Die Verwaltungsschale – Basis für nachhaltigen Ressourceneinsatz in der Produktion

Hohe Energiekosten und ambitionierte klimapolitische Ziele stellen die Industrie vor große Herausforderungen. Hierdurch ergibt sich aber gleichzeitig die Chance, den Schritt in eine ressourceneffizientere und somit langfristig resilientere Fertigung zu gehen. Lösungsansätze bieten hier die energieflexible Fabrik mittels standardisierter Daten und Digitalen Zwillingen. Bei Maschinenherstellern kann so neben den Stromkosten und Treibhausgasemissionen zukünftig auch der Materialeinsatz reduziert werden.

Produzierende Unternehmen stehen durch die stark gestiegenen Energiepreise großen Herausforderungen gegenüber. So belief sich der Strompreis für die Industrie bei Neuabschlüssen laut Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. (BDEW) im ersten Halbjahr 2022 auf durchschnittlich rund 33 Cent pro Kilowattstunde und hat sich damit gegenüber dem Durchschnitt der Neuabschlüsse in 2020 fast verdoppelt. Daneben versuchen die Unternehmen, weiterhin einen erheblichen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele zu leisten. Der Industriesektor soll insgesamt knapp 20 Prozent der zu reduzierenden Treibhausgasemissionen bis 2030 senken, d. h. ausgehend von 186 Megatonnen CO2-Äquivalent im Jahr 2020 sollen nur noch 118 Megatonnen CO2-Äquivalent durch den Industriesektor emittiert werden.
Für dieses ambitionierte Ziel bieten energieflexible Fabriken einen Lösungsansatz. Energieflexible Fabriken sind in der Lage, ihren Stromverbrauch an ein verfügbares Stromangebot anzupassen und so Zeitfenster mit hoher Erzeugung durch erneuerbare Energien zu nutzen. Ressourcenintensive und kostspielige Investitionen in Speichersysteme können dadurch reduziert werden. Voraussetzung hierfür ist eine energieorientierte Produktionssteuerung, die neben den Produktionszielen auch weitere Zielgrößen wie Strombeschaffungskosten oder die verfügbare Eigenerzeugung berücksichtigt.

Verwaltungsschale und Digitaler Zwilling als Befähiger

Eine energieorientierte Steuerung der Produktion erfordert die bedarfsgerechte Informationsbereitstellung meist heterogener Produktionssysteme. Beispielweise müssen die elektrischen Energieverbräuche in unterschiedlichen Betriebszuständen von Anlagen vorliegen, um diese Verbräuche in der Produktionssteuerung mit dem Energieangebot aus Eigenerzeugungsanlagen oder variablen Strompreisen abgleichen zu können. Das Konzept der Verwaltungsschale (oder auch Asset Administration Shell, AAS) stellt ein wichtiges Instrument zur Gestaltung eines digitalen Zwillings physischer Ressourcen dar. Es bietet die Möglichkeit, Daten von einem sogenannten Asset standardisiert zur Verfügung zu stellen. Ein Asset beschreibt hierbei eindeutig identifizierbare physische oder logische Objekte, wie z. B. eine Maschine oder ein Softwaresystem. Assets können geteilt oder kombiniert werden, d. h. Maschinenkomponenten können eigene Verwaltungsschalen besitzen.
Die Verwaltungsschale ist damit als Schnittstelle zwischen Planungs- und Steuerungsebene und der Feldebene anzusehen. Im Gegensatz zu unternehmensspezifisch programmierten Lösungen bietet die Verwaltungsschale die Möglichkeit, Anpassungen an bestehenden Maschinen und Anlagen sowie Erweiterungen aufwandsarm in die kommunikationstechnische Infrastruktur des Unternehmens einzubinden. Voraussetzung hierfür sind IoT-Gateways, die die benötigten Informationen liefern und in die Verwaltungsschale überführen.
Für die Ausschöpfung eines energieflexiblen Betriebs von Maschinen müssen neben Energieverbräuchen weitere energetische Fähigkeiten (z. B. Speicherfähigkeit, Lastanpassung) in der Verwaltungsschale dargestellt werden, um sie letztendlich situativ abrufen zu können. Die Industrial Digital Twin Associaton e.V. (IDTA) arbeitet aktiv an der Gestaltung und Verbreitung der Verwaltungsschale und hat bereits heute 82 internationale Unternehmen als Mitglieder, darunter zahlreiche namhafte Maschinen- und Anlagenbauer.

Reduktion von Kosten, Materialeinsatz und Treibhausgasemissionen 

Beim Maschinenhersteller MicroStep wurde im Rahmen eines Umsetzungsprojekts eine Schneidanlage zur Bearbeitung von Metallen, eine Filteranlage sowie eine Photovoltaikanlage mittels Verwaltungsschalen abgebildet. Mit der implementierten Infrastruktur können unterschiedliche materialabhängige Energieverbräuche der Schneidanlage und variable Leistungsstufen der Filteranlage an die verfügbare Photovoltaikeigenerzeugung automatisiert angepasst werden. Die Datenbasis der Produktionssteuerung wurde um Informationen aus der Verwaltungsschale erweitert, so dass z. B. energieintensive Aufträge der Schneidanlage zu Zeiten hoher Photovoltaikeinspeisung eingeplant werden. Durch die damit verbundene Erhöhung des Eigenverbrauchsanteils sinken die Strombezugskosten bei gleichzeitiger Reduzierung der Treibhausgasemissionen.
Zukünftig sollen die Informationen auch für einen ressourcenschonenden Betrieb der Schneidanlage eingesetzt werden, indem über den digitalen Zwilling z. B. die Materialverschnitte  minimiert werden. Maschinen- und Anlagenbauer, die die Verwaltungsschale in ihr Produktportfolio integrieren, können proaktiv auf die zukünftigen Kundenanforderungen eingehen und so einen Wettbewerbsvorteil erzielen.

Die Autoren:
Prof. Dr.-Ing. Rüdiger Daub ist Institutsleiter des Fraunhofer IGCV in Augsburg und Inhaber des Lehrstuhls für Produktionstechnik und Energiespeichersysteme der Technischen Universität München.

 

 

 

Christian Härdtlein ist Leiter der Gruppe “Engineering adaptiver Produktionsmodule” am Fraunhofer IGCV und beschäftigt sich mit den Themenfeldern Robotik sowie Modularisierung und Vernetzung von Maschinen und Anlagen.

 

 

 

Stefan Roth ist Leiter der Gruppe “Nachhaltige Produktionssysteme” am Fraunhofer IGCV und beschäftigt sich mit den Themenfeldern energieorientierte Produktionsplanung und -steuerung sowie industrielles Energiemanagement.

 

 

 

Das Fraunhofer-Institut für Gießerei-, Composite- und Verarbeitungstechnik IGCV steht für anwendungsbezogene Forschung mit Schwerpunkt in Engineering, Produktion und Multimateriallösungen. Das Institut ermöglicht Innovationen auf der Ebene der Fertigungsprozesse und Materialwissenschaften, der Maschinen und Prozessketten sowie der Fabrik und Unternehmensnetzwerke.