Digital Leadership erfordert ein radikal verändertes Führungsverständnis

Die digitale Transformation braucht mehr zentrale Steuerung, als es heute in vielen Unternehmen üblich ist. Zudem sollte die Verantwortung in einer Person zusammengeführt werden, deren Durchsetzungsfähigkeit auch durch ein entsprechendes Budget gesichert ist. Diese digitale Führungspersönlichkeit muss  ein hoch performantes Team aufbauen und ist für eine angstfreie und wertschätzende Kultur zuständig.

Erfolg und Misserfolg der digitalen Transformation stehen in engem Zusammenhang mit der Art und Weise, wie deutsche Unternehmen geführt werden. Historisch haben in den 1950er bis 80er  Jahren zentralistische Strukturen vorgeherrscht, die in den vergangenen 30 Jahren zunehmend dezentraler geworden sind und von Matrix-Organisationen abgelöst wurden. Dies  entspricht dem zunehmenden Postulat von mehr Eigenverantwortung und flacheren, hierarchiefreieren Strukturen, läuft aber oftmals einer effizienten Digitalisierung entgegen.
Um eine optimale Digitalisierung über das gesamte Unternehmen hinweg zu erreichen, wäre ein Top-Down-Ansatz bei der Führung von Vorteil. Hier ergibt sich ein wesentlicher Zielkonflikt mit der dezentralen Organisation von heute, der dem Aufbrechen von Silos nicht im Wege stehen darf. Eine klare Leadership mit Durchsetzungskompetenz ist gefragt. Dies bedeutet eine Anpassung der bestehenden Governance-Strukturen.

Ganzheitliche digitale Führung auf Vorstandsebene

Bei der „Digital Leadership“ sind die Funktionen des CIO und des CDO von zentraler Bedeutung. Sie sollten idealerweise zusammengeführt und dort, wo möglich, auch mit der CTO-Funktion verbunden werden. Alleinige CDO-Stellen sieht man inzwischen in der Praxis und als „Best Practice“ immer weniger, vielfach hat auch der CEO das Thema zur „Chefsache“ erhoben, und leitet unter sich einen Stab. Damit soll vermieden werden, dass es zwei Geschwindigkeiten bei der Digitalisierung gibt, eine Spaltung in „Die“ und „Wir“. Man will bewusst ein digitales Umfeld und ein digitales Unternehmen schaffen, und nicht einzelne Bereiche, Services und Produkte digitalisieren. Umso wichtiger ist dabei, dass die CIO/CDO/CTO-Funktion im Vorstand etabliert wird. Dies ist heute nur bei maximal 20 bis 25 Prozent der Konzerne der Fall.
Hinzu kommt, dass ein Installieren dieser Funktion nur nützt, wenn diese mit einem auskömmlichen Budget ausgestattet ist. Es ist notwendig, dass die Organisation eine digitale Transformation wirklich will und die Gelder hierfür nicht aufgeteilt und „pulverisiert“ werden, sondern gebündelt in der Hand des CDO/CIO/CTOs liegen.
Ein interessantes Detail ist, dass „Digital Leadership“ zunehmend Frauen übertragen wird. Beispiele sind etwa Hauke Stars (Volkswagen), Claudia Nemat (Telekom), Daniela Gerd tom Markotten (Deutsche Bahn) oder auch Tanja Rückert (Bosch) – um nur einige zu nennen.

Neuer Go-to-Market Ansatz

Im Rahmen der Digitalisierung möchten Kunden zunehmend integrierte Lösungen oder, praktisch ausgedrückt, eine einzige App, mit der sie eine auf sich zugeschnittene Dienstleistung verwalten können. Sämtliche Industrien bieten daher mehr Komplettlösungen anstelle von einzelnen Produkten oder Komponenten an und positionieren sich als Systemintegratoren. Hiermit werden die Wertschöpfung und Bindung mit den Kunden deutlich erhöht. Als neue Schlüsseltechnologie etabliert sich die flexible, kosteneffiziente und ganzheitliche Hard- und Softwareintegration in hoch komplexen Umfeldern und Applikationen.
Die Notwendigkeit der Digitalisierung wird zudem durch den demographischen Wandel beschleunigt. Der Fachkräftemangel macht sich überall bemerkbar, und auch die Beschaffung zusätzlicher Arbeitskräfte etwa aus Osteuropa ist keine nachhaltige Lösung. Allein deshalb muss praktisch jedes Unternehmen radikal automatisieren und digitalisieren. „Digital Leadership“ unter diesen Rahmenbedingungen heißt, Human Resources als sehr knappes und wertvolles Gut  zu betrachten und entsprechend effizient einzusetzen.
Um eine erfolgreiche Digitalisierung auf allen Ebenen voranzutreiben, bedarf es einer massiven
Kultur- und Organisationsveränderung. Hier denken wir immer noch zu kleinteilig. Auch der deutsche Bildungsföderalismus behindert den digitalen Transformationsprozess. Sichtbar wurde dies etwa in der Nicht-Nutzung des fünf Milliarden Euro schweren Digitalbudgets der Bundesregierung für die Schulen. Obwohl dieses Budget den Bundesländern zur Verfügung stand, fehlten auf kommunaler Ebene Strukturen, um diese Gelder abzurufen.
Ein weiteres Hindernis für die digitale Transformation ist die fehlende Standardisierung bei IT-Systemen, insbesondere im Hinblick auf Cyber-Security. Hier sollte man, ähnlich wie bei Hardware, TÜV ähnliche DIN-Zertifizierungen möglichst auf europäischer Ebene einführen, um zu verhindern, dass jedes Unternehmen eigene Lösungen mit individuellen Sicherheitsanforderungen entwickelt.
Es lässt sich damit festhalten, dass die Ressource Mensch, und speziell die den Wandel (an)treibenden Führungskräfte, wichtiger denn je sind, und weiterhin einer der Engpassfaktoren für den erfolgreichen digitalen Wandel bleiben. Natürlich ist technische Kompetenz und Spezialistenwissen gerade auch bei digitalen Transformationen relevant. Noch wichtiger aber werden zentrale Führungskompetenzen. Es geht dabei beispielsweise um transformative versus transaktionale Führung. Moderne Führung erfolgt über die Kraft der Überzeugung, nicht über  die Macht der Hierarchie. Eine digitale Führung zeichnet sich zudem aus durch die Etablierung und Weiterentwicklung hoch performanter Teams, deren Mitglieder sich auch psychologisch wohl und sicher fühlen, also authentisch und ohne Angst vor Repressalien wegen Fehlern oder  nicht konformem Verhalten agieren können. Digitale Führung ist zudem wertgeschätzt und respektvoll. Digitale Führungstalente, die diese Kriterien erfüllen, sind heiß umworben und rar gesät. Trotzdem haben sich inzwischen auch in Deutschland einige „Academy“-Unternehmen entwickelt, die sich auf eine hoch ausgebildete, digitale Führungsmannschaft verlassen können. Von diesen Beispielen – von A wie ABB Robotics bis Z wie Zalando – lässt sich viel lernen.

Die Autoren:

Dr. Nicolas von Rosty, Herausgeber dieses Specials, ist Deutschlandchef der internationalen Personalberatung Heidrick & Struggles. Er leitet die CEO & Board Practice und ist Mitglied der Industrial Practice.

 

 

 

Dr. Roman Wecker, Herausgeber dieses Specials, ist Partner im Frankfurter Büro von Heidrick & Struggles Deutschland. Er ist Mitglied der Industrial Practice und leitet global den Industrial Technology Sektor.