Digitalisierung in der Lebensversicherung

Die Digitalisierung in der Lebensversicherung ermöglicht neue Produktkonzepte in Verbindung mit neuen Antragsprozessen. Die Absicherung gegen biometrische Risiken wird für Kunden damit attraktiver und günstiger. Die Leistungserbringung erweitert sich um Aspekte zur Frühintervention bei Beschwerden. Damit dies gelingt, sind besondere Aspekte in der Produktgestaltung zu beachten.

Auf den ersten Blick ist die Lebensversicherung eine wenig innovationsfreudige Branche. Seit über 2000 Jahren (1) werden die finanziellen Folgen des Tods eines Menschen für dessen Umfeld gelindert. Neben der Ausdehnung auf weitere biometrische Risiken, wie schwere Krankheiten oder die Arbeitskraft, waren regulatorische Änderungen häufig der Treiber für Innovationen.

Mit der fortschreitenden Digitalisierung entwickelt sich die Lebensversicherung zum Partner für die Verbesserung der Lebenssituation der Kunden. Dies ist das ureigenste Anliegen der SCOR Rückversicherung. Was ist Digitalisierung konkret? Und was ist der Schlüssel zum Erfolg?

Zwei Ebenen der Digitalisierung

Bei der Digitalisierung in der Lebensversicherung sind zwei Bereiche zu unterscheiden. Einerseits die Digitalisierung in angrenzenden Themengebieten wie dem Gesundheitswesen. Andererseits die Digitalisierung der eigenen administrativen Abläufe.

Digitalisierung im Gesundheitswesen wird eingesetzt, um medizinische Daten schneller, kostengünstiger und vergleichbar zur Verfügung zu haben. Für die Risikoeinschätzung einer SBU (2) sind Erkenntnisse über die Beweglichkeit eines Versicherten relevante Indikatoren. Bisher werden diese über einen Fragebogen erhoben, bei Bedarf über ein ärztliches Gutachten detailliert und einzeln interpretiert, um sie in der Risikobewertung zu berücksichtigen. Mit der Hilfe eines 3D-Scanners wird dieser Prozess digitalisiert: Der Kunde führt vor einer Kamera eine genau beschriebene Bewegung aus, und der Vergleich mit anderen Aufnahmen ermöglicht es, Gelenkprobleme zu erkennen. Das Verfahren liefert konkrete vergleichbare Daten, die für den Risikobewertungsprozess einfacher zu verarbeiten sind als subjektive Einschätzungen aus Arztberichten.

Digitalisierung wird in der Prävention für eine durchgehende Beobachtung von Risikopatienten eingesetzt. Ziel ist es, bei einem Notfall schnell medizinische Hilfe bereitzustellen. Das können ausgebildete Ersthelfer sein, die bei Infarkten automatisch herbeigerufen werden, wie es iBeat (3) in den USA umgesetzt hat. Das können aber auch CBT-Coaches (4)  für Menschen mit psychischen Problemen wie z.B. Stresssymptome oder Angstzustände sein. Über einen hochsensiblen Tracker werden Stresssituationen des Versicherten identifiziert und zeitnah eine Tele- oder Cyber-Coaching-Session aufgesetzt.

Für die Lebensversicherung besteht hier in beiden Fällen das Interesse, einen höheren Schaden zu vermeiden und die Lebenssituation des Kunden zu verbessern. Mit dem inzwischen erreichten Kostenniveau ist diese Erweiterung des Leistungsangebots bei zielgenauer Auswahl der Teilnehmer auch für Lebensversicherer attraktiv.

Eine aktuelle ReMark-Studie (5) ergab, dass knapp 50 Prozent der Befragten bereit sind, ihr Aktivitätsprofil mit ihrem Versicherer zu teilen. Dieses Aktivitätsniveau ist für die Lebensversicherung ein aussagekräftiger Indikator für das Risikoniveau des Versicherten und somit auch für die notwendige Risikoprämie. Für den Kunden lässt sich dieses Risikoniveau über ein Biological Age Model – BAM (6) in eine verständliche Aussage umformen: wie viel jünger ihn sein Lebensstil macht. So wird er motiviert, das erreichte Niveau zu halten und zu verbessern.

