellt. Die Digitalisierung muss in einem solchen Kontext umfassend verstanden werden: Sie betrifft das Kerngeschäftsmodell ebenso wie die zugrundeliegende Technologie und Architektur, das „Operating Model“ (also die Art und Weise, wie die Teams zusammenarbeiten) und natürlich die etablierte Kultur. All diese Aspekte müssen ganzheitlich betrachtet werden, um eine nachhaltige Transformation zu erreichen.

Christoph Fuchs: Das klingt nach einem ambitionierten Vorhaben. Wie sind Sie konkret vorgegangen, um diese Transformation zu initiieren?

Christian Spannbauer: Wir haben uns bewusst gegen einen „Greenfield“-Ansatz entschieden. Damit hätten wir zwar die Freiheit gehabt, von Grund auf neu zu starten – zumindest in der Theorie. Aber in einem so großen und etablierten Konzern wie der Lufthansa Group ist das einfach nicht realistisch. Stattdessen haben wir uns für eine integrierte Transformation entschieden, die in zwei Strängen verläuft:

Der erste Strang ist die mittel- bis langfristige Erneuerung und Verschlankung unserer bestehenden IT-Architektur. Dazu zählt zum Beispiel die Konsolidierung verschiedener Data Warehouses in einer zentralen Datenplattform. Hier spielt die Enterprise Architektur eine zentrale Rolle, um die Komplexität zu reduzieren und die vorhandenen Systeme schrittweise zu modernisieren.

Der zweite Strang betrifft eher kurzfristige Maßnahmen: Wir haben einen technischen Abstraktions-Layer geschaffen, der es uns ermöglicht, z.B. Business-Logik zu entwickeln, ohne in die alte Legacy-Welt eingreifen zu müssen. Das hat zwar zusätzliche Komplexität erzeugt, uns aber auch die nötige Flexibilität gegeben, die Teams voneinander zu entkoppeln und paralleles Arbeiten zu ermöglichen.

Auf einen Blick: Die Eckpfeiler des Digital Hangar in der Lufthansa Group

  • Der Digital Hangar, die digitale Geschäftseinheit der Lufthansa Group, setzt neue Maßstäbe für das digitale Produkterlebnis der Kund:innen.
  • Digitale Produkte werden deutlich schneller bereitgestellt und skaliert – für spürbar positive Effekte über alle Plattformen hinweg.
  • Katalysator für die Entwicklung und Skalierung agiler Arbeitsweisen in der Lufthansa Group, insbesondere Förderung der Autonomie und Eigenverantwortung der Teams.
  • Fortschrittliche technische Plattformen mit modularen Architekturkonzepten, hochskalierbarer Cloud-Technologie und modernen AI-Anwendungen.
  • Der Digital Hangar stellt die Lufthansa Group zukunfts- und kundenorientierter sowie effizienter auf.

Christoph Fuchs: Das erinnert ein wenig an einen klassischen 2-Speed-Ansatz, bei dem alte und neue Systeme parallel betrieben werden und man am Ende zwei getrennte IT-Abteilungen hat. War dies eine bewusste Entscheidung?

Christian Spannbauer: Tatsächlich haben wir uns bewusst gegen ein klassisches 2-Speed-Modell entschieden, da wir der Überzeugung sind, dass nur ein ganzheitlicher Ansatz am Ende zum Erfolg führt, der das Vorgehen (agil/nicht agil) an die jeweilige Aufgabenstellung anpasst. Bei planbaren Aufgaben oder wenn Time-to-Market sekundär ist, wählen wir gleichwertig eine klassische Projektvorgehensweise. Wichtig ist, dass die gewählten Vorgehensweisen keine Wertung der Teams implizieren. Ein weiteres wichtiges Ziel war es, gemeinsam ein klar definiertes Zielbild zu schaffen, damit alle Teams wissen, worauf sie hinarbeiten. Zur Förderung des übergreifenden Austauschs haben wir „Communities of Practice“ etabliert, in denen ein Austausch unabhängig von der Teamzugehörigkeit erfolgt. So haben wir es geschafft, beide Welten zu verbinden und ein gemeinsames Verständnis für die Ziele der Digitalisierung zu etablieren.

Christoph Fuchs: Das hört sich nach einer anspruchsvollen Aufgabe für das Management an. Wie haben Sie diese Herausforderung bewältigt?

Christian Spannbauer: Das Management spielt in solchen Transformationsprozessen eine entscheidende Rolle. Das Verständnis von Management als reine Fähigkeit zur Verwaltung von Teams ist in diesem Bereich nicht länger adäquat. Insbesondere in der Vergangenheit wurden Führungskräfte oft als Generalisten gesehen, die sich um „People-Themen“ kümmerten. Aber das ist in einem solchen Kontext bei weitem nicht ausreichend. Für eine erfolgreiche digitale Transformation ist es unerlässlich, dass Führungskräfte auch eine starke inhaltliche Perspektive („Thought Leadership“) einbringen und die technologische sowie strategische Ausrichtung aktiv mitgestalten. Sie müssen in der Lage sein, die Herausforderungen der Digitalisierung zu verstehen und gemeinsam mit den Teams Lösungen zu entwickeln. Ohne die nötige inhaltliche Kompetenz und das Verständnis für die Zusammenhänge ist es nahezu unmöglich, echte Veränderungen und eine wirkliche Transformation anzustoßen.

