Digitale Roboter ermöglichen den nächsten Sprung

Mit dem Konzept Robotic Process Automation (RPA) halten Software-Roboter Einzug in Büro und Verwaltung. Ob im Bereich Finanzen, im Personalmanagement, in der Steuerabteilung, im Einkauf oder im Vertrieb – immer öfter übernehmen Software-Roboter die Aufgaben von Sachbearbeitern und Fachkräften. Für Unternehmen bestehen hohe Rationalisierungspotenziale.

In der Fertigung dominieren Roboter längst ganze Produktionsstraßen: Sie arbeiten selbstständig rund um die Uhr, zeigen keine Ermüdung, arbeiten fehlerfrei in gleichbleibender Qualität, können ihre Arbeit vollständig dokumentieren und sind im Rahmen ihrer Funktionalität flexibel auf neue Tätigkeiten zu trainieren. Mit dem Konzept Robotic Process Automation (RPA) lassen sich diese Vorzüge nun auch im Bürobereich realisieren.

Auch in den betrieblichen Funktionen Logistik, Einkauf, Vertrieb, Produktentwicklung, Rechnungswesen und Personal wurden in den letzten drei Jahrzehnten durch IT erhebliche Rationalisierungserfolge erzielt. Möglich wurde dies durch den Einsatz von ERP-Standardsoftware, Business Process-Plattformen und Office-Systemen sowie der damit einhergehenden Geschäftsprozessorganisation. Aber diese Anwendungen benötigen trotz der vielen Bearbeitungsschritte, die sie automatisiert haben, immer noch den menschlichen Sachbearbeiter – etwa für die Bearbeitung von Sonderfällen, das Treffen von Entscheidungen, die Verknüpfung von Daten aus unterschiedlichen Medien oder die Klärung von Fehlern.

Bei diesen Anwendungen setzt das RPA-Prinzip an. Einfache Anwendungsfälle, die sich häufig
wiederholen, in großer Zahl anfallen, durch gesetzliche oder Geschäftsregeln gesteuert werden und nur wenige, unbedingt von Menschen zu bearbeitende Ausnahmen enthalten, werden einer weiteren automatischen Bearbeitung zugeführt. Der menschliche Bearbeiter wird dann, wie in der Fertigung, durch einen Roboter, hier allerdings einen Software-Roboter, ersetzt.

Beispiel Adressverwaltung

Ist eine Aufgabe vollständig durch Regeln zu beschreiben, kann sie auch völlig ohne Eingriff von Menschen durch RPA automatisiert werden. Dazu ein Fallbeispiel, das mit dem System der Scheer GmbH entwickelt wurde.

In vielen Großunternehmen sind noch heute Altsysteme im Einsatz, die nur umständlich mit neuen Anwendungs- und Frontendsystemen verbunden werden können. So auch im Falle einer Versicherung: Das Adressverwaltungssystem sieht dort zur Dateneingabe noch ein IBM-Terminal 3270 vor. Da diese Terminals heute nicht mehr im Einsatz sind, wird auf den neuen Frontendsystemen das 3270-Terminal emuliert.

Bislang nahm ein Sachbearbeiter aus verschiedenen Quellen (E-Mails, Briefe) Adressenänderungen entgegen, wählte sich in das Anwendungssystem ein und führte die Änderungen manuell durch. Dieser Ablauf konnte vollständig automatisiert werden. Hierzu richtete die Versicherung ein Self-Service-Portal ein, in das die Änderungen direkt vom Kunden oder anderen Adresslieferanten eingestellt werden. Der Roboter überwacht das Portal, entnimmt die Änderungen und meldet sich über die 3270-Emulation in das Anwendungssystem ein. Er wandert in mehreren Schritten bis zur Eingabemaske des Systems und füllt sie automatisch aus.

Roboter docken an die bestehenden IT-Systeme an

Das Beispiel des Adressenverwaltungssystems macht einen großen Vorteil von RPA deutlich: Das Anwendungssystem selbst bleibt unangetastet. Es wird lediglich die Bedienung, die bisher von Sachbearbeitern ausgeführt wurde, von Software abgelöst. Der Software-Roboter verhält sich wie der Sachbearbeiter. Er bedient sich dabei zum Beispiel einer virtuellen Tastatur oder einer virtuellen Maus.

Da die IT-Systeme nicht (oder kaum) verändert werden, wird die strategische Softwarearchitektur des Unternehmens nicht berührt – und führt daher auch zu keinem Aufwand und Entscheidungsbedarf des CIO des Unternehmens. Der Roboter dockt sich an die Benutzerschnittstellen und Oberflächen der Systeme an und führt die Arbeitsschritte so aus, wie sie bisher der menschliche Sachbearbeiter ausgeführt hat.

