Keine Energiewende ohne Wärmewende. Wird das Thema Wärme somit zu einer unserer größten Herausforderungen auf dem Weg Richtung Klimaneutralität? Oder ist Wärme sogar Beförderer der Energiewende und bietet schlummerndes Potenzial für Städte und Industrien – gerade auch im Hinblick auf die nötige Energieunabhängigkeit, die zur Zukunftssicherung nötiger wird denn je? Hier erfahren Sie mehr.
Hätte der Sommer 2022 den Auftrag erhalten, vorzuführen, wie bedeutsam das Thema Wärme im Rahmen des Klimawandels ist, er würde vermutlich die volle Punktzahl erhalten, geprägt von Rekordtemperaturen, die vielerorts in drastischen Waldbränden resultierten. Wärme ist allerdings nicht nur ein Aspekt des Gesamtproblems, sondern stellt auch einen wichtigen Teil der Lösung dar: indem sie dazu beiträgt, Treibhausgasemissionen zu senken und Energieverschwendung zu vermeiden.
Industrielle Abwärmenutzung – der schlafende Riese der Energiewende
Allein auf Prozesswärme der Industrie und Wirtschaft entfallen in Deutschland 40 Prozent des Energieverbrauchs. Und rund die Hälfte der in der Industrie für technische Verfahren wie Schmelzen oder Schmieden eingesetzten Wärme geht als Abwärme verloren, obwohl sie kostbar ist. Würde industrielle Abwärme optimal genutzt, könnten allein hierzulande pro Jahr mehr als 23 Terrawattstunden CO2-freier, sauberer Strom erzeugt und damit rund 18 Prozent aller Haushalte versorgt werden.
Es braucht somit intelligente Lösungen, die es ermöglichen, die bislang im großen Maßstab verloren gehende Wärme einzufangen und effektiv zu nutzen. Doch genau solche Technologien gibt es bereits, mit deren Hilfe dieser ruhende Schatz sogar einfach und vor allem effizient gehoben werden kann.
Zum Beispiel ist es mit dem sogenannten Organic Rankine Cycle (ORC) möglich, aus industrieller Prozesswärme sauberen Strom zu gewinnen. Dieses Verfahren kann überall dort eingesetzt werden, wo Abwärme in größerem Maßstab entsteht, zum Beispiel in der Industrie. Die dafür erforderlichen modularen „ORC Efficiency PACKs“, die aus Wärme Strom machen, können innerhalb eines Tages in Betrieb genommen werden. Sie ermöglichen es Unternehmen, einen wesentlichen Schritt in Richtung Dekarbonisierung zu gehen und gleichzeitig die Wirtschaftlichkeit ihres Produktionsstandortes mit sehr preiswert produziertem Eigenstrom zu stärken. Ein lohnenswertes Vorhaben in Zeiten, in denen Versorgungssicherheit und enorm steigende Energiepreise vorherrschende Themen sind. Verfügbare Fördermöglichkeiten machen ein solches Projekt aktuell doppelt attraktiv.
Energiepartnerschaften, von denen alle profitieren
Neben der Möglichkeit, industrielle Abwärme zur klimaneutralen und preiswerten Eigenstromerzeugung zu nutzen, bieten sich auch Energiepartnerschaften an. Was es dazu braucht? Ein Unternehmen, bei dem im Rahmen industrieller Prozesse Abwärme entsteht und eines mit Wärmebedarf in der Nachbarschaft.
Ein Vorzeigeprojekt für eine solche Partnerschaft wird derzeit in Duisburg durch Thyssen-Krupp, die König-Brauerei und E.ON umgesetzt. Wie das Ganze aussieht? Ungenutzte, bei der Stahlherstellung entstehende Abwärme, die bislang für rund 7.660 Tonnen jährliche CO2-Emissionen sorgte, gelangt über eine von E.ON verlegte Leitung zur König-Brauerei, wo sie für den Brauereiprozess genutzt wird. Eine neu installierte Dampfübergabestation ersetzt die bislang CO2-intensive und damit umweltschädliche Braunkohlenstaub-feuerung. Auf diese Weise spart die Brauerei künftig 75 Prozent ihrer heutigen Emissionen ein.
Gebäude, die miteinander kommunizieren – so gelingt Dekarbonisierung von Städten
Da Städte für 40 Prozent des Energieverbrauchs und 36 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich sind, ist die Energiewende auch hier in großen Teilen eine Wärmewende. Dekarbonisierungstechnologien für Städte werden somit zum weiteren wichtigen Baustein zur Erreichung des 1,5 Grad-Zieles. Neben der Industrie legt E.ON daher einen wesentlichen Fokus auf die Entwicklung von Energieinfrastrukturlösungen für Wohn- und Arbeitsquartiere.
Mit der eigens von E.ON entwickelten Technologie ectogridTM entstand ein Niedertemperatur-Wärme- und Kältenetz für Stadtviertel, bei dem alle Verbraucher über zwei unterirdische Wasserleitungen (Warm- und Kaltleitung) miteinander verbunden werden. Je nach individuellem Bedarf beziehen die Verbraucher entweder Wärme oder Kälte aus dem Netz oder speisen überschüssige Energie in das Netz zurück. Die vorhandene Wärmeenergie bleibt so im System.
E.ON ectogridTM fungiert in Kombination mit einem zentralen Wasserspeicher als riesige thermische Batterie. Durch das Teilen, Ausbalancieren und Speichern von Energie nutzt das System alle verfügbaren Energieströme effizient, bevor neue Energie hinzugefügt wird. Um Wärmeverluste zu minimieren, kann das Energieniveau innerhalb des Netzes in Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur angepasst werden. Auch die digitale Steuerung trägt dazu bei, den Energieverbrauch und den CO2-Abdruck drastisch zu reduzieren.
Städten einheizen – von Herne bis Mailand
Projekte von E.ON ectogridTM sind vielfältig und werden bereits jetzt international realisiert, egal ob in dem sogenannten Shamrockpark in Herne oder größer skaliert in Mailand mit dem MIND Milan Innovation District, wo ein ganzes Viertel auf 900.000 Quadratmetern mittels E.ON ectogridTM nachhaltig mit Wärme versorgt wird.
Damit die Energiewende gelingt, muss Wärme zwangsläufig in die Gleichung mit einbezogen werden. Als Teil der Lösung bietet sie viel Potenzial, um die Dekarbonisierung von Städten und Industrien sogar zu beschleunigen, Versorgungsunabhängigkeit zu befördern. Und die relevanten Technologien zur Umsetzung stehen bereit, egal ob für Mittelstand oder Großkonzern, regionales Wohnquartier oder herausforderndes Metropolprojekt.
Der Autor:
Stefan Håkansson ist Global Director City Energy Solutions bei E.ON. In 15 europäischen Märkten setzt er mit seinem Team dezentrale, nachhaltige und intelligente Energieinfrastrukturprojekte um, mit denen es Städten und Industrien gelingt, ihren Weg Richtung nachhaltiger Energiezukunft zu meistern.