Christoph Fuchs: Was meinen Sie genau mit einer „wirklichen Transformation“? Woran erkennt man, dass eine Organisation diesen Wandel tatsächlich vollzogen hat?

Christian Spannbauer: Eine wirkliche Transformation lässt sich nicht allein durch das Implementieren von agilen Methoden oder Frameworks messen. Von außen betrachtet können zwei Organisationen, die nach agilen Prinzipien arbeiten, sehr ähnlich aussehen: Beide arbeiten mit Scrum, haben Product Owner ernannt und führen Sprints durch. Aber das bedeutet nicht zwangsläufig, dass beide Organisationen wirklich agil arbeiten. Der Unterschied liegt oft in den Feinheiten der Arbeitsweise. Arbeiten die Produktteams tatsächlich mit gleichberechtigten Mitgliedern auf Augenhöhe? Oder gibt es eine Person, die das Team de facto dominiert und ein klassisches Wasserfallmodell durchsetzt? Häufig reduziert sich das agile Vorgehen lediglich auf die Iteration der Software Delivery (d.h. die tatsächliche Umsetzung in Code), anstatt bereits bei der Exploration anzusetzen und die übergeordnete Herausforderung zu lösen. Das Ergebnis ist in diesen Fällen häufig, dass zwar zahlreiche Features – also neue Funktionen – in die Software integriert werden, deren Relevanz für den Kunden oder die zu lösende Herausforderung jedoch nicht gewährleistet ist. Eine Organisation, die wirklich agil arbeitet, befähigt die Teams dazu, autonom, aber nicht unabgestimmt zu handeln und selbst Verantwortung zu übernehmen. Dies wird durch das Prinzip „you built it, you run it, you own it“ verdeutlicht.

Christoph Fuchs: Was ist der entscheidende Unterschied in der Arbeitsweise des Digital Hangar?

Christian Spannbauer: Der wesentliche Unterschied ist, dass wir unseren Teams klare Ziele („Outcomes“) vorgeben, ihnen aber nicht vorschreiben, wie sie diese Ziele erreichen sollen. Wir setzen auf Empowerment. Das bedeutet, dass die Teams die Freiheit haben, eigene Lösungsansätze zu entwickeln und umzusetzen. Das Management schafft die Rahmenbe-
dingungen und stellt sicher, dass die Teams die notwendigen Ressourcen und Werkzeuge haben, um ihre Arbeit erfolgreich zu erledigen. Wir haben festgestellt, dass dieser Ansatz zu mehr Innovation führt, weil die Teams nicht durch bürokratische Prozesse oder starre Vorgaben eingeschränkt werden. Es geht darum, Ergebnisse zu liefern – die Wege dorthin können flexibel gestaltet werden. Dennoch ist es wichtig, dass die Teams methodisch vorgehen, z.B. geeignete Metriken wählen, um die Zielerreichung zu verfolgen und letztlich sicherzustellen. Das ist der wahre Performance- und Innovationsbooster.

Der Digital Hangar der Lufthansa Group ist ein Treiber für eine ganzheitliche digitale Transformation – mit ­agilen Methoden, innovativen Lösungen und einer effektiven Enterprise Architecture zur Optimierung der Customer Journey und zur Schaffung einer zukunftsfähigen
IT-Landschaft.

Christoph Fuchs: Können Sie ein Beispiel für eine Innovation nennen, die aus dieser Art der Zusammenarbeit hervorgegangen ist?

Christian Spannbauer: Ein gutes Beispiel dafür ist die Entwicklung unserer neuen Lufthansa-App. Unsere Teams, die u.a. aus Experten für User Experience (UX), Entwicklung und Produktmanagement bestehen, haben eng zusammengearbeitet und gemeinsam überlegt, wie sie die Kundenerfahrung optimieren können. Das Ergebnis ist eine App mit einem server-
driven User Interface (UI), das es uns ermöglicht, die Benutzeroberfläche bei geringen Ladezeiten dynamisch anzupassen und unseren Passagieren ein nahtloses und personalisiertes Erlebnis zu bieten. Diese Innovation wäre in einem starren, hierarchischen Arbeitsmodell nicht so schnell und so effektiv entstanden. Die Möglichkeit für alle Teammitglieder, ihre Ideen und ihr Wissen gleichberechtigt früh einzubringen, hat den Entwicklungsprozess beschleunigt, die Qualität des Endprodukts deutlich verbessert und auch unsere Kund:innen zufriedener gemacht. Erst kürzlich wurde unsere App auf dem World Aviation Festival als weltweit beste Airline-App ausgezeichnet.