Künstliche Intelligenz wird zum Innovationstreiber

Einfache RPA-Anwendungen wie im Beispiel der Adressverwaltung haben einen professionellen Entwicklungsstand erreicht. Das belegen zahlreiche Erfolge wie Kosteneinsparung, Zeitverkürzung und Qualitätsverbesserung von Geschäftsprozessen. Die freigesetzten Mitarbeiter können höherwertige Aufgaben übernehmen, etwa in der Kundenbetreuung, die dadurch verbessert werden kann.

Neuerdings geht der Einsatz von RPA jedoch über die Automatisierung solcher relativ einfachen, durch Regeln bestimmten Tätigkeiten hinaus: Methoden der künstlichen Intelligenz werden im RPA erprobt und erfolgreich angewendet. Der Roboter kann nun auch natürliche Sprachen verstehen, erkennt und interpretiert strukturierte und unstrukturierte Daten (zum Beispiel E-Mails) und verfügt über kognitive Lernfähigkeiten.

Durch Einsatz von KI-Methoden können zunehmend auch Tätigkeiten unter
stützt oder sogar automatisiert werden, die Fähigkeiten erfordern, die bisher dem Menschen vorbehalten waren. Hier sind erste beeindruckende Ergebnisse vorhanden, die in der nächsten Zeit durch die mit hohem Ressourceneinsatz unterstützte Entwicklung von KI-Methoden sprunghafte Steigerungen erwarten lassen. Die Unterscheidung zwischen einfachem und intelligentem RPA wird deshalb zunehmend verschwinden.

Beispiel: Automatische Reisekostenabrechnung

Auf den ersten Blick ist eine Reisekostenabrechnung eine einfache Anwendung. Das Beispiel zeigt jedoch: Eine automatische Reisekostenabrechnung durch RPA erfordert bereits komplexe Algorithmen der künstlichen Intelligenz.

Der Roboter sammelt und speichert alle anfallenden Dokumente, die der Reisende per Smartphone fotografiert. Er unterscheidet die unterschiedlichen Belegarten, erkennt die Zahlungsbeträge und Zahlungsformen, berechnet die dem Reisenden zu erstattenden Beträge gemäß der Reisekostenrichtlinie und veranlasst den Überweisungsvorgang. Bei seiner Rückkehr hat der Reisende sein Geld bereits auf seinem Konto erhalten.

Dieses Beispiel zeigt, dass selbst bei einer so alltäglichen Anwendung wie einer Reisekostenabrechnung schon intelligente Funktionen vom RPA verlangt werden: Das System begleitet den Reisenden, verfolgt alle Reiseschritte, versteht Schriften und die natürliche Sprache des Reisenden und fordert selbstständig erwartete Belege an.

RPA und Process Mining

Ausgangspunkt eines RPA-Projektes sollte eine Prozessanalyse sein. Nur wenn ein Ist-Geschäftsprozessmodell vorhanden ist, lässt sich erkennen, wie sich die Verbesserung eines Arbeitsplatzes auf den gesamten Ablauf auswirkt. Dieses Istmodell kann mit Hilfe von Process-Mining-Verfahren aus den Log-Dateien der Transaktionen von Anwendungssoftware generiert werden und bildet den Rahmen für den RPA-Einsatz.

Innerhalb des Geschäftsprozessmodells werden die zu automatisierenden Arbeitsplätze betrachtet und eine detailliertere Tätigkeitsanalyse durchgeführt. Die Aufnahme der Tätigkeiten findet statt, indem alle Bildschirmaktionen verfolgt und auf der Klickebene dokumentiert werden. Das sind zum Beispiel Texteingaben, Programmaufrufe oder das Öffnen und Versenden von E-Mails. Damit werden weit mehr Daten erfasst als beim klassischen Process Mining, bei dem hauptsächlich Transaktionsdaten aus umfassenden Anwendungssystemen ausgewertet werden.

Diese Aufnahme der detaillierten Tätigkeiten und Ablauffolge des untersuchten Arbeitsplatzes wird als Desktop Activity Mining bezeichnet. RPATools stellen dafür Unterstützungen bereit, um diesen Vorgang weitgehend zu automatisieren.

Nach der Analyse wird für den Arbeitsplatz ein Sollmodell erstellt und darauf aufbauend der Softwareroboter konfiguriert und eingesetzt. Die Ausführung des Roboters kann verfolgt werden und in Log-Dateien erfasst werden. Aus den erfassten Ausführungsdaten können mit Mining-Methoden Auswertungen wie beim klassischen Business Process Management (BPM) erzeugt werden. Diese können dann wiederum Aufschlüsse für weitere Verbesserungen des Roboters geben.