In den eigenen administrativen Prozessen profitieren Lebensversicherer von denselben Verbesserungen wie viele andere im direkten Kundenkontakt stehende Branchen. Identifizierung, Authentifizierung, Adressänderungen, Fragen zu Verträgen und mehr werden vollständig automatisiert über unterschiedliche Kommunikationswege hinweg umgesetzt.

Spezieller ist die Bewertung des Gesundheitsrisikos eines Interessenten. Bei hochsummigen SBU und Risikolebensversicherungen wurden bisher umfangreiche Gesundheitsfragen gestellt. Für eine Digitalisierung dieses Prozesses ist es nicht ausreichend, den bestehenden Fragebogen online zu stellen. Vielmehr gilt es, den Fragebogen dynamisch zu gestalten: Bereits verfügbare Daten werden vorausgefüllt, nur relevante Fragen werden gestellt. Zudem werden geschlossene Fragen gestellt, damit die Antworten direkt weiterverarbeitet werden können. Rückfragen werden deutlich reduziert.

Ein Schritt weiter in diese Richtung ist die Einführung von interaktiven Elementen. Das Alter und der BMI kann über ein Selfie angenähert werden, ein einfaches EKG kann mobil erstellt werden. Interaktive Elemente steigern die Bereitschaft, so lange durchzuhalten, bis eine Deckungszusage mit risikoadäquater Prämie direkt abgeschlossen werden kann.

Schlüssel zum Erfolg

In der Gestaltung der zukünftigen Prozesse und Produkte haben sich vier Erfolgsfaktoren herauskristallisiert:

  • Modularisieren und Flexibilität: Prozesse vom Ergebnis her neu denken und modularisieren. Damit kann in Zukunft auf Innovationen und geänderte Anforderungen in Teilbereichen einfacher reagiert werden.
  • Sorgfältige Datenhaltung: vom Kunden zur Verfügung gestellte Daten sicher und geschützt speichern. Der Nutzen liegt in der semantisch korrekten und detaillierten Datenspeicherung.
  • Rechtssicherheit bewerten: Neue Prozesse in der Interaktion mit dem Kunden bergen juristische Risiken. Diese Unsicherheit mit entsprechender Expertise gilt es zu bewerten und individuell einzuschätzen.
  • Eingriffsmöglichkeiten behalten: Algorithmen in eine laufende Qualitätskontrolle einbeziehen. So können ungewollte Ergebnisse bemerkt und korrigiert werden.

Für den Lebensversicherer ergibt sich daraus die Möglichkeit, alle notwendigen Daten im System zu haben und diese automatisch weiterverarbeiten zu können. Die Abläufe werden schneller, weniger fehleranfällig und günstiger.

Der Autor: Michael Kutzer ist Mitglied der Geschäftsführung der SCOR Rückversicherung Deutschland, Niederlassung der SCOR S.E. und verantwortet die Lebensrückversicherung in Deutschland, Österreich und Osteuropa. Er ist Aktuar (DAV)  und seit fast 20 Jahren in der Rückversicherung tätig. Mit seinem Team unterstützt er Lebensversicherer in der Entwicklung neuer Produkte, in den Antrags- und Leistungsprozessen sowie in der Risikotragung.


(1) Quelle: Wikipedia “Lebensversicherung – Historie” (am 02.05.2019)

(2) SBU: Selbständige Berufsunfähigkeitsversicherung

(3) iBeat: www.ibeat.com

(4) CBT: cognitive behavioural therapy – kognitive Verhaltenstherapie

(5) ReMark – Reimagine Life; Global Consumer Study 2018

(6) BAM: Biological Age Model – http://www.scor.com/en/biological-agemodel-bam (am 02.05.2019)