Empowerment und flexible Lösungsansätze fördern Innovation, wie die preisgekrönte Lufthansa-App zeigt.

Christoph Fuchs: Server-driven UI ist ein spannendes Konzept. Auf welcher technologischen Basis operiert der Digital Hangar, und welche Vorteile bietet diese Architektur für die Lufthansa Group?

Christian Spannbauer: Der Digital Hangar verfolgt einen Multi-Cloud-Ansatz als Teil der Lufthansa Group Strategy und setzt auf Cloud Services von Microsoft und Google, die uns die Flexibilität und Skalierbarkeit bieten, die wir in einem so dynamischen Umfeld wie der Luftfahrtbranche benötigen. Cloud-Technologien spielen in unserer Infrastruktur eine zentrale Rolle, da sie es uns erlauben, schnell auf neue Anforderungen zu reagieren und gleichzeitig die Kosten für den Betrieb unserer IT-Systeme zu optimieren. Durch den Einsatz von cloudbasierten Plattformen können wir sehr flexibel Daten integrieren und verarbeiten. Dies eröffnet uns völlig neue Möglichkeiten in Bereichen wie der Datenanalyse, der Automatisierung von Prozessen und der Personalisierung unserer Services für unsere Kunden.

Christoph Fuchs: Welche Rolle spielt die Enterprise Architektur in der Verbindung von Alt- und Neusystemen?

Christian Spannbauer: Enterprise Architektur ist ein strategischer Schlüssel für unsere digitale Transformation. Sie schafft die strukturelle Grundlage durch gemeinsame Zielbilder, um sowohl alte als auch neue Systeme miteinander zu verbinden und sicherzustellen, dass sie nahtlos zusammenarbeiten. Das betrifft nicht nur die Technologie, sondern auch die Prozesse und die Zusammenarbeit zwischen den Teams. Durch klare Prinzipien und Standards stellen wir sicher, dass die Systeme effizient skaliert werden können und gleichzeitig flexibel genug sind, um auf neue Anforderungen zu reagieren. Das Besondere bei uns ist, dass wir nicht nur technologische Silos aufbrechen, sondern auch kulturelle Barrieren überwinden, um eine einheitliche Architektur-Community zu schaffen, die in beide Richtungen funktioniert – von der Legacy-Welt bis hin zu den modernsten cloudbasierten Systemen.

Christoph Fuchs: Wo sehen Sie die Zukunft des Digital Hangar und der digitalen Transformation in der Lufthansa Group?

Christian Spannbauer: Der Digital Hangar wird in den kommenden Jahren eine zentrale Rolle dabei spielen, die Digitalisierung in der Lufthansa Group weiter voranzutreiben. Die Erkenntnisse, die wir in den letzten Jahren gewonnen haben, werden wir für unsere Kund:innen, aber natürlich auch für unsere Mitarbeiter:innen und den gesamten Operations-Bereich weiterentwickeln. Künstliche Intelligenz und Automatisierung werden dabei entscheidende Technologien sein, von denen wir uns viel versprechen. Neben dem Kundenerlebnis stehen die Effizienzsteigerung und das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele durch digitale Lösungen im Fokus. Der Digital Hangar wird auch in Zukunft die Innovationsplattform für die Lufthansa Group sein, auf der neue Ideen schnell entwickelt und skaliert werden können, um unsere Wettbewerbsfähigkeit langfristig zu sichern.

Fazit

Christoph Fuchs: Wir sehen also, dass der Digital Hangar einen entscheidenden Schritt in der digitalen Transformation der Lufthansa Group darstellt. In einer Zeit, in der die Luftfahrtindustrie durch die Corona-Pandemie vor immense Herausforderungen gestellt wurde, hat die Lufthansa Group einen klaren und strategischen Ansatz zur Digitalisierung verfolgt, der es dem Unternehmen ermöglicht, sowohl seine IT-Architektur zu modernisieren als auch agile Arbeitsweisen zu etablieren, die eine schnelle Reaktion auf Kundenbedürfnisse und Marktveränderungen fördern.
Herr Spannbauer, vielen Dank für das Gespräch und die interessanten Einblicke in die digitale Transformation der Lufthansa Group!

Die Autoren:

Christian Spannbauer, CTO des Digital Hangar der Lufthansa Group – zusammen mit mehr als 1000 Kolleg:innen arbeitet er an der Digitalisierung der Lufthansa Group.

 

 

 

 

Dr. Christoph Fuchs, Partner im Bereich Technology Strategy & Transformation bei Deloitte Consulting unterstützt Unternehmen dabei, die Potenziale von IT und Digitalisierung im Rahmen umfassender Transformationen gezielt zu nutzen.