Die Value Chain in Aufruhr

Wir leben in schnellen und volatilen Zeiten, die durch technologische Disruption geprägt sind. Gemeint ist damit das Phänomen, dass Innovationen bewährte Geschäftsmodelle infrage stellen und sich Unternehmen neuen Mitbewerbern gegenübersehen. Ein Wettbewerb, auf den nicht jeder vorbereitet ist. Ungerechtfertigt lässt dies die Disruption in einem negativen Licht erscheinen, denn es wird häufig übersehen, dass sie genauso viele Chancen eröffnet, wenn man die Veränderung wagt und die eigene Wertschöpfungskette den neuen Gegebenheiten anpasst.

Wer denkt, die Disruption betreffe Dienstleistungsunternehmen nicht, der irrt. Die Business-Process-Outsourcing-Branche ist sogar in zweierlei Hinsicht von der Disruption betroffen: Indirekt, über die bei ihren Kunden stattfindenden Veränderungen, als auch ganz unmittelbar und originär. Denn auch ein Business-Process-Dienstleister hat eine Wertschöpfungskette, bestehend aus allen Prozessen, die nötig sind, um den Service zu erbringen. Die Disruption verändert auch diese Prozesse.

Die Wertschöpfungskette fit machen für die Disruption: wichtige Veränderungen im Überblick

Wie kann man die eigene Wertschöpfungskette fit machen für die Disruption? Wie lassen sich Technologien integrieren und Synergien verwirklichen? Um das zu hinterfragen, ist es nötig, sich die vier wichtigsten Veränderungen, die die Disruption auf die Value Chain eines Business-Process-Outsourcing (BPO) hat, bewusst zu machen.

Veränderung 1: Eine disruptiv technologisch veränderte Wertschöpfungskette beschleunigt ein End-to-End Prozess-Set-up

Die Wertschöpfungskette eines BPO besteht aus unterschiedlichen Prozessen, die in ihrer Gesamtheit zur Erbringung einer Dienstleistung benötigt werden. Diese sind nicht immer in derselben Organisationseinheit angesiedelt, sondern erstrecken sich über mehrere Abteilungen. So sind beispielsweise entlang der Purchase-to-Pay Wertschöpfungskette, von der Bestellung bis zur Zahlungsabwicklung, unterschiedliche Tools, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Organisationseinheiten involviert. Dem Ziel eines performanten, durchgängigen Prozesses und eines nahtlosen Kundenerlebnisses stehen Silos mit ihrem Risiko von Übertragungsfehlern und unklaren Zuständigkeiten an den Schnittstellen entgegen.

Die Disruption verändert viele dieser nötigen Prozessschritte, macht sie digital, beschleunigt und vereinfacht so die Erbringung von Services nach einem End-to-End Modell.

Business-Process-Management-Applikationen sind als Middle-Layer-Lösungen unabhängig von System- und Organisationsgrenzen. Sie begünstigen die Digitalisierung von End-to-End Prozessen. Robotic Process Automation ermöglicht zusätzlich kognitive Automation und erhöht damit die Qualität.

Veränderung 2: Organisatorische Resilienz durch Globalität

In Zeiten der Disruption und globalen Krisen, wie wir sie aktuell mit der Pandemie erleben, ist die organisatorische Resilienz ein wichtiger Faktor. Sie kann durch Globalität erhöht werden.

Die Disruption und ihre zahlreichen technologischen Errungenschaften ermöglichen es inzwischen, Arbeitspakete nahtlos weltweit zu verteilen. Maschinelles Übersetzen auf Basis künstlicher Intelligenz reduziert Sprachbarrieren, wenn es sie nicht gar aufhebt. Das bedeutet für die Wertschöpfungskette, dass es nicht länger von Belang ist, wo ein Prozess erbracht wird. Siemens Global Business Services setzt bereits erfolgreich auf ein Netz internationaler Servicestandorte. Ganz nach dem Prinzip: die Arbeit auf mehrere Schultern verteilen. Das erhöht die Resilienz der Organisation und fördert Business Continuity.

Veränderung 3: Disruption muss gelernt und Mitarbeiter müssen darauf vorbereitet werden

Die globale Aufstellung eines BPO durch die Möglichkeiten disruptiver Technologien beeinflusst nicht nur die Prozesse der Value Chain, sondern auch die Menschen, die in und an diesen Prozesse arbeiten. Denn digitale Zusammenarbeit, Plattformen und Tools sowie ein Netz internationaler Standorte bedeuten auch, dass räumliche Barrieren entfallen. Dies erfordert einen Wandel des Verständnisses, wie wir arbeiten: Mit größtmöglicher Flexibilität, Agilität und Remote-Working-Modellen, die zumindest theoretisch das Arbeiten von überall auf der Welt ermöglichen. Wie jeder Wandel muss auch dieser erst gelernt werden. Es gilt, die Mitarbeiter in ihrer persönlichen Entwicklung zu fördern und sie auf das Arbeiten in einer zunehmend virtuellen Umgebung und die neuen Kompetenzanforderungen vorzubereiten. Dieses neue, flexible und agile Arbeiten birgt zudem noch einen weiteren Vorteil. Es macht das Unternehmen attraktiv für neue, engagierte Mitarbeiter, die es im Wettbewerb um Talente für sich zu gewinnen gilt. Das ist in der BPO-Branche besonders wichtig, denn ein Service steht und fällt mit den Menschen, die ihn erbringen.

Veränderung 4: In den Nischen floriert das Leben

Die Disruption mit ihren technologischen Innovationen führt dazu, dass neue Mitbewerber auf den Markt strömen. Dort gibt es also immer mehr Anbieter. Wer hier als Generalist überzeugen und an oberster Spitze sein will, muss viel investieren. Es lohnt daher ein Blick auf die verschiedenen Bereiche des Feldes, in die Kompetenzfelder und Nischen, in denen man als Unternehmen schneller und leichter die Spitzenposition erreichen kann. Das Schlagwort lautet hier: Fokus. Eine Strategie für Unternehmen der BPO-Branche in der Disruption kann es also sein, ihre Nische zu finden und sich in ihr entsprechend zu positionieren. Dafür gilt es die eigene Value Chain und die Prozesse zu hinterfragen, um die Einzigartigkeit, die spezifischen Kernkompetenzen und Erfahrungsbereiche herauszuarbeiten. Denn wer um sein Potenzial weiß, der kann es auch voll ausschöpfen.

Bei Siemens Global Business Services haben wir als ein führender Technologie- und Automatisierungsexperte langjährige Erfahrung in globalen und komplexen Firmenstrukturen, deren Effizienz wir in einem End-to-End Set-up steigern. Das sind unsere Kernkompetenzen und aktuell unser Hauptfokus.

Wer diese vier Veränderungen kennt und in seiner Wertschöpfungskette berücksichtigt, der wird feststellen, dass die Disruption mehr Türöffner und Chancengeber für neue Marktpotenziale ist als eine Bedrohung.

Der Autor: Hannes Apitzsch ist CEO von Siemens Global Business Services (GBS). Die Serviceeinheit von Siemens bietet innovative digitale Lösungen und kundenorientierte Unternehmens-Dienstleistungen an.   
Von 1986 an verantwortete er verschiedene CFO-Rollen bei Siemens in den Bereichen Industrie, Automatisierung und Energieerzeugung, unter anderem als CFO des Infrastructure & Cities Sektors.