In der Corona-Pandemie trifft der Landtechnikvertrieb, der hochgradig vom Vertriebspartner vor Ort abhängig ist, auf die Notwendigkeit reduzierter physischer Interaktion. CLAAS reagierte auf diese Herausforderung mit der Ad-hoc-Installation neuer digitaler Kommunikationskanäle. Möglich war diese hohe Anpassungsfähigkeit vor allem dank einer erfolgreichen digitalen Grundlagenarbeit und hohen Anstrengungen in der Defragmentierung der IT-Landschaft.
Professionelle Landtechnik ist ein komplexes Produkt. Der Vertrieb großer Landmaschinen wird in unseren Kernmärkten nahezu vollständig über stationäre Händler abgewickelt. Häufig übersteigen die Investitionskosten für einen Großmähdrescher 500.000 Euro. Allein bei unserem Flaggschiff, dem LEXION 8900 TERRA TRAC, haben unsere Kunden für mehr als 150 Baumerkmale die Möglichkeit, aus der für sie passenden Alternative zu wählen. Damit bieten wir zahlreiche Möglichkeiten an, um die Maschine den lokalen Einsatzbedingungen anzupassen.
Corona-Krise treibt neue digitale Lösungen voran
Mit dem Beginn des Lock-downs im Frühjahr war uns schnell klar, dass die verhängten Reise- und Kontaktbeschränkungen eine große Herausforderung für den Vertrieb werden. Traditionell spielen Events wie Feldtage eine wichtige Rolle. Dort werden Maschinen im Einsatz präsentiert und Kaufverträge abgeschlossen. Während sich der Veranstaltungskalender leerte, brach das Konjunkturbarometer der Branche deutlich ein.
In Gesprächen mit unseren Kunden nahmen wir jedoch schnell wahr, dass die Pandemie die Investitionsbereitschaft nicht so stark wie zunächst angenommen gedämpft hatte. Wir entschieden uns gegen einen harten Sparkurs. Stattdessen priorisierten wir die Aufrechterhaltung unserer Lieferfähigkeit sowie die Herstellung einer hohen digitalen Nähe zu unseren Kunden.
Das Geschäftsjahr 2019/20 konnten wir im September mit einem Rekordumsatz abschließen. Maßgeblich dazu beigetragen haben die zusätzlichen Investitionen in den kurzfristigen Ausbau digitaler Kommunikationskanäle und die Nutzung virtueller Produktpräsentationen.
Digitale Kundennähe bei physischer Distanz
Um den weggebrochenen stationären Kundenkontakt zu kompensieren, setzten wir auf einen neuen Produktkonfigurator. Das Projekt für die Entwicklung des neuen Konfigurators wurde bereits im Vorjahr gestartet und ein Launch war für einen späteren Zeitpunkt im Folgejahr geplant. Mit dem Beginn der Pandemie machten wir die verbleibenden Entwicklungsarbeiten zur TopPriorität. Bereits Anfang Mai konnten wir das fertige System mit einer breit angelegten Kampagne präsentieren.
Erstmals ermöglichen wir unseren Kunden die eigenständige Konfiguration von Maschinen. Die angezeigten Inhalte werden durch die tiefe Integration in zentrale IT-Systeme wie CRM, ERP und PIM mit hohem Automatisierungsgrad erstellt. Die Anbindung an unseren Data Lake ermöglicht Analysen zur Nutzung der angebotenen Optionen und legt Verbesserungspotenzial offen.
Wir betrachten den Konfigurator als wichtigen Kommunikationskanal zum Kunden. Marketinginhalte lassen sich auf Optionsebene präsentieren, um Neuheiten wie Digitalpakete prominent zu platzieren. Nur eine Registrierung in unserem Kundenportal CLAAS connect ist notwendig, um sich vom ausgewählten Händler ein Angebot zu der konfigurierten Maschine einzuholen. Für den Kauf ist dann ein einziger persönlicher Termin zur rechtlich verbindlichen Abwicklung notwendig.
Ebenfalls forciert haben wir die virtuelle Produktpräsentation. Livestreams von Maschinenvorführungen im Ernteeinsatz, die im Vorjahr als große Präsenzveranstaltungen durchgeführt worden sind, erfreuten sich eines hohen Interesses. Bei einigen Produktpräsentationen gingen wir noch einen Schritt weiter: Wir ersetzten die präsentierte Maschine durch ihr digitales Abbild. Per Bildsynthese werden auf Basis von CAD-Daten aus der Produktentwicklung 3D-Visualisierungen generiert. In unseren Marketing-Materialien findet computergeneriertes Bildmaterial bereits seit einiger Zeit Anwendung. Mit der Pandemie erweiterten wir den Anwendungsbereich auf ganze Produktpräsentationen.
Neu sind die eingesetzten Technologien und Systeme schon länger nicht mehr. Mit Corona hat sich die Nachfrage nach diesen neuen Formaten bei unseren Kunden und Vertriebspartnern jedoch in kurzer Zeit sprunghaft erhöht.
New Normal statt Old Normal
Während des ersten Lock-downs in Deutschland gelang es uns innerhalb einer Woche, fast alle Büroarbeitsplätze ins Home-Office zu verlagern. Neben Standard-IT-Arbeitsplätzen konnten wir auch die rechenintensive IT-Umgebung der F&E im Home-Office verfügbar machen. In der Produktentwicklung gingen so keine Entwicklungstage verloren. Die notwendige Flexibilität für diese kurzfristige Verlagerung ins Home-Office verdanken wir der hohen Standardisierung unserer IT-Systemlandschaft. Aufwändige Projekte der letzten Jahre zur Defragmentierung und Konsolidierung heterogener IT-Lösungen haben sich in dieser Ausnahmesituation bezahlt gemacht.
Der Erfolg in der Corona-Krise hat Rückenwind für neue Projekte mit Fokus auf IT und Digitalisierung entfacht. Die Akzeptanz gegenüber neuen Technologien war über alle Fachbereiche hinweg noch nie so hoch. Corona hat die Nutzung digitaler Anwendungen in der breiten Organisation beschleunigt und den Kraftakt, den Roll-outs neuer Systeme für gewöhnlich benötigen, ein signifikantes Stück weit erleichtert. Diese Dynamik wollen wir konservieren und über die Corona-Zeit hinaus bestmöglich nutzen. Daher investieren wir trotz der unsicheren Rahmenbedingungen weiterhin massiv in die Digitalisierung der Kundenschnittstelle und unserer Kernprozesse.
Der Autor: Thomas Böck, Vorsitzender der Konzernleitung, ist seit 2006 bei CLAAS, dem Marktführer für Mähdrescher in Europa, aktiv. Nach mehreren Führungspositionen, unter anderem als Leiter Systemtechnik und als Geschäftsführer Technik der Claas Saulgau GmbH, wurde er 2014 in die Konzernleitung berufen. Dort verantwortet er seitdem als CTO das Ressort Technologie und Systeme. 2019 wurde Böck zum Vorsitzenden der Konzernleitung (CEO) berufen.
Herausforderung Covid-19
Wie hat die Krise Ihr Unternehmen getroffen?
Auf einen Einbruch des Geschäftsklimas im Frühjahr folgte eine schnelle Stabilisierung der Nachfrage.
Worin lag für Ihr Unternehmen die größte Herausforderung?
Die Lieferfähigkeit aufrecht zu erhalten und Maschinen unter physischer Distanz zu vertreiben – das stellte CLAAS vor die größte Herausforderung seit Jahren.