In Unternehmen mit Massevorgängen wie Banken und Versicherungen dürften in nächster Zeit Hunderte oder Tausende Softwareroboter eingesetzt werden. Diese zu monitoren und zu optimieren führt zu einer neuen Aufgabe von Fachabteilung und IT. Insbesondere sind Nutzen und Einsatz der Roboter innerhalb des übergreifenden Geschäftsprozesses zu verfolgen. Ein erweitertes Process-Dashboard kann dabei den Zusammenhang des Robotereinsatzes zum übergeordneten Geschäftsprozess herstellen.

Der Autor: Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer ist einer der prägendsten Wissenschaftler und Unternehmer der deutschen Wirtschaftsinformatik und  Softwareindustrie. Als Unternehmer und Politikberater arbeitet er aktiv an der Ausgestaltung der Digital Economy. Prof. Scheer hat mehrere   IT- Unternehmen mit den Schwerpunkten Software- Entwicklung und IT-Beratung gegründet. Zu dem gegenwärtigen Unternehmensnetzwerk mit fast 1.000 Mitarbeitern gehört auch die Scheer GmbH, die mit rund 600 Mitarbeitern IT-Beratungs- und Implementierungsprojekte durchführt. Mit der Software „Scheer RPA“ bietet die Scheer GmbH eine modellgestützte Plattform für RPA-Anwendungen an (www.scheer-group.com/ robotic-process-automation).

„Die künstliche Intelligenz rückt näher“

Die künstliche Intelligenz hält Einzug im Bereich der Robotic Process Automation – und wird in Büro und Verwaltung viele Aufgaben übernehmen. Was dem Menschen jedoch einen Vorsprung sichert, sind seine emotionale und soziale Intelligenz – so Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer im folgenden Interview.

Herr Prof. Scheer, welche Dimension hat das Thema Robotic Process Automation (RPA)?

Scheer: Neben dem Einsatz von Standard-Unternehmenssoftware gibt es viele Bedienungs-, ad-hoc- und sehr individuelle Tätigkeiten, die bisher noch nicht automatisiert sind. Diese als „long Tail“-Anwendungen bezeichneten Tätigkeiten machen häufig über 50 Prozent der Unternehmensfunktionen aus und sind Gegenstand der Automatisierung durch RPA. Damit eröffnet sich ein neuer Markt für IT-Anwendungen.

Zunehmend werden Methoden der künstlichen Intelligenz im RPA erprobt und erfolgreich angewendet. Werden solche kognitive RPA-Systeme den Sachbearbeiter ersetzen?

Scheer: Sie werden ihn sicher nicht völlig ersetzen – verfügt er neben der kognitiven Intelligenz doch auch noch über emotionale und soziale Intelligenz. So hat man fußballspielenden technischen Robotern erst mit großen Mühen das Doppelpass-Spielen trainieren können, da sie zunächst trainiert waren, selbst den Torschuss zu suchen. Den Ball an einen anderen Roboter abzugeben, erfordert dagegen soziale Intelligenz.

Das zeigt, dass der Mensch doch noch einen großen Vorsprung hat?

Scheer: Richtig. Der Mensch hat in seinen Fähigkeiten zur Kreativität, zum Erkennen komplexer Situationen, zur Führung komplexer Konversation und zur Bewältigung vieler Alltagshandlungen immer noch einen großen Vorsprung. Dennoch: Die künstliche Intelligenz rückt der natürlichen immer näher. Das automatische Erkennen von Handschriften und Bildern, das Erstellen von Prognosen, das Erkennen von Mustern in großen Datenmengen, das Visualisieren von Ergebnissen, das Verstehen und Übersetzen von Sprachen – das alles ist bereits stark fortgeschritten. Eine wichtige Rolle spielt dabei vor allem das maschinelle Lernen.

Dass also Maschinen selbsttätig lernen?

Scheer: Ja. Gemeint ist damit, dass ein IT-System aus Erfahrungen lernt. Durch das Erleben vieler Eingabe-Ergebnis-Fälle wird das System trainiert, den Zusammenhang zwischen Eingabe- und Ausgabedaten zu lernen – um dann bei einer unbekannten Eingabe das richtige Ergebnis auszugeben. Das System lernt also, aus Daten Voraussagen zu treffen.

Wenn menschliche Arbeitsleistung durch Software-Roboter ersetzt wird: Welche Perspektiven gibt es für die betroffenen Mitarbeiter?

Scheer: Natürlich ist mit RPA ein Rationalisierungseffekt verbunden. Viele Praxisbeispiele zeigen aber, dass die freigesetzten Mitarbeiter höherwertigen Aufgaben zugeteilt werden, zum Beispiel in der intensiveren Kundenbetreuung.